Münchner Philharmoniker im Gasteig: Ein großer Sprung nach vorn
München - Diese drei jungen Frauen und ihr männlicher Kollege müssen all die Lockdowns durchgehend mit Üben verbracht haben: So hinreißend kraftstrotzend, so überschäumend enthusiastisch spielt das philharmonikereigene Quartett das Konzertstück für vier Hörner F-Dur von Robert Schumann. Und eine Portion Todesverachtung kommt noch hinzu.
Das grausam schwierige erste Horn bläst Matias Pineira
Nicht nur ist das Horn wegen seiner Launenhaftigkeit berüchtigt, die auch Meister ab und an gicksen lässt. Schumann hat dem seinerzeit neuen Ventilhorn Unglaubliches abverlangt. Man müsste die fabelhaften Vier "Teufelskerle" nennen - wenn nicht die Spielerinnen zwei bis vier Maria Teiwes, Mia Schwarzfischer und Christina Hambach hießen. Das grausam schwierige erste Horn bläst Matias Pineira.
So feiern die Philharmoniker im ersten öffentlichen Konzert seit den Saalschließungen, das vor nicht ganz 700 frisch getesteten Hörern stattfinden kann, ein spektakuläres Comeback. Gleichzeitig sind die Tage der Philharmonie gezählt, weil das Orchester ab Oktober während der Sanierungsarbeiten sein Ausweichquartier beziehen wird. Mit diesem Sonderkonzert wird aber auch der meist so madig gemachten Philharmonie noch einmal Gerechtigkeit erwiesen.
Das Soloquartett schallt von der rechten Seite des Podiums herunter, und Chefdirigent Valery Gergiev dosiert die philharmonischen Kollegen so feinsinnig, dass jedes verwegene Schmettern, jeder geradezu unmenschlich hohe Spitzenton, aber auch das innigste Singen, den Hörer so unmittelbar ergreifen, wie es nur live möglich ist.
Schuberts Große entwickelt sich so flüssig wie ein langer, fesselnder Roman
In der Großen Symphonie C-Dur von Franz Schubert dürfen sich die famosen Vier dann ausruhen; das einleitende Mottothema wird berückend von den verbliebenen Kollegen intoniert. Möglicherweise ertappt sich mancher unter der FFP2-Maske dünstende Hörer bei dem Gedanken, ob es nicht auch die Kleine C-Dur-Symphonie von Schubert getan hätte.
Dann aber entwickelt sich die Große so flüssig wie ein langer, doch fesselnder Roman, bei dessen Lektüre Gergiev nie den roten Faden verliert. Die einzelnen Episoden werden suggestiv geschildert: Wir begegnen lustigen Reitern, frühindustrieller Motorik, vor sich hin summenden Wanderern, Ehrfurcht gebietenden Drohgebärden und erregenden Höhepunkten nach vibrierenden Ankündigungen.
Bei einer solchen Aufbruchsstimmung hält es das Publikum nicht auf den Sitzen. Die stehenden Ovationen haben sich die Philharmoniker verdient: Es geht nicht bloß wieder voran. Hier wurde ein echter Sprung nach vorn gemacht.