Der Einspringer Joseph Bastian triumphiert
So entstehen Karrieren. Man muss nicht gleich an Rudolf Kempe, Sir Colin Davis oder Andris Nelsons erinnern. Das könnte übertrieben wirken. Doch es bleibt die Tatsache, dass der Bassposaunist Joseph Bastian, Mitglied des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, auf äußerst souveräne Weise als Dirigent ein Programm des kurzfristig erkrankten Robin Ticciati übernommen hat – und dieses Einspringen in einen künstlerischen Triumph verwandeln konnte. Am Schluss des Konzertes weigern sich die Blechbläser, aufzustehen – sie wollen so ihrem Kollegen Joseph Bastian den Tribut zollen. Recht so!
Es hätte nicht gereicht, hätte der Einspringer einfach das Programm heruntertaktiert. Diese Aufgabe hätten viele Dirigierstudenten übernehmen können. Nein, Joseph Bastian hatte sich schon vorher für diese ehrenwerte Aufgabe qualifiziert; schließlich nahm er bereits erfolgreich an Wettbewerben teil, assistierte keinem Geringen als Mariss Jansons und sammelte auch ansonsten einschlägige Erfahrungen am Dirigierpult. Und doch: Hier ist etwas geschehen. Ein professioneller Orchestermusiker – er muss zur Elite gehören, wenn er in diesem Ensemble spielen will –, ist zum Dirigenten geworden. Es liegt Aufbruchsstimmung in der Luft, als die Hörer und Kritiker die Philharmonie verlassen.
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Warum war Joseph Bastian so gut? Genau deshalb, weil er jeden dirigentischen Ehrgeiz vergessen konnte. Es wäre ja verständlich gewesen, wenn er zeigen hätte wollen, dass er ein ernstzunehmender Taktschläger ist. Stattdessen tat er, was tatsächlich nur er kann: Er musizierte mit seinen Kollegen, voller Respekt, aber auch mit Autorität. Die Serenade Nr. 2 von Johannes Brahms kann man nicht angenehmer spielen. Der Musiziergestus gewinnt unendlich dadurch, dass hier ein genuiner Orchestermusiker – gerade nicht ausdrucksstark musizieren will. Dasselbe gilt für Edward Elgars „Enigma-Variationen“. Die berühmte hymnische „Nimrod“-Variation ist durch einen einzigen, langen Atem beseelt. Bravo!
In den „Sieben frühen Liedern“ Alban Bergs kann sich die englische Sopranistin Sally Matthews voll entfalten. Die wunderschöne Stimme verströmt sich ungehindert, vielleicht ein wenig auf Kosten der Sprache. Hier agiert Joseph Bastian noch einen Tick zu milde. Nun muss dieser Dirigent weitere Erfahrungen sammeln. Sein Orchester sollte sie ihm in naher Zukunft ermöglichen.
Noch einmal heute, Samstag, 19 Uhr im Gasteig. Ein Stream des Konzerts auf br-klassik.de