Mehr Nachhaltigkeit wagen
Kaum jemand interessiere sich für Neue Musik, das alles sei nur ein Nischenprogramm, so ein verbreitetes Vorurteil. Die Realität sieht ein wenig anders aus: Massen strömen zwar nicht, das stimmt. Aber einschlägige Konzerte sind bestens besucht. Zur "Nachtmusik der Moderne" des Münchener Kammerorchesters kommen regelmäßig rund 400 Menschen in die Pinakothek der Moderne. Zahlende Besucher übrigens. Und das seit mittlerweile über 20 Jahren.

Das hat damit zu tun, dass ein attraktives Gesamtpaket geboten wird. Der Abend beginnt um 20 Uhr mit einer Nachtführung. Eine Stunde später wird die porträtierte Komponistin (oder der Komponist) oder ein Experte bei einem Künstlergespräch befragt. Und das Konzert in der Rotunde selbst dauert eine - gnädige - Stunde. Wer nicht so gern eng mit anderen Menschen zusammensitzt, kann sich das Konzert auch im Stehen vom ersten Stock aus anhören.
Prägnante Musik
Am Samstag galt das Porträt dem Komponisten Enno Poppe, der immer noch als jüngerer Repräsentant der aktuellen Neuen Musik gilt, obwohl er auch schon 54 Jahre alt ist. Seine Werke tragen lapidare Titel wie die an diesem Abend zu hörenden Stücke "Schlaf", "Wald" oder "Filz". Das darf programmatisch verstanden werden: Poppe komponiert prägnant und seine Stücke sind ohne viel zeitschindende Rhetorik meistens zu Ende, wenn es nichts mehr zu sagen gibt.
Etwa "Schlaf" für zwei Kontrabassklarinetten. Das sind Instrumente mit großem Tonumfang von knurrig platzender Tiefe bis zu einer klagenden, mit dem Fagott verwechselbarer hoher Lage. Das Stück lotet diesen Klangraum aus und arbeitet sich nach oben durch. Dann endet es überraschend genau im richtigen Moment.

"Wald" gliedert ein Streichorchester (ohne Kontrabässe) in vier Streichquartette. Kurze melodische Phrasen wandern durch die Ensembles wellenartig über das Podium, Braschen-Soli klingen entfernt nach E-Gitarre. Dann zerfällt die in ihrer Körperlichkeit auch für Nicht-Experten zugängliche Musik.
Neues Maß
Etwa konventioneller wirkte das zehn Jahre alte, von Tabea Zimmermann interpretierte Bratschenkonzert "Filz". Vier Klarinetten sorgen für ein klangliches Fundament. Das Solo tönte melancholisch, wie es dem Instrument zukommt. Dann kulminiert das latent dreisätzige und etwas redselige Stück in einem lautstarken Höhepunkt. Dran angeklebt ist ein solistischer Epilog, dem man fünf Minuten nach elf eher ungeduldig zuhört.
Poppes neueste Werke sind nicht mehr ganz so geräuschhaft schrill und direkt auf das Zwerchfell wirkend wie seine Musik aus dem ersten Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends. Aber ihr neues Maß geht nicht mit klassizistischer Glätte einher.
Es ist im Interesse künstlerischer Nachhaltigkeit, dass das Münchener Kammerorchester in dieser Woche noch ein weiteres Werk Poppes folgen lässt: den Liederzyklus "Augen" im 3. Abokonzert im Prinzregententheater. Die sind übrigens in der Regel nicht minder gut besucht wie die Nachtkonzerte in der Pinakothek der Moderne.
Enno Poppes "Augen" im 3. Abokonzert des MKO am 12. Dezember um 20 Uhr im Prinzregententheater, Restkarten unter www.m-k-o.eu.