Der dritte Abend von Valery Gergievs Strawinsky-Zyklus im Gasteig
Zeichen der Freundschaft und ein triumphaler Auftritt: Der dritte Abend von Valery Gergievs Strawinsky-Zyklus mit „Le sacre du printemps“ und Daniil Trifonov als Solist im Concerto für Klavier in der Gasteig-Philharmonie
Die Bläser spielen einen melancholisch düsteren russischen Choral. Der Pianist, eben wie ein Musterschüler aufgetreten, hört ruhig zu. Dann holt er aus und drischt eine wilde Grotesktanzmusik. Igor Strawinsky hat das komponiert, als sprängen Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale nackt auf den Altar.
Wenn Daniil Trifonov die heftigen Wendungen und mordsschweren Seltsamkeiten von Igor Strawinskys Concerto für Klavier und Blasinstrumente aus dem Jahr 1924 hinlegt, versagen einem die Worte. Er spielt völlig entfesselt, zuckt mit Armen und Beinen, als sei in seinen Nachmittagskaffee ein seltsames Pülverchen geraten. Dabei bleibt er absolut präzise, genau und kontrolliert. Als Zugabe gab es Strawinskys Rondoletto und anschließend den „Dance infernale“ aus dem „Feuervogel“ – extrem und mit fliegenden Händen, dass einem die Spucke wegblieb.
Der neue Horowitz
Dem 23-Jährigen eilt der Ruf voraus, ein zweiter Horowitz zu sein. Das ist nach dem Eindruck dieses Konzerts eher noch untertrieben. Die ausverkaufte Philharmonie stand Kopf, einem begeisterten Amerikaner hinter dem Berichterstatter fielen zwischen dröhnenden Bravo-Rufen nur noch F-Worte ein, so hin und weg war er. Ob Trifonov auch Mozart kann, wissen wir bald: Am 3. Juni spielt er im Gasteig das Klavierkonzert KV 466 mit der Academy of St. Martin in the Fields.
Konnte danach noch etwas kommen? Valery Gergiev und das Orchester des Mariinski Theaters St. Petersburg hatten den dritten Abend des Strawinsky-Zyklus solide, aber nicht überragend begonnen: Strawinskys Symphonie in C fehlte die nötige Trennschärfe und die neoklassizistische Kaltschnäuzigkeit.
Das Hauptwerk, „Le sacre du printemps“ gelang dem Orchester und seinem Chefdirigenten hingegen exemplarisch. Strawinskys Beschwörung archaischer Naturkräfte und eines vorzivilisatorischen Rituals wurde nicht als als Reißer missbraucht. Der Mann an der Pauke wählte konsequent harte Schlegel und betonte so die animalische Modernität. Das Blech hatte Wucht, ohne zu dröhnen. Gergiev präparierte mit extremen Tempi und satten Farben die mythische Dimension dieses modernen Meisterwerks heraus. Über die Verzögerung vor dem Schluss-Schlag mag man streiten, aber Effekt macht sie. Überwältigend!
Zugaben-Politik
Als Zugabe die Überraschung: Das Vorspiel zum ersten „Lohengrin“-Akt, makellos, mit einem wunderbar warmen Orchesterklang und einer organisch entwickelten Steigerung. Eigentlich eine Provokation, weil Strawinsky Wagner geradezu hasste.
Also muss man diese Wahl wie die Zugabe der Ouvertüre zu Verdis Oper „Die Macht des Schicksals“ am Vorabend vor dem Hintergrund von Gergievs Brief ans Publikum der Münchner Philharmoniker lesen: als Bekenntnis zu einer gesamt-europäischen Musikkultur und Verbeugung vor dem deutschen Publikum nach dem Streit um seine Sympathie für Putin. Der Mann ist wahrlich ein großer Diplomat. Es lebe die deutsch-russische Freundschaft – gegen alle Mißverständnisse. (Aber bitte keine krummen politischen Touren auf Kosten der Nachbarn...!)