Interview

Hubert von Goisern: "Wir müssen solidarischer werden"

Musiker und Autor Hubert von Goisern hat nach fünf Jahren Pause mit "Zeichen & Zeiten" wieder ein Studioalbum veröffentlicht.
Volker Isfort
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Der 67-jährige Musiker und Autor Hubert Achleitner, der sich nach seinem Heimatort Goisern benannt hat.
Der 67-jährige Musiker und Autor Hubert Achleitner, der sich nach seinem Heimatort Goisern benannt hat. © Stefan Wascher

München - Es sollte sein Comeback-Jahr werden: Im Frühjahr veröffentlichte Hubert von Goisern unter seinem bürgerlichen Namen Hubert Achleitner seinen ersten Roman "Flüchtig". Dann sollte das neue Studioalbum "Zeichen & Zeiten" mit einer ausgedehnten Tournee vorgestellt werden. Die ist nun verschoben. Aber die CD ist da.

AZ: Herr von Goisern, wann war Ihr letztes Konzert?
HUBERT VON GOISERN: Das weiß ich ganz genau: 26. Oktober 2016 - am österreichischen Nationalfeiertag.

Vermissen Sie das Publikum?
Nein. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich fiebre wahnsinnig auf die Tournee hin, die wir jetzt ins kommende Jahr verschieben mussten. Aber der Applaus ist wie eine Droge: Wenn man sie dauernd nimmt, vermisst man sie sofort, aber wenn man so wie ich immer wieder eine Zäsur hat, dann ist - nach der Abgewöhnungsphase - das Leben ohne Publikum und Konzerte auch ein sehr schönes.

"Ich musste Löhner-Bedas Geschichte erzählen"

"Freunde", das erste Stück des Albums, in dem auch Heldentenor Andreas Schager auftritt, thematisiert das Schicksal von Nazi-Günstling Franz Lehár und seinem Librettisten Fritz Löhner-Beda, der in Auschwitz starb. Das ist mal ein Auftakt für ein Album!
Ja, das Stück fällt über einen her wie ein Unwetter. Ich wollte die Nummer so, wie sie nun ist, musikalisch umsetzen, mit Rap und Operette, und hatte schon eine Textidee: dass wir in einer unglaublich opulenten Welt leben, und alles haben für ein schönes und lebenswertes Leben. Und trotzdem wird die ganze Zeit gesudert. Und dann musste ich schauen, wie das mit den Rechten für den Refrain ist. Ich bin dann beim Namen des Librettisten, den ich gar nicht kannte, auf das Sterbedatum 1942 gestoßen. Da läuten natürlich schon die Glocken. Bald wusste ich auch, dass ich das Lied nicht mehr so machen konnte wie ursprünglich gedacht. Ich musste Löhner-Bedas Geschichte erzählen.

Damit ist noch nicht geklärt, wie der Rapper Dame ins Spiel kam.
Mein Manager Hage meinte, als er mich gehört hat, ich solle einen Rap-Kurs nehmen. Ich finde das nach wie vor eine vermessene Ansage! Ich habe dann in der Zeitung einen Artikel über einen Salzburger Rapper gelesen und ihn kontaktiert. Er kam vorbei und hat gesagt "Passt eh. So wie Du rappst, hat man das vor zwanzig Jahren gemacht." Es interessiert mich aber nicht, so fast militärisch-zackig immer auf dem Beat drauf zu sein. Ich breite lieber meine Flügel aus und fliege dazwischen. Den Groove, den mein Gesang hat, finde ich nicht schlechter, er ist nur anders. Und so rappen wir nun halt beide auf dem Song.

Verbindung zur Natur und vertexten von Musik

Es gibt Novemberpferde, Eisbären, Grönlandhaie und andere Tiere auf Ihrem Album. Steckt eine Art Arche-Gedanke dahinter?
Nein, das ist einfach so passiert. Aber ich lebe am Puls der Natur. Ich teile Jane Goodalls Ansicht, die immer sagt, die Trennlinie zwischen Mensch und Tier ist keine scharfe, sondern eine sehr verwischte, die sich zudem immer ändert. Und wenn man selber auch Haustiere hat und viele Tiere in der Natur beobachtet, dann spürt man schon sehr viele Gemeinsamkeiten.

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Sie schreiben die Texte immer erst, wenn die Musik schon da ist, warum?
Die Musik kommt einfach daher, die erzählt mir auch die Geschichten, die in diesen Melodien drinnen sind. Es ist eigentlich leichter, Texte zu vertonen, als Musik zu vertexten. Aber mein Weg ist halt anders.

Musikalische Vielfalt, aber kein Wiesnhit 2020

Das Album hat ein gewaltiges Spektrum an verschiedenen Musikstilen.
Die Vielfalt trage ich eigentlich immer in mir. Und dann entscheide ich halt, welchen Teil des Feldes ich bestellen will. Das hat sich dieses Mal bedingt durch das Schreiben des Romans. Anfangs habe ich bei Schreibblockaden immer wieder zu Musikinstrumenten gegriffen, dann kamen musikalische Ideen, die ich aber nicht vertiefen konnte, weil ich den Roman fertigschreiben wollte. Ich habe dann die Idee festgehalten, das Instrument weggesperrt und bin wieder zurück an den Schreibtisch. Auf diese Ideen konnte ich dann zurückgreifen, als ich den Roman beendet hatte.

Obwohl das Album so viele Spektren abdeckt, kann ich keinen Wiesnhit 2021 darauf erkennen. Eine bewusste Entscheidung?
Ich habe gar nichts dagegen, wenn meine Lieder auf der Wiesn gespielt werden. Ich glaube auch nicht, dass die Botschaft dadurch verdreht oder missbraucht wird. Wenn ich singe, dass man den Weizen gefälligst essen und nicht zu Treibstoff verarbeiten soll, dann ist es doch genau das, was auf der Wiesn geschieht: Der Weizen wird getrunken.

"Es wird wieder bessere Zeiten geben"

Es gibt neben den schweren, politischen Songs auch viele kauzige Nummern auf dem Album.
Ich kann auch lustig sein, auch wenn das manche Menschen nicht wahrhaben wollen. Das ist so ein Running Gag in der Familie: Der Papa glaubt immer, er sei so lustig. Ich finde es ganz, ganz wichtig, dass man sich auch den Humor bewahrt.

Kaum eine Bevölkerungsgruppe ist durch Corona so in ihrer Arbeit behindert wie die freischaffenden Künstler. Haben Sie gespürt, dass die Laune unter Ihren Kollegen schlechter wird und manche in Verschwörungstheorien abdriften?
Es sind nicht unbedingt die gebeutelten Künstler, die in Verschwörungstheorien abdriften. Mir fällt da jetzt eigentlich nur einer ein, und der ist so erfolgreich, dass der Lockdown für ihn keine Krise bedeuten kann. Es ist nicht nur für die Künstler hart, sondern für die ganze Veranstaltungsbranche, die Techniker und was so alles dranhängt. Es ist eine unheimlich zähe Zeit und es wird sicherlich einiges an Verlusten geben.

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Haben Sie Ähnliches mal erlebt?
Als ich anfing, Musiker zu sein, hatte ich oft Phasen ohne Gigs, weil ich nur meine Kunst machen wollte. Ich habe lange kaum etwas verdient und war wirklich abhängig davon, dass mich Leute unterstützen, dass ich bei ihnen schlafen und essen konnte. Das ist Teil dessen, was es bedeutet, sich einen Traum zu erfüllen. Den muss man sich selber erfüllen, man kann nicht erwarten, dass der von anderen erfüllt wird. Es wird wieder bessere Zeiten geben.

"Es braucht einen anderen Geist, einen solidarischen"

Was bedeutet die Krise politisch?
Wir müssen solidarischer werden. Wenn man sich anschaut, wie die Armut überall wächst, ob in England, Griechenland oder Spanien, dann ist das eine Schande für einen reichen Kontinent wie Europa. Da muss wirklich eine Solidarität und Umverteilung stattfinden, damit diese existenziellen Ängste kompensiert werden und nicht Hunderttausende auf der Straße landen. Denn dann fliegen irgendwann die Steine - und danach die Kugeln.

Das tun sie in Amerika längst. Sie nennen Trump "der G'scherte" im Song "Sünder". Was erwarten Sie von den US-Wahlen im November?
Ich habe natürlich die Hoffnung, dass Trump abgelöst wird, er hat bewiesen, dass er nicht die Lösung für die Probleme der Welt ist. Es braucht einen anderen Geist, einen solidarischen. Die Reichen müssen einen Beitrag dazu leisten, dafür steht Trump nicht, er unterstützt die Reichen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass vor Trump nicht alles in Ordnung wahr. Im Grunde waren auch die acht Jahre Barack Obama eine Enttäuschung. Seine Ankündigung, Guantánamo abzuschaffen, hat er nicht gehalten, er hat die Drohnenkriege eingeführt, er war beileibe keiner, dem der Friedensnobelpreis zusteht, den man ihm als Vorschusslorbeer geben hat. Keine Ahnung, was nach Trump geschieht, aber er hat seine Anhänger schon aufgefordert, sich zu bewaffnen, weil er vielleicht eine Niederlage nicht anerkennen würde. Ich habe ein paar Freunde drüben, die haben alle Schiss.

In Deutschland sinkt die Zustimmung für die AfD, in Österreich für die FPÖ - die Krise hat wenigstens eine gute Auswirkung.
Wir hatten ja das Geschenk dieses Ibiza-Videos, und der Schock über Straches Unverfrorenheit war dann doch groß. Aber ich bin fassungslos, dass der jetzt wieder bei den Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen als Team HC antritt. So ein Trottel kann sich doch nicht mehr zur Wahl stellen! Immerhin, es wird die FPÖ Stimmen kosten, und die waren beim letzten Mal bei beängstigenden 30 Prozent.

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  • Der wahre tscharlie am 14.09.2020 17:34 Uhr / Bewertung:

    "Wir müssen solidarischer werden. Wenn man sich anschaut, wie die Armut überall wächst, ob in England, Griechenland oder Spanien, dann ist das eine Schande für einen reichen Kontinent wie Europa. Da muss wirklich eine Solidarität und Umverteilung stattfinden, damit diese existenziellen Ängste kompensiert werden und nicht Hunderttausende auf der Straße landen. Denn dann fliegen irgendwann die Steine - und danach die Kugeln."

    Wie Recht Goisern wieder mal hat.

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