Der zweite Abend des Cleveland-Orchestras unter Franz Welser-Möst
Als der Höhepunkt der Verklärung erreicht ist, schreitet Anja Harteros in Abendrobe feierlich auf die Bühne des Großen Festspielhauses. Damit wird der Schluss von Richard Strauss’ Tondichtung „Tod und Verklärung“ gleichsam zur Begleitmusik ihres Auftrittes. Ohne, dass nach dem Instrumentalstück applaudiert würde, beginnt sofort danach das erste der „Vier letzten Lieder“. Sowohl die frühe Tondichtung als auch die späten Gesänge werden somit präsentiert wie eine Art virtuellen Musikdramas: einem symphonischen Vorspiel folgen sozusagen vier Monologe.
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Das ist eine schlüssige Anordnung, weil das hymnische Verklärungsmotiv in beiden Stücken vorkommt und somit eine konkret greifbare Beziehung zwischen dem jungen und dem alten Richard Strauss hergestellt wird. Zudem sind auch noch die Tonarten C-Dur und c-moll bekanntlich wesensverwandt. Gleichzeitig stellt diese Programmidee Franz Welser-Mösts aber auch einen schwerwiegenden Eingriff in beide Stücke dar, da ihre Konzeption als unabhängige Werke zerstört wird. Außerdem geht die Reihenfolge der sogenannten „Vier letzten Lieder“, die nicht ursprünglich als derjenige Zyklus gedacht waren, gar nicht auf den Komponisten zurück, sondern auf eine nachträgliche Entscheidung des Verlegers.
Und doch hat diese Kopplung trotz aller Bedenken an diesem Abend eine hohe innere Plausibilität, weil Anja Harteros an ihre meisterlichen Verkörperungen der großen Opernrollen von Richard Strauss anknüpfen kann. Sie trägt diese Gesänge nicht liedhaft intim vor, sondern mit großer Stimme als heimliche Arien. Deutlich zu hören ist auch, dass sie das eigentlich gerne noch satter aussingen würde, in noch viel weiter aufgespannten Bögen, und besonders im ersten Lied „Frühling“ bräuchte ihr so betörend schwebender Sopran auch noch mehr Zeit, um räumlich ganz auszugreifen.
Versöhnliche Deutung
Eben diese will ihr Welser-Möst anfangs nicht zugestehen, erst allmählich geht er auf ihre diskreten Wünsche ein, versucht weniger, seine eigenen Tempovorstellungen durchzusetzen und stärker, der Solistin zu folgen. Ab dem „September“ geht alle Macht von der Harteros aus. „Im Abendrot“ malt dann ein vollends hypnotisches Bild von Jenseitsahnung, zusammengesetzt aus feinsten mimischen, sprachlichen und gesanglichen Details.
Orchestral funktioniert diese Werkklitterung nicht ganz so bruchlos wie quasi-szenisch. Zu den späten Gesängen passt das für das Cleveland Orchestra unter seinem Langzeitchef Welser-Möst typisch weiche Sfumato ziemlich gut, man könnte sich die Begleitung freilich auch distinkter vorstellen. In „Tod und Verklärung“ hingegen führt die Unschärfe der Artikulation schnell zu Verharmlosungen. Alle Gruppen sind versöhnlich eingebunden, keine tritt einmal hervor, selbst die Posaunen stechen die krampfauslösenden Motive eher vorsichtig in das orchestrale Fleisch – es ist offenkundig kein sehr mühevoller Tod, den das symphonische Subjekt in dieser Version stirbt, eher wirken Siechtum und Ableben weichgezeichnet: schon von der späteren Verklärung her aufgefasst. Umgekehrt lässt Welser-Möst deren berühmtes Motiv in den wilden Passagen noch nicht breit erklingen, sondern erst nur als ziemlich rasch vorbeifließende Ahnung innerhalb des Todeskampfes.
Kontraste sind Welser-Mösts Sache also nicht. Dafür sind seine Bewegungen zu rund, zu ausgeglichen. Selbst in den vertrackten schnellen Sätzen der „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ von Béla Bartók gibt er bewusst großzügige Schlageinheiten vor, innerhalb derer die Musiker sich frei entfalten können; Punktgenauigkeit im Zusammenspiel ist ihm, scheint es, nicht so wichtig, er pflegt ein dirigentisches Laissez-faire. Noch die widerspenstigsten Spielfiguren, die aufregendsten Rhythmen kommen nonchalant daher, die Energie befindet sich stets auf gemäßigtem Level, von Aggressivität gar ist nichts zu spüren. Dies ist zweifellos eine Geschlossenheitsleistung auf höchstem Niveau. Doch, ob Todeskampf bei Strauss oder Tatenlust bei Bartók: In diesen Realisierungen bleiben entscheidende Dimensionen der Werke unberührt.
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