Buch über Frida Kahlo: Schönheit und Schrecken
September 1925: Magdalena Carmen Frida Kahlo y Calderón, eine lebenshungrige, wissensdurstige Frau von 18 Jahren, fuhr mit dem Bus aus Mexiko City zu ihrem Elternhaus am südlichen Stadtrand. Plötzlich sieht sie eine Straßenbahn auf sich zukommen - ihr Bus wird erfasst und gegen eine Mauer gedrückt. Eine eiserne Haltestange bohrt sich durch ihren Rücken.
Es ist dieses Trauma im jungen Leben der Tochter eines aus Deutschland eingewanderten Fotografen, das aus ihrem Talent und ihrer Willenskraft jene Malerin hervortreibt, die neben Picasso, Max Ernst und Miró die moderne Malerei um die Dimension einer magischen Wirklichkeit bereicherte, in der sich Schönheit und Schrecken zu einer sonst nur in der religiösen Kunst erreichten Harmonie vereinen.
"Das Herz - Frida Kahlo" erzählt von bislang unbekannter Romanze mit Vater des Autors
Nun hat der französische Fotograf Marc Petitjean das oft erzählte Leben Frida Kahlos noch einmal erzählt: "Das Herz - Frida Kahlo" versucht, den Besuch der Künstlerin in Paris Anfang 1939 wie ein unbekanntes Puzzle der Kunstgeschichte zusammenzusetzen. Der Titel stammt von einem Bild Kahlos, das jahrzehntelang im Wohnzimmer von Petitjeans Vater Michel hing: eines ihrer schonungslosesten Selbstbildnisse, das sie mit herausgerissenem Herzen, ohne Hände und einer durch den Leib gestoßenen Klinge zeigt. Es war das Abschiedsgeschenk der Künstlerin, die während ihres Aufenthalts Michels Gefährtin war. So erzählt das Buch auch eine Romanze, die Frida Kahlos Biografen bisher nicht kannten.
Sie begann damit, dass der surrealistische Autor André Breton eine Einladung Diego Riveras annahm, der Frida Kahlo - kurz nach ihrem Unfall - geheiratet hatte. Rivera war der weltbekannte Maler der mexikanischen Revolution, die 1910 das Land von der Diktatur Porfirio Díaz' befreite. Bewundert für seine volkstümlichen Wandgemälde, hatte Rivera auf seinen Reisen nach Frankreich die stilbildenden Künstler der europäischen Moderne getroffen, darunter Dalí und Man Ray.
Breton wollte für Frida Kahlo eine Ausstellung in Paris organisieren
So besuchte also Breton im Frühjahr 1938 Rivera und Frida Kahlo in ihrer im Bauhaus-Stil entworfenen Villa in Mexiko - und war begeistert: Dieser exotische Garten mit seinen aztekischen Skulpturen, dieses Nebeneinander von Indio-Kultur und revolutionärer Moderne kam ihm vor wie Wirklichkeit gewordener Surrealismus. Er sammelte Volkskunst, Halsketten, Armbänder, Figuren, und versprach der - noch als malendes Anhängsel ihres Mannes geltenden - Frida, eine Ausstellung in Paris zu organisieren.
Als die Künstlerin dann am Gare Saint Lazare ankommt, am Samstag, 21. Januar 1939, ist sie außer sich: Breton hat noch nichts vorbereitet. Mit Hilfe seines Kollegen Marcel Duchamp kann er schließlich doch die Galerie Renou et Colle gewinnen, die bereits führende Surrealisten wie Salvador Dalí, Picasso, Miró präsentierte. Doch bekommt die Malerin keine Einzelausstellung, vielmehr will Breton auch seine Sammlung mexikanischer Volkskunst vorführen, die Frida Kahlos Gemälde einrahmen sollen. "Was ist das für eine Scheiße!", soll die impulsive Malerin sich entrüstet haben.
Ausstellung in New York galt als das "aufregendste Ereignis der Woche"
Ihr Ärger ist umso verständlicher, als sie vor ihrer Reise nach Paris ihre erste Ausstellung in New York gehabt hatte, die im "Time Magazin" als das "aufregendste Ereignis der Woche" bejubelt worden war. Sie hatte ein Dutzend Bilder verkauft, das Museum of Modern Art erwarb ein Selbstporträt. Fotos von ihr erschienen in "Vanity Fair", in "Harper´s Bazar".
Aber Kahlo schluckt jetzt in Paris die Kröte, die Breton ihr unter die Nase hält. Bei diesen "Surrealistenärschen" auszustellen war die Chance, nun auch in Europa bekannt zu werden. Und in Liebesdingen immerhin löst diese ungeliebte Stadt ihr Versprechen ein: Bei den Vorbereitungen begegnet Frida Kahlo dem Ethnologen und Publizisten Michel Petitjean, einem Freund Dalís, der mit Breton die Ausstellung konzipiert. Petitjean ist jung, charmant und sieht gut aus. Er zeigt Kunstverstand und glaubt an die kommunistische Revolution.
Im Nachbarland Spanien freilich tobt der Bürgerkrieg, Francos Faschisten erobern Barcelona, zehntausende von Flüchtlingen drängen über die Grenze. Petitjean arbeitet mit Frida Kahlo in der französischen Flüchtlingshilfe. Der Publizist hatte bereits mehrmals aus Spanien berichtet, sogar Waffen für die republikanischen Truppen geschmuggelt. Frida Kahlo wiederum hatte in Mexiko Hilfsgelder für die spanischen Republikaner gesammelt.
Dieser Einsatz jenseits der Kunst gibt beiden das Gefühl, im Weltgeschehen, damit im wirklichen Leben, verankert zu sein - das mag der wahre Grund für Frida Kahlo gewesen sein, die Geliebte eines Mannes zu werden, der sich neben der ingeniösen Persönlichkeit Kahlos wie "armseliger Durchschnitt" fühlt.
"Keiner von uns kann einen Kopf so machen wie Frida Kahlo"
Endlich aber, am 9. März, eröffnet die Ausstellung unter dem Titel "Mexique". Zu den Besuchern zählen führende Künstler der europäischen Avantgarde, so Marcel Duchamp und Wassily Kandinsky. Auch Picasso ist angetan: "Weder Du noch ich, keiner von uns kann einen Kopf so machen wie Frida Kahlo", schreibt er an Diego Rivera. So hat sich die Reise nach Paris auch künstlerisch doch noch gelohnt. Für Frida Kahlo bedeutet sie einen weiteren Schritt aus dem Schatten ihres Mannes Rivera. Kurz vor ihrer Abreise am 24. März bietet Kahlo ihrem Geliebten Petitjean an, sich eines ihrer Bilder auszusuchen. Petitjean zögert nicht lang und nimmt: "Das Herz".
Weshalb ausgerechnet dieses Bild, dem sicher schmerzlichsten, das in der Ausstellung zu sehen war? Das herausgeschnittene Herz, das Blut, die Arme ohne Hände: Es sind nicht nur Zeichen des Schmerzes. Es sind ebenso Zeichen der Passion Christi: Die Frau in diesem Bild, Frida Kahlo selbst, rückt sich damit in die Nachfolge des Gekreuzigten.
Ihr Leiden erhält Sinn, indem sie es als Annäherung an das Leiden des menschgewordenen Gottes begreift. Darauf weist auch der einer Lanze ähnelnde Eisenstab hin, der ihre Brust durchbohrt: Sie erinnert an die Seitenwunde, die ein römische Soldat Jesus zugefügt hatte. So lässt sich "Das Herz" auch als religiöses Werk betrachten, in dem die Malerin die christliche Erzählung sichtbar macht, Jesus habe mit seinem Opfertod den Menschen vom Tod erlöst, da er ihm die Hoffnung auf Auferstehung gab.
"Das Herz - Frida Kahlo" ist eine unterhaltsame Einführung in das Leben der Künstlerin
Zumal dieses Bild macht verständlich, weshalb sich Frida Kahlo immer dagegen gewehrt hat, zu stark von den Surrealisten vereinnahmt zu werden: Ihr Werk folge "keinerlei Kunsttheorie", bilde vielmehr ihre eigene Wirklichkeit ab. In gewisser Weise aber markiert es die Vollendung surrealistischer Kunst: Keiner ihrer Vertreter hat je diese metaphysische Innigkeit erreicht, die sich in scheinbar schwerelosen Formen ausdrückt. "Liebenswert wie ein schönes Lächeln und grausam wie das Leben selbst" hat Diego Rivera ihr Werk genannt.
So lässt sich Petitjeans Buch als eine unterhaltsame und feinsinnige (und von Michaela Angermair in leichtfüßiges Deutsch übertragene) Einführung in Werk und Leben einer Künstlerin lesen, die ihrer Eigenständigkeit wegen zur feministischen Ikone erklärt wurde, und die doch anlehnungsbedürftig war wie ein Kind.
Auch ist "Das Herz" ein zartfarbiges Porträt der Pariser Kunstwelt am Vorabend ihres Untergangs, den Hitlers Einmarsch im Sommer 1940 bedeutete - und ein wenig auch eine vita erotica der Künstlerin, deren erster Liebhaber über sie schrieb: "Für Frida war Sex eine selbstverständliche Art, sich am Leben zu erfreuen, einfach eine Lebensnotwendigkeit. Kurz vor dem Tod Michel Petitjeans, 1993, wurde "Das Herz" versteigert. Zuvor soll Madonna eine Million Dollar dafür geboten haben - ohne Erfolg. Wer "Das Herz" heute besitzt, hat Marc Petitjean nie herausbekommen.
Marc Petitjean: "Das Herz - Frida Kahlo. Eine Liebesaffäre in Paris, Frühling 1939" (Schirmer/Mosel, Mit einem Text von André Breton, 200 S., 13 Abb., 22 Euro).
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