Der erste Abend mit dem Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst
Salzburger Festspiele: Das Cleveland Orchestra gastiert unter seinem Chef Franz Welser-Möst mit Richard Strauss, Leila Josefowicz spielt Thomas Adès
"Gershwin!“, flüstert eine Dame im Publikum zu ihrer Nachbarin, ein paar Sekunden, nachdem das Orchester angefangen hat zu spielen, und, was soll man sagen: Sie hat recht. In Thomas Adès‘ drei Tänzen aus der Oper „Powder Her Face“ (1995/2007) erscheinen außerdem noch Vaudeville-Anklänge, allerlei populäre Tänze mit schleimig hochfahrenden Streichern sowie eine große Portion Leonard Bernstein.
Nun ist gegen Zitate, Stilkopien, den Eklektizismus überhaupt nichts einzuwenden, solange er, wie etwa bei Bernstein, reflektiert eingesetzt wird und eine eigene Position eines Komponisten hinzukommt. Bei dem 1971 geborenen Briten jedoch wird das fremde Material, ganz ähnlich übrigens wie bisweilen bei seinem deutschen Generationenkollegen Jörg Widmann, nur ein wenig aufgehübscht und dann zum Zeitfüllen eingesetzt. Letztlich ist das Kunstgewerbe für‘s Promenadenkonzert.
Für die Spieler ist das, anders, als es der schnelle Erfolg vermuten lässt, höchst problematisch. Das Cleveland Orchestra führt die Rhythmen exakt aus, die Koordination der Gruppen ist überlegen, es gibt immer wieder einmal dankbare Solostellen. Doch die Tänze werden nie getanzt, also körperlich empfunden, die Musiker wirken so unbeteiligt wie ihr Dirigent Franz Welser-Möst, der doch mit den Clevelandern so lange und glücklich zusammenarbeitet.
Aufblühen mit Richard Strauss
Auch Adès Violinkonzert „Concentric Paths“ von 2005 lockt keinen aus der Reserve, so sehr sich Leila Josefowicz mit ihrem so diskreten, dabei durchsetzungsfähigen Ton und feingliedrigen Spiel auch ins Zeug legt. Trotz seiner Kürze ermüdet dieses Stück alle Beteiligten (die Dame schaut verstohlen auf die Uhr), weil zu lange am einmal Vorgefundenen festgehalten wird und die Atmosphäre kaum über einen pauschalen, leicht esoterisch angehauchten New Age-Minimalismus hinauskommt. Weder technisch, noch tonlich, noch emotional kann Josefowicz zeigen, was sie kann. Letztlich stört die Seelenlosigkeit übrigens weniger als die Geistlosigkeit. Adès wagt nichts und gewinnt auch nichts. Damit aber sind diese Stücke, genau betrachtet, überflüssig.
Der Vergleich Adès mit Richard Strauss mag unfair sein. Aber es ist halt einfach nicht zu überhören, wie das fabelhafte Cleveland Orchestra in der „Symphonia domestica“ auf einmal aufblüht. Unvergleichlich ist die Geschlossenheit des Tuttis, die Geschmeidigkeit, mit der die einzelnen Gruppen nobel zusammentreten. Was Welser-Möst jedoch vernachlässigt, ist zum einen die für Strauss so typische Gestik: Die einzelnen Motive bleiben flach, werden nicht zu prägnanten Figuren. Zum anderen versäumt es der eigentlich doch so renommierte Strauss-Dirigent ein weiteres Mal, die Mehrdimensionalität einer Straussschen Partitur so plastisch zu verwirklichen wie jüngst Kirill Petrenko in München.
Es wird zu wenig zwischen bloßen Ornamentstimmen und instrumentalen Hauptdarstellern differenziert, auch gehen viele rhythmische Widerspenstigkeiten in den Bläsern verloren, das Holz wird sogar bisweilen richtiggehend weggeschwemmt. Welser-Möst könnte einmal studieren, wie musiktheatralisch etwa Clemens Krauss, vor allem aber der Komponist selbst diese heimliche Instrumentaloper realisiert haben.
Dass der gebürtige Linzer Welser-Möst ausgerechnet in der österreichischen Heimat die Zugabe (einen belanglos netten Walzer A-Dur aus Antonin Dvoráks op. 54) auf englisch ankündigt, findet unsere Dame „abgehoben“. Man könnte es auch affig nennen. Das war wohl eher für die amerikanische Delegation im Parterre des Großen Festspielhauses bestimmt als für das heimische Publikum.
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