Kritik

So nett wie Simon Rattle ist Bruckner nicht

Der Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters scheitert in der Isarphilharmonie an der Symphonie Nr. 9.
Robert Braunmüller
Robert Braunmüller
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
2  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Simon Rattle und das BR-Symphonieorchester in der Isarphilharmonie.
Astrid Ackermann 3 Simon Rattle und das BR-Symphonieorchester in der Isarphilharmonie.
Die beiden Schlagzeuger Christian Pilz und Guido Marggrander mit Bürsten am Klavier in Ligetis "Atmosphères".
Astrid Ackermann 3 Die beiden Schlagzeuger Christian Pilz und Guido Marggrander mit Bürsten am Klavier in Ligetis "Atmosphères".
Simon Rattle und das BR-Symphonieorchester in der Isarphilharmonie.
Astrid Ackermann 3 Simon Rattle und das BR-Symphonieorchester in der Isarphilharmonie.

Feierlich, wie von Anton Bruckner gewünscht, war der Beginn der Neunten nicht. "Misterioso"-Stimmung? Fehlanzeige. Und weil der vom Komponisten gewünschte Piano-Einsatz der ersten Motivfragmente über dem Streichertremolo offenbar unspielbar ist, kann man über das hier bereits erreichte Mezzoforte nur resignierend die Achsel zucken: Es geht halt nicht. Aber muss gleich das erste Fortissimo in der Isarphilharmonie eine Lautstärke erreichen, nach der kaum mehr eine Steigerung möglich scheint?

Simon Rattle hat sich bisher kaum für Bruckner interessiert. Seine wenigen Aufführungen und Einspielungen haben auch wenig Eindruck hinterlassen. In München trifft er nun auf eine starke Bruckner-Konkurrenz und -Tradition. Und da muss man nüchtern feststellen: An die bis ins Letzte ausgefeilte Aufführung der gleichen Symphonie Anfang September mit den Münchner Philharmonikern unter ihrem designierten Chef Lahav Shani reichte Rattles Neunte mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nicht heran. Und zwar nicht einmal entfernt, weil der Dirigent nicht deutlich machen kann, was ihn an dieser Musik interessiert.

Zu nüchtern und zu glatt

Shani nahm sich Zeit und ließ jede Linie gleichsam improvisiert entstehen. Rattle wählte rasche Tempi. Was nicht falsch sein muss. Aber es sollte etwas entstehen - beispielsweise eine Dramaturgie des Konflikts. Und nicht nur hurtige Oberflächlichkeit.

Simon Rattle und das BR-Symphonieorchester in der Isarphilharmonie.
Simon Rattle und das BR-Symphonieorchester in der Isarphilharmonie. © Astrid Ackermann

Rattle ließ auch Stellen vorübergleiten, die einen ausgewiesenen Mahler-Dirigenten wie ihn interessieren müssten: die fahle, trauermarschartige Episode mit den gestopften Hörnern nach dem Durchbruch des Hauptthemas in der Durchführung etwa. Immerhin hob er danach den schattenhaften Zerfall des Triolenmotivs ein paar Partiturseiten später hervor, bei dem er das Tempo zurücknahm.

Aber danach ging es gleich wieder sehr nüchtern und zugegebenermaßen auch sehr transparent weiter. Im Scherzo erwies sich Rattles Desinteresse am Schwergewichtigen als Gewinn. Im Adagio hob Rattle zwar die schrille Dissonanz auf dem Satzhöhepunkt hervor. Aber der zu diesem Schmerzens- und Verzweiflungsschrei führende Prozess wurde nicht deutlich.

Ein grundsätzliches Missverständnis?

Stattdessen gab es viel Schönklang, G-Saiten-Sonorität, Bläsermacht und allerlei anderen Vorführungen orchestraler Qualitäten, die zumindest am ersten Abend sehr selbstzweckhaft wirkten. Bruckners zerstörerische Energie und seine Greisen-Radikalität machte Rattle nicht hörbar. Alles blieb nett und verbindlich, hell und freundlich. Was auch immer Bruckners Musik bedeuten mag: Das ist sie gewiss nicht.

Womöglich handelt es sich um ein grundsätzliches Missverständnis. Vor der Pause ordnete Rattle die Neunte als eine Art Missing Link zwischen Wagner und György Ligetis "Atmosphères" ein - lauter Werke, die vor allem auf Klang setzen und weniger auf Konflikt - Weberns Orchesterstücke op. 8 einmal ausgenommen.

Die beiden Schlagzeuger Christian Pilz und Guido Marggrander mit Bürsten am Klavier in Ligetis "Atmosphères".
Die beiden Schlagzeuger Christian Pilz und Guido Marggrander mit Bürsten am Klavier in Ligetis "Atmosphères". © Astrid Ackermann

Hier motivierte Rattle die Musikerinnen und Musiker zu höchster Subtilität - das etwas rohe Blech-Fortissimo im "Lohengrin"-Vorspiel ausgenommen. Beim Vorspiel und dem Liebestod aus "Tristan" fand Rattle zu einem symphonischen Bogen, der seinen bisherigen Bemühungen um diese Stücke abging.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Weshalb man die Hoffnung nicht aufgeben sollte, dass auch bei Bruckner der Knoten platzt. Auch Rattles Vorgänger Mariss Jansons brauchte dafür einige weniger gelungene Aufführungen.


Das Konzert als Video- und Audiostream bei BR Klassik

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
2 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Chroniker am 16.11.2024 21:45 Uhr / Bewertung:

    Danke, dass Sie nicht so um den heißen Brei herumreden wie der Kollege von der Konkurrenz. Ich glaube, als Chefdirigent des BRSO muss Rattle – für ihn und für uns leider – gerade im Bruckner-Jahr diesen auch mal spielen. Einen anderen Grund für die Aufführung kann ich nicht erkennen. Gut, dass sich am Freitag auch im Publikum Unmut darüber regte. In puncto Bruckner ist Rattle auf jeden Fall der würdige Nachfolger von Mariss Jansons.

  • FredC2 am 15.11.2024 21:39 Uhr / Bewertung:

    War mir alles so gar nicht aufgefallen. Aber da, wo ich es jetzt schwarz auf weiß lese...

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.