Mustergültige Aufführung: "La pellegrina" im Antiquarium der Münchner Residenz
München - Schon kurios, wenn Pausenfüller zu Hauptereignissen werden. So geschehen in Florenz, der Hauptstadt der Großherzogtums Toskana im Jahr 1589. Anlass war eine Medici-Hochzeit, die es mit äußerstem Prunk zu feiern galt.
30 Sänger und Instrumentalisten: Mehrere Rollen, verschiedene Instrumente
Und die sechs Florentiner Intermedien - eigentlich szenisch-musikalischen Lückenbüßern zwischen mehr oder weniger unterhaltsamen Theaterstücken - sind eine großartige Hinterlassenschaft. Die namensgebende Verwechslungskomödie "La pellegrina" ("Die Pilgerin") ist hingegen vergessen.
Das szenische wie akustische Gesamtkunstwerk der Intermedien ist der minuziös überlieferte Höhepunkt einer frühbarocken Festkultur. Ein heutiges Publikum darf sich glücklich schätzen, in Jahrzehnten vielleicht mal eine Vorstellung zu erleben: Das aufwendige Werk erfordert 30 Sänger und Instrumentalisten - in mehreren Rollen und auf verschiedenen Instrumenten.
"La pellegrina": Klangstrom aus edlen Stimmen, subtiles Instrumentalspiel
Dem Ensemble Phoenix unter Joel Frederiksen ist im historisch idealen passenden Rahmen des Antiquariums der Residenz eine mustergültige Aufführung geglückt. Nach einem solchen Klangstrom aus edlen Stimmen und subtilem Instrumentalspiel kann man süchtig werden. Der Beweis für die fortwirkende Faszination dieser Musik zwischen Spätrenaissance und Frühbarock wurde restlos erbracht.
Unter den Komponisten, die Beiträge für das Spektakel lieferten, rangieren Meister wie Luca Marenzio neben Jacopo Peri, Giulio Caccini und Emilio di Cavalieri. Sie sollten einige Jahre später mit dem ebenfalls beteiligten Textautor Ottavio Rinuccini das Genre Oper begründen.
Choreografin Verena Weiss bebildert die Szenenfolge zeitgenössisch neu
In den Intermedien gelang es ihnen, die klanglichen Möglichkeiten ihrer Zeit voll auszuschöpfen - bis hin zu einem siebenstimmigen Madrigal für 30 Sänger und Sängerinnen. Die Kraft dieser Musik teilt sich auch nach 433 Jahren unvermindert mit.
Dass damals zur Musik Prospekte und Maschinen nicht geschont wurden, mag den Ehrgeiz des Ensembles herausgefordert haben, nicht allein auf eine rein musikalische Vermittlung zu vertrauen. Der Versuch der Choreografin Verena Weiss, die lose allegorische Szenenfolge zeitgenössisch neu zu bebildern, ist sehenswert, rundet sich aber nicht wirklich. Weiss lässt Colette Gasperini lange behutsam auf Spitzen zwischen Äpfeln auf dem Podium auf- und abtrippeln. Ihre zwischen skulpturaler Kühle, abweisender Anmut und letztlich zu einer Vereinigung in Liebe angelegte Rolle bleibt rätselhaft.
Faunischer darf Ilia Sarkisov (bis 2016 Solist des Bayerischen Staatsballetts) agieren, der sich von Anfang an barfuß in den unmöglich unfallfreien Hürdenlauf stürzt. Bald sucht er Anlehnung und Nähe bei seiner Partnerin. Wird hier eine längst übliche Gender-Problematik aufs Neue szenisch abgehandelt? Hinzu kommt, dass von den hinteren der 33 Stuhlreihen vom Agieren der beiden Tänzer auf der niedrigen Plattform vor der Musikerempore wenig zu sehen gewesen sein dürfte.
Wenn Musikgeschichte zum Erlebnis wird
In Erinnerung bleiben einzigartige vokale Höhepunkte wie Aphrodites Gesang am Beginn des fünften Intermediums: Schlicht magisch begleitete sich die Sopranistin Emma-Lisa Roux hier selbst auf der Laute. Und dass Joel Frederiksens balsamischer Bass beim Arioso des Arion derart mühelos strömend den riesigen Raum inklusive trickreicher Echo-Wirkungen füllt, ist unvergesslich: eine perfekte Interpretation dieses Meisterwerks von Jacopo Peri, des späteren ersten Opernkomponisten. Musikgeschichte als Erlebnis - das ist einfach brillant.