Ein Blues für Harfe und Herz
Die meisten Ideen, wir wissen es, führen zu rein gar nichts. Aber Christoph "Stofferl" Well hatte bei einer Autofahrt eine Idee, die im Lauf der Jahre gleich zu vielen Ergebnissen führte: alle höchst unterschiedlich, alle höchst wunderbar. Ein einzigartiges Musikstück ist entstanden, kranken Kindern wird geholfen, eine Ehe wurde gestiftet.
Ein Blues - an der Harfe improvisiert
Den Einfall, der all das auslöste, hatte er, als er von einem Konzert nach Hause fuhr. Da hörte sich der Multiinstrumentalist, der mit den Biermösl Blosn bekannt wurde und seit Jahren mit den Wellbrüdern spielt, einen Blues an, den er an der Harfe improvisiert und mitgeschnitten hatte. Es sei eigentlich schade, dachte er, dass jeder Blues nach ein paar Minuten schon wieder vorbei sei.
"Wie gerne würde ich einmal eine halbe oder dreiviertel Stunde so dahinblues'n", so ist im Booklet jenes Albums zu lesen, auf dem er sogar 49 Minuten lang dahinbluest. Er lud nämlich im Lauf der vergangenen sieben Jahre zahlreiche Musiker und Weggefährten ein, gemeinsam mit ihm den Blues und angeblueste Stücke zu spielen.
Soulige Moll-Akkorde, die den Unterschied machen
Zunächst nahm Gitarrist Nick Woodland mit seiner Band die Begleitung auf: In einer sehr langen Aufnahme variierten sie ihren Blues in Tonart, Temperament und Stil - und spielten nicht die bekannten immergleichen zwölf Takte, sondern am Ende jedes Durchgangs ein paar soulige Moll-Akkorde, die den entscheidenden Unterschied machten.
Zahlreiche Künstler interpretieren das Fundament
Mit diesem Fundament besuchte Stofferl Well die unterschiedlichsten Künstler, und die bauten darauf eigene Nummern, die sich wie Perlen an einer Kette aneinanderreihten: Barbara Dennerlein improvisiert an der Hammondorgel, der Zither Manä verbindet Stubenmusik mit Chuck Berry und La Brass Banda besingen und beblasen, wie "d' Sunn" aufgeht, Christiane Öttl reiht eindringlich "Was bin i" an andere existenzielle Fragen und Gerhard Polt spottet über die Konsumgesellschaftler, die alles haben wollen, außer den Tod ("Aber da werden sie noch spitzen!").
Auch Helge Schneider ist dabei
Helge Schneider wiederum fuhr vor einem Auftritt im Circus Krone bei Stofferl Well vorbei, trank einen Schnaps, nahm sich zwei herumliegende Schlegel und spielte am Vibraphon zwei perfekte Durchgänge. Dann improvisierte er noch Helge-Schneider-Gesang dazu ("Oh baby baby").
All diese Beiträge fließen höchst kunstvoll ineinander, und nahtlos fügen sich auch die Stücke ein, die unabhängig vom Grundblues der Band entstanden sind: Stofferl Well spielt unter anderem eine wunderschöne Ouvertüre, in der Debussys "Première Arabesque", Harfen-Wohlklang in Dur und bluesige Motive samt kerniger Septimen zusammenkommen.
Ein ununterbrochener "Open Harp Blues"
Georg Ringsgwandl besingt eine grattlige Gegend in München, in der die Kinder sofort zurückschlagen, die Toten Hosen auf Englisch "A good boy", der es nicht immer schafft, good zu sein, und Konstantin Wecker nochmal seinen tollen "Revoluzzer". So entsteht ein ununterbrochener "Open Harp Blues", und der bekommt seine besondere Note, weil Stofferl Well zu all diesen Aufnahmen die Harfe spielt, die vorher noch nicht als Bluesinstrument aufgefallen ist. Manchmal spielt er auch andere Instrumente wie Trompete - und allesamt extrem virtuos.
Vom hochbegabten Solotrompeter zum Harfenspieler
Als 18-Jähriger war der Hochbegabte schon Solotrompeter bei den Münchner Philharmonikern gewesen, doch aus gesundheitlichen Gründen hörte er mit dieser körperlich fordernden Tätigkeit auf und begann ein Harfenstudium. Denn er lebt seit seinem 15. Lebensjahr mit einer neuen Herzklappe.
Womit wir beim nächsten wunderbaren Ergebnis dieses "Open Harp Blues" wären: Als Well mit dem Projekt begann, sah er eine Fernsehdokumentation über das "Salam Herzchirurgie-Zentrum" im Sudan, in dem Kinder aus ganz Afrika unentgeltlich neue Herzklappen erhalten. Und Well beschloss, dass alle Erlöse des Albums an dieses Projekt gehen sollen.
Verzicht auf die Gage
Alle beteiligten Musiker verzichteten deshalb auf eine Gage. So profitieren also nicht nur die Zuhörer von diesem tollen, originellen Album, an das alle Beteiligten mit weitem, offenem Herzen herangingen - angefangen mit Stofferl Well: Er hatte die Tontechnikerin Beate Dichtl gefragt, ob sie ihn - unentgeltlich wie alle anderen - bei den Aufnahmen unterstützen würde. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit erwähnt Stofferl Well lakonisch im Booklet: "Die Aufnahmen mit ihr waren dann so harmonisch, dass sie jetzt Beate Well heißt."
Christoph "Stofferl" Well: "Open Harp Blues" (CD, LP und Download bei Trikont)