Joni Mitchell feiert Live-Comeback: Wenn Stars hemmungslos weinen
Viele Musikerinnen und Musiker werden auf der Bühne von ihren Gefühlen überwältigt. Sie brechen in Tränen aus, viele Zuschauer ebenfalls. Denn dieses Konzert beim Newport Folk Festival ist wahrlich ein emotionales Ereignis - ja, es stellt sogar völlig in den Schatten, dass beim selben Festival auch der 80-jährige Paul Simon erstmals seit seinen Abschiedskonzerten vor vier Jahren wieder auftritt.
Die Rückkehr der 78-jährigen Joni Mitchell ist aber eine ganz andere, eine unglaubliche Geschichte. Nicht nur, weil diese Jahrhundertkünstlerin am vergangenen Wochenende ihr erstes komplettes Konzert seit 20 Jahren spielte. Sondern weil sie im Jahr 2015 ein Gehirn-Aneurysma hatte und danach fast alles neu erlernen musste, etwa wie man aus dem Bett aufsteht, wie sie gerade in einem "CBS News"-Interview erzählte. Da verriet sie auch, wie sie mühsam das Gitarrespielen wieder lernte: Sie sah sich im Internet Videos von ihren eigenen alten Live-Auftritten an, um herauszufinden, "wo ich meine Finger platzieren muss".
Joni Mitchell kämpfte sich bereits aus dem Rollstuhl
Joni Mitchell arbeitete sich zurück zur Musik und ins Leben, so wie sie sich als Neunjährige aus dem Rollstuhl gekämpft hatte, in den eine Polio-Erkrankung sie gezwungen hatte. Bis zum vergangenen Jahr war die willensstarke Frau aber noch nicht wieder in der Lage, Musik zu machen.
Doch da spielten andere für sie. Immer wieder lud sie in den vergangenen drei Jahren zahlreiche Musiker aus allen Generationen in ihr Wohnzimmer in Los Angeles ein, dann jammten und spielten diese für sie, darunter Stars wie Elton John, Bonnie Raitt und die 41-jährige Wahnsinnssängerin Brandi Carlile.
Mitchell stand bereits im April auf der Bühne
Als diese und andere Joni-Fans eines Abends im letzten Jahr in deren Haus musizierten, hörte Mitchell nicht mehr nur zu und trank Wein, sondern sang plötzlich selbst "Summertime". Herbie Hancock sei in Tränen ausgebrochen, erzählte Brandi Carlile "CBS News", und sie wiederum habe sofort die Idee gehabt, dass Joni beim Newport Folk Festival auftreten müsse.
Schon im April stand die sich erholende 78-Jährige kurz auf der Bühne, als sie zur "MusiCares Person of the Year" gekürt wurde. Und am vergangenen Wochenende brachte Brandi Carlile ihr Idol mit unüberschaubar vielen Musikern der Wohnzimmer-Jams auf die Bühne von Newport, auf der Mitchell zuletzt 1969 gestanden hatte. Angekündigt waren "Brandi Carlile & Friends" - und dann staunten die Zuschauer nicht schlecht, wer zu diesen Freunden gehörte.
Joni Mitchell wirkt körperlich gezeichnet, ist aber fröhlich und völlig entspannt
Joni Mitchell wird langsam auf die Bühne geführt und nimmt auf einem thronartigen Sessel in der Bühnenmitte Platz, wie man in einem von zahllosen Youtube-Videos sehen kann. Sie wirkt körperlich gezeichnet, ist aber fröhlich, völlig entspannt, ja bald cool swingend. Kreisförmig um sie herum sitzen, wie bei sich zuhause, unüberschaubar viele Spitzenmusiker und Sängerinnen aller Generationen, darunter Marcus Mumford und Wynonna Judd. Zeremonienmeisterin Brandi Carlile sitzt neben ihr und ist durchgängig aus dem Häuschen, welchen historischen Moment sie da erlebt.
Beim eröffnenden "Carey" übernimmt sie die Leadstimme, so wie später auch andere Sängerinnen und Sänger, und Joni Mitchell singt jeweils eine tiefe Harmoniestimme dazu. Doch bei "Summertime" singt sie dann allein und trägt das Stück, und ihr jazziges Timbre ist noch immer voller Charisma und Schönheit.
Brandi Carlile singt ein paar Zeilen mit und kämpft mit den Tränen
Doch der Moment des Abends, der im Popgedächtnis bleiben wird, ist "Both Sides, Now", der Song, der von Frank Sinatra und unzählbaren anderen Künstlern gecovert wurde, angeblich von 1.500, und den Joni Mitchells früherer Liebhaber Leonard Cohen mit einem Wort rezensierte: "Perfektion".
Selbst wenn man es nur auf Youtube sieht, ist es tief bewegend, wie sie diese wundersamen Zeilen singt, diese 78-jährige Meister-Songwriterin, mit deren Rückkehr niemand mehr gerechnet hatte. Brandi Carlile singt ein paar Zeilen mit, hält sich ansonsten aber wohltuend zurück. Und sie kämpft ständig gegen die Tränen an, anders als Wynonna Judd, anders als die Background-Sängerinnen Jess Wolfe und Holly Laessig: Sie alle weinen.
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