Biografie über Sir Peter Jonas: Opern, Menschen, Marketing
Der 21. März 1994 war ein Wendepunkt der Münchner Operngeschichte. Kurz bevor der abgeschlagene Kopf des Pompeius in einer Karstadt-Tüte präsentiert wurde, kippte auf der Bühne des Nationaltheaters ein riesiger Dinosaurier um. Im Zuschauerraum rangen Buhs und Bravos miteinander, die "Abendzeitung" schrieb von einer "Beleidigung Händels". Doch das blieb eine Einzelmeinung, die kurz zuvor verliehenen Oscars für Steven Spielbergs "Jurassic Park" sorgten für Rückenwind und die erste Spielzeit des neuen Intendanten Peter Jonas hatte ihren ersten großen Erfolg.

Der Tyrannosaurus Rex aus Richard Jones Inszenierung von Georg Friedrich Händels Oper "Giulio Cesare in Egitto" wurde zum oft abgebildeten Symbol der sanft ironischen Münchner Händel-Welle. Und er spielt natürlich auch eine zentrale Rolle in der umfangreichen Biografie mit dem Titel "Oper für alle", die Julia Glesner dem am 22. April 2020 an einer langjährigen Krebs-Erkrankung verstorbenen Intendanten gewidmet hat.
Kindheit und Jugend von Jonas eindrücklich beschrieben
Auf 609 Seiten plus Anmerkungen erfährt der Leser sogar, welches Herrenparfüm Jonas auflegte. Und dass er aus Wut über den Brexit die maßgeschneiderten Anzüge von Anderson & Shepherd entsorgte, weil dieser Laden auch den Tory-Politiker Jacob Rees-Mogg belieferte, den Jonas schon deshalb nicht mochte, weil ihm sein Vater als Vertreter des Arts Council das Leben an der English National Opera schwer gemacht hatte.
Glesner beschreibt sehr eindrücklich die Kindheit und Jugend von Jonas. Sein Vater wurde als Jude von den Nazis aus Hamburg nach London vertrieben, die Mutter war Engländerin mit jamaikanisch-libanesischen Vorfahren. Schotten waren eher nicht darunter, der von Sir Peter gern getragene Rock war ein PR-Gag, mit dem der Intendant den Ärger des Publikums bei der Bekanntgabe von Besetzungsänderungen zähmte.
Die Eltern steckten Jonas früh in ein katholisches Benediktiner-Internat, woraus die Autorin ein lebensprägendes Arbeitsethos ableitet, was man glauben kann. Oder auch nicht. Später studierte er Literatur und Musikgeschichte. Für den Absprung in die Praxis sorgte ein Zufall: Georg Solti suchte kurzfristig einen Organisations-Assistenten für das Chicago Symphony Orchestra.
Jonas bewährte sich, lernte das Intendanzgeschäft und knüpfte Kontakte in den Opernbetrieb. Ab 1984 schärfte er mit dem Regisseur David Pountney und dem Dirigenten Mark Elder das Profil der English National Opera. Das fiel dem Generalintendanten August Everding auf, der Kultusminister Hans Zehetmair bei der Suche nach einem Nachfolger für den scheidenden Opernintendanten Wolfgang Sawallisch beriet.
Jonas' Kampf gegen den Thatcherismus
Die Seiten über Jonas' Jahre in London sollten alle lesen, die über die Schwächephasen der hiesigen Kulturpolitik klagen. Jonas musste die ENO gegen den Thatcherismus verteidigen, dem die Royal Opera Covent Garden ausreichte und das zweite Musiktheater der Millionenstadt wegzusparen versuchte. Im Vergleich dazu sind und waren bayerische Sparrunden (vorerst noch) eine gemütliche Veranstaltung.
Als Professorin für Kultur und Management hat Glesner viel Gespür für die Modernisierung und Öffnung der Bayerischen Staatsoper unter Jonas. Sie ist sich der Tatsache bewusst, dass die titelgebende jährliche Opernübertragung "Oper für alle" mehr mit modernem Marketing zu tun hat als mit dem sprichwörtlichen Motto "Kultur für alle" des Frankfurter SPD-Kulturpolitikers Hilmar Hofmann.
Die Autorin erinnert an antisemitische und antibritische Anfeindungen aus dem Haus und von Briefe schreibenden Bildungsbürgern. Atmosphärisches, wie etwa die endlosen Danksagungen des Intendanten vor den dionysischen Feiern in der Kantine nach missglückten Premieren muss sie naturgemäß aus zweiter Hand schildern. Leider ist ihre Kompetenz bei Musik und Theater nur mäßig. Sie geht einer Anekdote auf den Leim, die Cabaletta sei eine italienische "Arienform, über deren Herkunft nicht viel bekannt ist". Glesner riskiert in künstlerischen Fragen kaum eigene Wertungen, versteckt sich lieber hinter der "New York Times" und überlässt das Resumée der Händel-Erfolge dem Schriftsteller Hans Pleschinski.
Manches in dem Buch befindet sich daher in seltsamer Schieflage. Dass Auftritte in der Bayerischen Staatsoper eine zentrale Rolle beim Aufstieg Anna Netrebkos zum Weltstar spielten, erfährt man nicht. Sängerinnen wie Diana Damrau oder Waltraud Meier rangieren unterhalb der Bedeutung von Bühnentechnikern. Es fällt kein Wort zur Besetzungspolitik und der Rolle von Agenturen. Roland Felber, der nicht ganz machtlose Verwaltungsdirektor der Bayerischen Staatsoper, bleibt ganz unerwähnt.
Buch nicht ganz frei von Fehlern
Wer sowohl mit David Alden wie mit Jürgen Rose persönlich das Vergnügen hatte, der weiß, dass der eine wortkarg ist und der andere wie ein Wasserfall redet. Das führt bei Glesner dazu, dass der wichtigste Regisseur der Ära Jonas - wie alles im engeren Sinn Künstlerische - bestenfalls kursorisch abgehandelt wird. Und weil der Autorin offenbar Namen wie Gerard Mortier oder Klaus Zehelein kaum geläufig sind, fehlt jede Einordnung der Ära Jonas im größeren Zusammenhang des Opernbetriebs der Jahrtausendwende.
Auch München ist für Glesner Fremdland. Von der ersten, von der Politik bald beendeten Öffnung der Staatsoper unter August Everding scheint sie nie gehört zu haben. Jonas' direkter Vorgänger Sawallisch war sicher kein guter Intendant. Aber man kann ihn angesichts seiner Bedeutung als Dirigent nicht zum Volltrottel machen, wie es mit Hilfe eines Pressezitats hier geschieht.
Ärgerlich ist für ein Buch des Insel-Verlags, dass der nicht ganz unbedeutende Regisseur Klaus Michael Grüber sich noch auf der gleichen Seite in einen Herrn Gruber verwandelt, "Carmen" anscheinend von Ravel komponiert wurde und der Dirigent Rafael Kubelik bei der dritten Erwähnung "Kubelick" heißt. Auch ein Register fehlt, dafür wird ein Sonett von Shakespeare abgedruckt.
Mysteriös bleibt eine längere, allenfalls psychoanalytisch verstehbare Passage über Georg Soltis Münchner Erfahrungen kurz nach Kriegsende - da war Jonas erst ein Baby. Auch wenn die Autorin durchblicken lässt, dass der Sir bisweilen ein ziemlicher Flegel war, bleibt der Ton hagiografisch. Dass er auf den letzten Seiten auch noch zu einem großen Nachwuchsförderer erklärt wird, ist angesichts des in seiner Zeit stark vernachlässigten Opernstudios übertrieben. Die Leitungsetage der Staatsoper war in der Ära Jonas auch kein Treibhaus für angehende Intendanten.
"Oper für alle" ist zwar geeignet, alte Erinnerungen aufzufrischen. Aber die Autorin klebt zu sehr an ihren Gesprächen mit Peter Jonas. Viele seiner Wertungen, etwa bei der Rolle des "idealen Generalmusikdirektors" Zubin Mehta, übernimmt sie unbesehen. Worüber er nicht mit ihr redete, war ihr unwichtig und keiner Nachfrage wert - wie etwa Doris Dörries umstrittener, aber bei jüngeren Besuchern beliebter Affen-"Rigoletto". Und so darf man sich wundern, warum Daniel Barenboim als Freund von Peter Jonas zwar ein Nachwort verfasst hat, aber nie eine Premiere im Nationaltheater dirigieren durfte.
Julia Glesner: "Oper für alle. Die Biografie von Sir Peter Jonas" (Insel-Verlag, 652 S., 34 Euro, als E-Book 29,99 Euro)