Kunstprojekt "For Free*": Zwischen Schönheit und Bedrohung
München - "Abgesagt. Verschoben." Gäbe es die Wahl zum Unwort des Jahres in der Kunst-Szene, stünden diese beiden Verbaladjektive für 2020/21 ganz oben. In einem Fragebogen, den der Münchner Künstler Daniel Man (geboren 1969) seinen Kollegen über ihr Arbeitsjahr mit Corona vorlegte, tauchen diese Schlüsselwörter demnach auch verdammt oft auf.
Solidaritäts-Projekts "For Free*" mit Werken von Daniel Man
Die Antworten sind - in einer Datenvisualisierung an die Wand projiziert - Teil des Solidaritäts-Projekts "For Free*(artists are not working for free)", die aktuell der Galerie Andreas Binder zu sehen ist.
Eigentlich wäre im Ausstellungs-Turnus jetzt eine Präsentation mit neuen Werken Daniel Mans dran gewesen. Doch weil die Galerie wie so viele Kollegen derzeit eine Förderung durch die Initiative Neustart Kultur von der Stiftung Kunstfonds bekommen hat, wollten Andreas und Veronika Binder gemeinsam mit Daniel Man keine gewöhnliche Schau zeigen, sondern eine, die auf die besondere Situation eingeht.
Darum lud Man, der auch als Kurator tätig ist, mehr als hundert KollegInnen ein, Altmeister wie Newcomer - von Boban Andjelkovic zu Bernd Zimmer. Außer die Bitte um ein Format nahe an DIN A3 gab es keinerlei Vorgaben zu Inhalt, Form und Material.
Künstler unterstützen sich mit Erlösen gegenseitig
Grundidee des Projekts ist, dass alle Erlöse zusammengerechnet und am Ende gleichmäßig aufgeteilt werden. Das heißt, wer ein Werk verkaufen kann, gibt ab; wer nichts verkauft, bekommt trotzdem etwas. Die Preise variieren dabei zwischen 200 und 3.500 Euro. Weil Künstler im Allgemeinen Einzelkämpfer sind, ist für Man die Symbolik des Ganzen allerdings genauso wichtig wie die praktische Unterstützung, die dabei herauskommt: Als klares Zeichen möglichen Zusammenhalts unter lauter Individualisten.
Das sichtbare Ergebnis ist ein wunderbar vielfältiges Panorama der Gegenwartskunst mit Zeichnungen, Aquarellen und Fotografien, Gemälden und plastischen Wand-Arbeiten.
Dass auch Werke einiger bekannter Sprayer wie Loomit, Won oder Falk Lehmann vom Streetart-Duo Herkaut dabei sind, liegt daran, dass Man selbst, der in Braunschweig und München Kunst studiert hat, aus der Graffiti-Szene kommt. Auch der Cellist Daniel Müller-Schott war mal Sprayer, den Man von früher kennt. Darum gibt es von Müller-Schott einen überraschenden Sforzato-Auftritt mit knallbuntem Tag, der "The Need of Music and Art" betont.
Bilder von Künstlern wie Heike Weber und Bernhard McQueen
Die Hängung schafft oft suggestiv verstärkende Effekte, etwa bei Heike Webers blutrotem Schriftzug "Glück" und Ian Zaks "Eine Tafel Gebote I/II", die zugleich an einen Grabstein erinnert. Und ab und zu findet man tatsächliche Anspielungen an den Corona-Virus wie Eugene Lemays Goya-Paraphrase - oder auch nur einen vermeintlichen formalen Anklang wie in Jakob Hentzes "Alles in allem".
Bernhard McQueen wiederum hat ein minimalistisches Bild beigesteuert, dessen Intensität man sich nicht entziehen kann: Viermal dieselbe Bank auf einer grünen Wiese, über der ein gelber Sonnen-Punkt von links nach rechts wandert. Die formale und materielle Konzentration ist kein Zufall. Der Künstler sitzt derzeit wegen illegalen Sprayens im Gefängnis, wie Daniel Man erläutert.
Noch bis 5. Juni gibt's die Ausstellung zu sehen
Darüber hinaus schillern viele Werke zwischen Schönheit und Bedrohung, ob Patrizia Gilytes dunkle Tusche-Wolke "Seven Ways to Shine", Christine Liebrichs "Knighty Nero X", ein Relief aus pulverbeschichtetem Baustahl, oder Tomislav Topics subtile Lack-auf-Leinwand-Gitterstruktur "In Between".
Bei Christine Nguyen blüht ein kontaminiert wirkender "Sunflower Cosmos" und Benjamin Bergmann hat im Foto-Druck "Wenn ich nachts nicht schlafen kann, denke ich an weiße Flächen" die Welt auf den Kopf gestellt. Eine Sichtweise, die den immerwährenden Ausnahmezustand auf der symbolischen Ebene simpel, aber prägnant ins Bild setzt.
Bis 5. Juni, Galerie Andreas Binder (Knöbelstr. 27), Anmeldung unter info@andreasbinder.de oder 089 21939250.