Interview

Ron Sexsmith im Interview: "Ich bin ein Dinosaurier"

Auch auf seinem neuen Album "The Vivian Line" erfüllt Ron Sexsmith wieder die höchsten Ansprüche.
Dominik Petzold
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"Ich fühle mich wie Huckleberry Finn", sagt Ron Sexsmith, der im ländlichen Ontario seinen inneren Frieden gefunden hat.
"Ich fühle mich wie Huckleberry Finn", sagt Ron Sexsmith, der im ländlichen Ontario seinen inneren Frieden gefunden hat. © Foto: Kerry Vergeer

Er ist einer der großartigsten Songwriter seiner Generation. Zu seinen Fans gehören Paul McCartney, Elvis Costello, Ray Davies und Elton John. Und auf dem neuen Album "The Vivian Line" erfüllt Ron Sexsmith wieder die höchsten Ansprüche. Viele Songs sind im Stil des Baroque Pop arrangiert - und die Melodien sind wundervoll, insbesondere bei "When Our Love Was New" und "Place Called Love".

AZ: Mister Sexsmith, ich kriege "Place Called Love" seit Tagen nicht aus dem Kopf. Sagen Ihnen die Leute so etwas häufig?
RON SEXSMITH: Ich habe es zumindest schon mal gehört, aber mir geht's mit den Liedern anderer genauso, die singe ich oft eine Woche lang vor mich hin. Melodien sind meine Superkraft. All meine Helden haben starke Melodien geschrieben.

Zum Beispiel?
Ray Davies von den Kinks, natürlich Lennon und McCartney, Gilbert O'Sullivan, Harry Nilsson. Auch meine R&B-Favoriten waren sehr melodisch, zum Beispiel Smokey Robinson oder Bill Withers. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als alle Lieder im Radio sehr melodisch waren, ob von Badfinger oder Stevie Wonder. Das hat mich immer angezogen.

An Ray Davies und die Kinks erinnern auf Ihrer neuen Platte gleich drei Songs sehr stark: "What I Had in Mind", "Outdated And Antiquated" und "A Barn Conversation". Eine bewusste Verbeugung?
Nein, das steckt einfach tief in mir drin. Wegen Ray wollte ich Songwriter werden. Als ich angefangen habe, dachte ich, ich hätte keine besonders gute Stimme. Ich habe mich dann an Ray orientiert, er singt eher stimmlos. McCartney dagegen war so ein technisch großartiger Sänger - ich wusste, dass ich da nie hinkäme.

"Ich habe kein Handy, höre Vinyl-Platten, bin in vielerlei Hinsicht ein Dinosaurier"

Der Ich-Erzähler in "Outdated And Antiquated" stellt sich als hoffnungslos altmodisch dar - oder sind Sie das selbst?
Ja. Ich mag Veränderungen nicht besonders. Ich habe kein Handy, höre Vinyl-Platten, bin in vielerlei Hinsicht ein Dinosaurier. In dem Song mache ich mich über mich selbst lustig. Aber viele können sich da wiederfinden. Jetzt, da ich älter werde, macht mir alles mögliche Angst: wie die Leute zahlen, wie sie sich verhalten - es ist eine Welt, die ich nicht mehr wiedererkenne.

Aber Sie sind selbst sehr aktiv auf Twitter.
Die Plattenfirma hat mich dazu überredet. Als ich anfing, hatte ich keine Ahnung, was ich da anstellen soll. Ich bin ein großer Fan alter Comedy von Groucho Marx oder Jack Benny, und ich habe immer diese dummen Witze im Kopf. Früher hatte ich kein Ventil dafür, und auf Twitter fing ich an, diese Witze aufzuschreiben. Mein Kanal wurde wie meine eigene Varieté-Show: Ich schreibe Witze, singe Lieder, spiele Sketche. Twitter kann ein sehr böser Ort sein, und ich wollte, dass meine Plattform ein freundlicher Ort ist. Dennoch wünschte ich mir, es wäre nie erfunden worden. Irgendwann steige ich aus.

Wieso?
Die Welt ist ziemlich düster, und ab und an mache ich den Fehler, mich politisch zu äußern. Und dann verbringe ich den ganzen Tag damit, Leute auf Twitter zu blockieren. Außerdem ist es nicht gut für meine seelische Gesundheit: Man erzählt einen Witz und schaut dann, ob er jemandem gefallen hat - ganz schön armselig. Und mit dem neuen Besitzer von Twitter bin ich auch nicht sehr glücklich.

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Ihr neues Album erinnert in großen Teilen an den Baroque Pop der Sechziger. Hatten Sie bei den Arrangements bestimmte Bands dieses Genres im Kopf?
Ja, die Kinks eben, die oft Cembalo einsetzten, die Zombies oder The Left Banke: Ich habe als Kind im Radio ihr Lied "Walk Away Renee" gehört - das war wahre Schönheit! Ich habe die neuen Songs zunächst nur mit der Gitarre aufgenommen und dem Produzenten Brad Jones geschickt, und er sagte, er höre da Bläser, Streicher und verschiedene Tasteninstrumente. Das hat mich begeistert. Seit "Whereabouts", meinem dritten Album, habe ich nicht mehr eine solche Platte gemacht.

"Ich fühle mich wie Huckleberry Finn"

Sie sind 2017 aus Toronto in die kleine Stadt Stratford im ländlichen Ontario gezogen. Hatte das Einfluss auf die Musik?
Ja, nach dem Umzug habe ich angefangen, wie verrückt zu schreiben, habe sogar ein Musical geschrieben. Das hat mit dem neuen Leben hier zu tun. Ich sehe Vögel im Garten, Eulen und Hasen, es ist so anders als in Toronto. Hier habe ich eine Art inneren Frieden gefunden, ich spaziere jeden Tag am Fluss entlang und fühle mich wie Huckleberry Finn.

Wie merken Sie sich die vielen Songs, die Sie schreiben?
Ich habe eine Inselbegabung, wenn es darum geht, mich an Songs zu erinnern. Ich kann mir zwar keine Namen merken, aber ich könnte in fünf Minuten auf die Bühne gehen und ein komplettes Konzert mit Bob-Dylan-Songs spielen, ohne ein einziges Wort zu vergessen. Bei Auftritten ist das praktisch: Wenn mir jemand einen Wunsch zuruft, kann ich den Song meistens spielen.

Apropos Bob Dylan. Er hat kürzlich "Die Philosophie des modernen Songs" veröffentlicht. Haben Sie als Songwriter das aus beruflichen Gründen gelesen?
Ein Freund von mir hatte das Buch auf dem Tisch liegen, ich habe etwas herumgeschmökert und er sagte, ich könne es ausleihen. Ich habe mich gefreut, dass Dylan über einen Song von Warren Zevon geschrieben hat, denn der ist in den letzten Jahren mein Lieblings-Songwriter geworden. Dylan war ein großer Fan von ihm - und mir hat er geholfen, durch die Pandemie zu kommen.

Warren Zevon und Sie haben etwas gemein: Viele berühmte Songwriter-Kollegen verehren Sie.
Und er hatte auch Probleme mit seiner Karriere, genauso wie ich.

Dafür haben Sie eben berühmte Fans wie Paul McCartney, Ray Davies oder Elton John. Was bedeutet ihnen das?
Alles. Ich habe nie viele Platten verkauft, aber ihre Unterstützung hat mir innerhalb der Musikbranche sehr geholfen. Als ich in den Neunzigern anfing, war es die alte Garde, die auf mich reagiert hat. Ansonsten lief nicht allzu viel für mich - also bedeutete mir das alles.

"Ich hatte keinen einzigen guten Song geschrieben, bevor ich Vater wurde"

Sie haben Ihr Album nach einer Straße in Stratford benannt und später festgestellt, dass ein Unternehmer namens MacManus diese Straße nach seiner Tochter benannt hatte. MacManus ist der bürgerliche Nachname von Elvis Costello, ihrem allerwichtigsten Förderer. Ein verrückter Zufall, oder?
Das ist seltsam. Als ob sich ein Kreis schließt. Elvis war für mich immer ein Freund, wir sind in Kontakt, schreiben uns E-Mails. Ich stehe für immer in seiner Schuld. Wenn er nicht 1995 mein Album empfohlen hätte, wäre ich heute vielleicht gar nicht hier.

Sie wurden schon mit 21 Vater. Hatte das einen Einfluss auf Ihre Karriere?
Ich hatte keinen einzigen guten Song geschrieben, bevor ich Vater wurde. Als dann mein Sohn geboren wurde, änderte sich alles. In unserer Wohnung in Quebec stand ein Klavier. Ich konnte gar nicht spielen, aber ich schrieb darauf meinen ersten echten Song, als mein Sohn ein paar Wochen alt war: "Speaking With The Angel". Und ich sagte zu meiner Partnerin: "Ich glaube, ich bin ein Songwriter. Wir müssen nach Toronto ziehen!" Davor wusste ich nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Es hat dann ein, zwei Jahre gedauert, bis wir das Geld beisammenhatten, um nach Toronto zu ziehen.

Und Sie mussten sicher einige Überzeugungsarbeit leisten.
Allerdings. Meine Familie war besorgt und meine Freunde hielten die Idee für lächerlich. In der Zeitung meiner Heimatstadt erschien ein Artikel über mich und meinen Traum, in die große Stadt zu ziehen und es in der Musikbranche zu schaffen. An dem Tag ging ich in eine Bar und hörte Leute lachen. Sie hatten den Artikel gelesen. Aber ich hatte diesen Traum. Es fühlte sich wie Schicksal an: Ich bin am selben Tag geboren wie Elvis Presley, und an sowas hält man sich eben, wenn es nichts Rationales gibt, an das man sich halten kann. Ich bin froh, dass ich mutig genug war, mit meiner Familie nach Toronto zu ziehen. Ansonsten wäre rein gar nichts passiert.


Ron Sexsmith: "The Vivian Line" (bei Cooking Vinyl/Indigo)

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