George Ezra: Ein Goldjunge

Der Singer-Songwriter George Ezra in der Olympiahalle.
Moses Wolff |
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George Ezra live in der passabel gefüllten Olympiahalle.
George Ezra live in der passabel gefüllten Olympiahalle. © Jens Niering

Im Vorprogramm der introvertierte englische Songwriter "Passenger". Der trägt Vollbart und legt einen emotional unaufdringlichen Stimmungsteppich aus. Passenger steht alleine auf der Bühne und würzt seine Lieder mit Frohsinn, unter anderem unterbricht er sein Simon & Garfunkel-Cover von "Sounds of Silence" mit "This is a brand new song". Ein hübsches Späßchen, wenn man bedenkt, dass der Song bereits 20 Jahre existierte, bevor Passenger zur Welt kam. Aber jede Generation entdeckt Heroen der Vergangenheit für sich neu.

George Ezra betritt dann pünktlich um 21 Uhr die Bühne, im Hintergrund der Bühne umrahmen schiefe Leuchtstreifem ein Bergpanorama: "Anyone For You (Tiger Lily)" startet und die gesamte Halle singt sofort jedes Wort mit. Der Song endet mit dem leisen Trompetenton einer jungen Musikerin, die – wie die ganze Band – herzerfrischend uneitle, gewinnende Schüchternheit ausstrahlt. Ezra trägt seine Titel in relativ gut verständlichem Schul-Englisch vor, spricht bei den Zwischenansagen allerdings Ghettobritisch. Damit baut er eine sprachliche Brücke zwischen The Clash, David Bowie, Daniel Ratcliffe und Ricky Gervais.

"Brauchen wir nicht alle Liebe?"

Mädchen und Burschen kreischen immer wieder während der Show, Ezra löst Euphorie aus und lobt die begeisterte Zuschauerschaft zurecht als "Pretty Shining People" und lädt zum Choral ein. Der Saal stimmt ein: "Brauchen wir nicht alle Liebe? Die Antwort ist einfach. Ihr hübschen lächelnden Leute, wir sind zusammen, und das ist gut." Einfache, eingängige Worte, klare, stimmige Musik voller blumiger Nuancen von Pop über Country, Folk, Soul, Blues und Gospel. Übrigens: Der bereits mit einem Brit Award, einer Goldenen Kamera und mehrfachem Platin ausgezeichnete Musiker wurde am 7. Juni 1993 als Sohn zweier Pädagogen geboren und teilt damit seinen Geburtstag mit Dean Martin, Prince, Paul Gaugin, Tom Jones, Roberto Blanco und dem Verfasser dieses Textes.

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Ezras aktuelles Album heißt "Gold Rush Kid". Wieso hat er diese Metapher gewählt? Könnte jenes "Goldrauschkind" unter Umständen sein altes Ego sein? Vermutlich ja. Denn Ezra hat ein gewinnendes Lächeln, ein strahlendes Gemüt und gewiss ein goldiges Wesen. Gerade bei den neueren Songs lässt sich diese Seite des Künstlers erlauschen: Freude, Sonne und Besinnlichkeit.

Früher, so sagte er unlängst, sei er in seinem Schaffen manchmal etwas über das Ziel hinausgeschossen, habe zu viel auf einmal gewollt, was dem Vorgängeralbum aus dem Jahr 2018 "Staying At Tamara’s" in seinen Augen nicht gutgetan habe. Durch die für ihn in manchen Phasen sehr beängstigend wirkende Pandemie fand er Zeit zum Reflektieren und kam zu der Einsicht, dass Lebenszeit und Vergänglichkeit wichtige Faktoren sind. Denn Situationen können sich rasch ändern und manchmal kann ein gewohnter Zustand auf einen Paukenschlag vorbei sein.

George Ezra kommt absolut authentisch rüber

Gerade diese Endlichkeit der Dinge führten ihn zum Vergleich mit einem Goldrausch und zur Aussage: Erlebt man Glück, sollte man dieses in dem eigentlichen Augenblick genießen, in dem es einem widerfährt. Sein neues Album hat er in zwei Themenbereiche aufgeteilt, einen stimmungsvollen, ungehemmten mit tanzbaren Stücken, und einen zweiten, ruhigeren und nachdenklichen. Seine sonore, einprägsame, charismatische Stimme bringt diese Intension glaubwürdig und mitreißend zur Geltung.

Äußerlich kommt er ein bisserl rüber wie der junge Elvis, allerdings mit einer Narbe auf der Stirn, die er sich als Student am Bristol Music College zugezogen hat, als er allzu hastig zu einem Vortrag des Ramones-Schlagzeugers Marky Ramone eilte und versehentlich gegen eine Wand rannte. So saß er mit blutender Wunde im Hörsaal. Einige Stunden später bedauerten die Ärzte in der Notaufnahme, dass es nun zum Nähen zu spät sei. Deshalb die Narbe samt der dazugehörigen, hübschen Geschichte.

Ezra kommt absolut authentisch rüber, wie viele seiner britischen Kollegen hat er sich trotz des enormen Erfolges seine Spontaneität bewahrt. Wiederholt lockert er die Stimmung durch kleine, heitere Anekdoten auf. Diese Mischung aus Frohsinn und Melancholie gelingt ihm äußerst formidabel, auch musikalisch so mischen sich leichtfüßige Titel mit Balladen.
Das Lied "Green Green Grass" ist vor kurzem während eines Urlaubs auf einer Karibikinsel entstanden, als er mit Freunden gerade einen trinken war, und plötzlich mitreißende Musik erklang. Sie gingen den Geräuschen auf den Grund und landeten auf einer riesigen Straßenparty mit zahlreichen ausgelassen feiernden Menschen. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass sie auf einer Begräbnisfeier gelandet waren.

Dieser Umgang mit dem Tod und die damit verbundene Weltsicht imponierte dem Sänger enorm und er schrieb eben jenem lebensbejahenden Song, den er auch beim 70. Thronjubiläum der unlängst verstorbenen Königin von England vortrug. Um Skandale zu vermeiden, strich Ezra vorsichtshalber die Textzeile "Schmeißt am besten eine Party an dem Tag meines Ablebens". Wie die Queen war auch das Publikum in der Olympiahalle von George Ezras Show absolut amused.    

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