Münchner Initiative: Musik rettet Leben

Wie eine Münchner Initiative Geflüchtete in Uganda mit Geld und Instrumenten unterstützt.
Marco Frei |
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Musiklehrer Ssali Deogratious mit seiner neuen Callet-Trompete beim "Community Music"-Marsch in der Flüchtlingssiedlung Bidi Bidi in Uganda bei der Arbeit: Der helle, strahlende, luzide Klang des Instruments aus München fasziniert Kinder.
Musiklehrer Ssali Deogratious mit seiner neuen Callet-Trompete beim "Community Music"-Marsch in der Flüchtlingssiedlung Bidi Bidi in Uganda bei der Arbeit: Der helle, strahlende, luzide Klang des Instruments aus München fasziniert Kinder. © Geoffroy Schied Photography

Er sieht das golden glänzende Instrument, bläst ins Rohr und ist sofort verliebt. "Was für eine schöne Trompete!", ruft Ssali Deogratious. "So ein heller Zauberklang!" Dieses Instrument mit dem edel-luziden Zauberklang hat Jerome Callet gebaut. Sie ist Teil der jüngsten Instrumenten-Spende aus Deutschland. Boris Saronja hat sie gespendet. In München studiert der Kroate Jazz, unterrichtet an der Musikschule Unterföhring und spielt in der Band "Mojo Pin".

Hier, mitten im Nirgendwo, bewirkt diese Trompete in kürzester Zeit veritable Wunder. Ssali ist Musiklehrer bei "Brass for Africa". Seit einigen Monaten arbeitet er in Bidi Bidi in der Provinz Yumbe im Nordwesten Ugandas. Hier realisiert die 2010 gegründete, nichtstaatliche Organisation als lokaler Partner Projekte für das LAB Uganda. Die Idee eines mobilen Musik-Laboratoriums stammt aus München: vom 2018 gegründeten Verein Music Connects.

Ein ausrangierter Lastwagen als mobile Bühne

Zum Team gehören auch zwei Musiker, die eng mit der kooperierenden Bayerischen Staatsoper verbunden sind: die Geigerin Verena-Maria Fitz aus Augsburg und der Geiger Geoffroy Schied. Auch der Gasteig mischt mit. Das Herzstück ist ein Lastwagen. Er gehörte einst dem Bayerischen Rundfunk und wurde ausrangiert. Bei seiner Umrüstung zur mobilen Bühne mit Tonstudio, Kino, Internet, Lerncomputern und elektrischen Musikinstrumenten hat das städtische Kulturzentrum mit Rat und Tat geholfen.

Von München, über Bremerhaven nach Bidi Bidi

Mit Hilfe des Logistik-Partners DHL wurde der LKW nach Ostafrika transportiert. Von München ging es nach Bremerhaven, von dort mit dem Schiff nach Mombasa in Kenia und weiter nach Yumbe. Seit Herbst 2021 kurvt er durch Bidi Bidi. Es ist die zweitgrößte Flüchtlingssiedlung der Welt. Rund 200.000 Menschen leben aktuell in den insgesamt fünf Zonen: vornehmlich Flüchtlinge aus dem Südsudan. Dort tobt seit 2016 ein Bürgerkrieg.

"Brass for Africa"

Wenn eine riesige, rote Sandwolke den Lastwagen ankündigt und das Motorengeräusch immer näher rückt, herrscht größte Aufregung in den Dörfern von Bidi Bidi. Prompt schmettert die Blaskapelle von "Brass for Africa" los, mit dabei Ssali mit seiner neuen Trompete aus München. Während die Kapelle durch die Dörfer zieht, drängen immer mehr Menschen aus den einfachen Lehmhütten mit Dächern aus Stroh hinaus in die sengende Hitze: vor allem Kinder und Jugendliche. Sie folgen dem scheppernden Klang aus Blech und Trommeln.

Den Menschen Gehör schenken

Bald sind es so viele, dass die Kapelle kaum noch zu erkennen ist. Sie marschieren alle zum Lastwagen, umrunden ihn und bleiben schließlich vor ihm stehen. "Das ist wie Wasser in der Wüste", sagt eine Frau mit Baby auf dem Rücken und meint den Truck. Und tatsächlich: Der LKW aus Bayern gibt den Menschen hier nicht nur eine Plattform. Vielmehr verleiht er ihnen buchstäblich eine Stimme, schenkt ihnen Gehör und Perspektiven, leistet Aufklärungs- und Bildungsarbeit, heilt Wunden.

Der ehemalige Lastwagen des Bayerischen Rundfunks, der mit Spenden und der Hilfe des Gasteig zu einer mobilen Bühne mit Tonstudio, Kino und Musikinstrumenten umgebaut wurde.
Der ehemalige Lastwagen des Bayerischen Rundfunks, der mit Spenden und der Hilfe des Gasteig zu einer mobilen Bühne mit Tonstudio, Kino und Musikinstrumenten umgebaut wurde. © Geoffroy Schied Photography

Flüchtlingskapelle verdient ihr eigenes Geld

So sind es nicht zuletzt Volksmusik-Gruppen der Vertriebenen, die das mobile Tonstudio nutzen, um die Melodien und Lieder aus ihrer Heimat zu dokumentieren und vor dem Vergessen zu bewahren. Mit der Alpha Band hat sich zudem eine Flüchtlingskapelle etabliert, die inzwischen eigenes Geld verdient. Seit dem Startschuss von LAB Uganda im Herbst 2021 wurden bereits über 63.000 Menschen erreicht, mehr als doppelt so viel wie erwartet. Statt den geplanten 255 Projekten werden überdies jährlich inzwischen 495 Projekte realisiert.

LAB Uganda steht für Gleichberechtigung

Mit drei Schulen in und um Bidi Bidi wollte man regelmäßig interagieren, es sind bereits achtzehn. Über 800 Geflüchtete nehmen zudem am Musikunterricht teil, und bis jetzt wurden 27 Menschen mit der Studio-Technik im Lastwagen vertraut gemacht: auch Frauen. Gleichberechtigung wird bei LAB Uganda großgeschrieben. Muslimische Frauen mit Kopftuch, die Blechblas-Instrumente spielen, darunter Tuba? In Bidi Bidi ist das Normalität, ganz im Gegensatz zur Orchesterszene in Deutschland.

Bei LAB Uganda bedeutet Musikunterricht zudem nicht einfach das Erlernen eines Instruments, sondern die Vermittlung von sozialen Lebenskompetenzen. Es geht um Selbstbewusstsein und Teamwork, Präsentation und Kommunikation, gezielte Problemlösung statt Selbstaufgabe oder das Schüren von Konflikten.

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Wenn Projekte Leben retten

Die Lehrkräfte wissen genau, wovon sie reden. Sie sind selber in schwierigsten Verhältnissen aufgewachsen: größtenteils in den Slums von Kampala, der Hauptstadt Ugandas, so auch Ssali.

Sein eigener Lehrer - oder besser: Lebensretter - war damals Ronald Kabuye. Bis 2011 hat er Müll gesammelt in einem Slum in Kampala. Was das konkret heißt? Am Ufer einer Kloake, die sich Fluss nennt, sammeln Menschen Müll, um etwas Geld zu verdienen. Sie konkurrieren dabei mit Marabus. Für Kinder können die riesenhaften Vögel mit ihren langen, spitzen Schnäbeln gefährlich werden. Heute verantwortet Ronald alle Projekte von "LAB Uganda". Sie retten buchstäblich Leben.

Auf der Suche nach neuen Fördermitteln

"Seit dem Start von ‚LAB Uganda' hat sich die Selbstmordrate signifikant reduziert", berichtet Orkhan Nasibov, Leiter des UNHCR-Büros in Yumbe. Dasselbe gilt für Gewaltverbrechen, Vergewaltigungen, Alkoholismus oder psychische Erkrankungen. Umso wichtiger ist es, dass "LAB Uganda" konsequent weiterentwickelt wird. Allerdings läuft im September 2024 die gegenwärtige Förderung durch das Auswärtige Amt aus.

Die Suche nach neuen Fördermitteln hat bereits begonnen, und auch sonst werden die Ärmel weiter hochgekrempelt. Die Bayerische Staatsoper liebäugelt mit Austauschprojekten wie im Sommer 2022, als die Blechgruppe des Staatsorchesters und eine Blechtruppe aus Uganda ein Stufenkonzert vor dem Nationaltheater organisiert haben. Bis Ende März können zudem Blechblas-Instrumente, Mundstücke, Gitarren, Keyboards oder Drumsets direkt beim Gasteig HP8 abgebeben werden: für LAB Uganda. Für Ssali war die letzte Spendenaktion ein Volltreffer.

Aus seiner Tasche kramt er Noten hervor, eine Suite mit Namen "Italian Festival". Schon erklingt die melancholische Melodie von Nino Rota aus dem Fellini-Film "La strada" von 1954. In der Weite Ugandas wirkt das ähnlich surreal wie der farbige junge Mann aus dem Kult-Film "Out of Rosenheim" von 1987 mit Marianne Sägebrecht, der Präludien von Johann Sebastian Bach spielt: in der Pampa von Texas. Hier aber, mitten im Nirgendwo, ist das Realität.


Weitere Infos zu Instrumenten-Spenden unter Telefon 0176 38640424, annette.davidson@musicconnects.world oder www.musicconnects.world

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