Kritik

Der Konzertsaal verfolgt Simon Rattle bis nach Korea

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gastiert in Asien. Dabei versucht das Orchester nicht nur Konzerte zu geben, sondern auch nachhaltig zu wirken
Marco Frei |
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Ankunft in Korea.
BR/Astrid Ackermann 4 Ankunft in Korea.
Simon Rattle mit dem Pianisten Seong-Jin Cho.
BR/Astrid Ackermann 4 Simon Rattle mit dem Pianisten Seong-Jin Cho.
Pressekonferenz mit Simon Rattle in Seoul.
BR/Astrid Ackermann 4 Pressekonferenz mit Simon Rattle in Seoul.
Die Flötistin Ivanna Ternay bei einem Meisterkurs in Seoul.
BR/Astrid Ackermann 4 Die Flötistin Ivanna Ternay bei einem Meisterkurs in Seoul.

Eine Tournee nach Asien will sinnstiftend geplant sein. Das pure Abspielen von Konzerten an unterschiedlichen Orten reicht heute nicht mehr aus. Zwar fördern gerade Konzerte in Übersee den interkulturellen, internationalen Austausch, sind zudem für Orchester eine essenzielle Schulung für den eigenen sozialen Zusammenhalt und die Spielkultur. Aber: In Zeiten von Debatten rund um Klimaschutz und soziale Verantwortung ist Nachhaltigkeit das zentrale Schlagwort.

Seit der Corona-Pandemie werden unterschiedliche Konzepte entwickelt, um Orchester-Tourneen nachhaltiger zu machen. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks setzt bei der Nachwuchsförderung an. Auf der gegenwärtigen Asien-Tournee, der ersten nach sechs Jahren infolge der Pandemie und der ersten lange Reise mit ihrem Chefdirigenten Simon Rattle, unterrichten viele Mitglieder junge Talente. Das gab es auch schon früher, aber diesmal ist das Angebot breiter, ausgefeilter und kooperativer.

Meisterkurse in Seoul

Schon beim Auftakt im südkoreanischen Seoul unterrichteten Orchestermitglieder in zwei großen Institutionen: die Korean National University of Arts (KNUA) sowie die Akademie des Korean National Symphony Orchestra (KNSO).

Ankunft in Korea.
Ankunft in Korea. © BR/Astrid Ackermann

Der Kontakt zur Universität der Künste entstand durch die Geigerin Jehye Lee. Sie stammt aus Seoul, war von 2012 bis 2023 festes Mitglied beim BR-Symphonieorchester und lehrt seit 2023 an der KNUA, wo auch Thomas Reif, ein Konzertmeister des BR-Symphonieorchesters, unterrichtete. Ein besonderer Schwerpunkt waren indessen die Meisterkurse für Studierende der KNSO-Akademie. Diese Akademie existiert seit fünf Jahren und wird, wie das Orchester selber, vom südkoreanischen Staat finanziert.

In der Vergangenheit gab es dort bereits Meisterkurse mit den Berliner Philharmonikern oder dem London Symphony Orchestra. Diesmal unterrichteten 17 Musikerinnen und Musiker des Orchesters 18 Studierende der KNSO-Akademie. Die 24-jährige Chae Yoon Kwak wurde von der Flötistin Ivanna Ternay betreut, und da ging es viel um die Öffnung des Klangs durch eine bewusstere Wahrnehmung des eigenen Körpers.

Lockerer werden

In Seoul fiel auf, dass alle Studierenden mit denselben Problemen zu kämpfen hatten, was fast schon auf eine Kollektiv-Mentalität schließen ließ. Im Unterricht des Cellisten Hanno Simons ging es darum, im Cellokonzert Nr. 2 von Joseph Haydn buchstäblich die Zügel zu lockern und Mut zu direkter Virtuosität zu entwickeln.

Nach 90 Minuten wirkten die Jungtalente in der Körpersprache und im Klang wie ausgewechselt, was manche auch an sich selber bemerkten. "In der kurzen Zeit habe ich für mich eine Änderung spüren können", berichtete Chae Yoon Kwak. Warum sie den Meisterkurs bei Ivanna Ternay besuchen wollte? "Weil für mich das BRSO das beste Orchester ist", erwiderte sie prompt - ganz ohne Zurückhaltung.

"Wie steht es um den Konzertsaal?"

Diese Liebeserklärung an das BR-Symphonieorchester war allgemein präsent in Seoul. Beim Auftakt der großen BR-Asientour war das öffentliche Interesse gewaltig, wie schon eine Pressekonferenz in Seoul mit Simon Rattle zeigte. Manche Frage offenbarte überdies, wie genau und zugleich kritisch in Asien die aktuellen Entwicklungen im Kulturleben Bayerns beobachtet werden.

Pressekonferenz mit Simon Rattle in Seoul.
Pressekonferenz mit Simon Rattle in Seoul. © BR/Astrid Ackermann

"Wie steht es um den neuen Konzertsaal in München?", wollte ein Journalist von Rattle wissen. Die Stadt München und die Orchester vor Ort verdienten eine Lösung, so Rattle. Noch dazu bestehe, wegen des ausbleibenden Generalsanierung der Gasteig-Philharmonie, ein "Notfall".

Das geplante Konzerthaus am Ostbahnhof sei entschieden, klärte Rattle in Seoul auf. "Zur Richtigkeit gehört aber auch, dass es zehn Jahre dauern wird, bis es steht. Unsere Arbeit besteht jetzt darin zu sagen: Bitte bewegt euch!" Sein Fazit in Seoul: "Ein erster Spatenstich würde uns alle besser fühlen lassen. Ist es also bestätigt? Politisch ja, aber in der Realität - mmh." Lautes Gelächter auf der Pressekonferenz.

Singuläre Klangkultur

Und die zwei Konzerte in Seoul? Die waren genauso überfüllt wie die Pressekonferenz. Der südkoreanische Klaviersolist Seong-Jin Cho wird in seiner Heimat gewiss verehrt wird wie Lang Lang in China. Aber: In Seoul wurden vor allem Rattle und sein Orchester mit Jubelstürmen gefeiert, obwohl die zwei Programme für das breite Publikum vor Ort durchaus schwere Kost waren.

Simon Rattle mit dem Pianisten Seong-Jin Cho.
Simon Rattle mit dem Pianisten Seong-Jin Cho. © BR/Astrid Ackermann

Zum Start gab es einen Brahms-Abend mit dem Klavierkonzert Nr. 2 und der Symphonie Nr. 2. Wenn diese Musik derart fließend und luzid interpretiert wird, wie eine Kammermusik im Großen, fällt in Seoul jede noble Distanz. Mit der Neunten von Anton Bruckner, gekoppelt mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 und Anton Weberns Orchesterstücken op. 6 ging es für Südkorea ungewöhnlich weiter. Bruckner als Vordenker der Moderne eines Webern: Dies war das aufregende, den Expressionismus ins Visier rückende Konzept Rattles.

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Nichts wurde hier breit zelebriert, fließend, teils auch flott die Tempi, was an Günter Wand oder Bernard Haitink erinnerte. Die Klangkultur der BR-Truppe ist singulär, und dafür wurde sie in Seoul gefeiert. Die große Prüfung steht noch bevor: Gastspiele in Japan.

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