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Von Nemo bis Isaak: Die Highlights des ESC 2024 in Malmö – Politik, Musik und Überraschungen

Der "Eurovision Song Contest" 2024 hat mit Nemo aus der Schweiz einen Gewinner gefunden. Das Publikum korrigiert Entscheidungen der Fachjurys und vermittelt trotz aller Proteste das Bild eines offenen und toleranten Europa.
Robert Braunmüller
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Nemo aus der Schweiz jubelt nach dem Gewinn im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 mit seinem Titel "The Code".
picture alliance/dpa 8 Nemo aus der Schweiz jubelt nach dem Gewinn im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 mit seinem Titel "The Code".
Junge Leute demonstrieren in der Innenstadt gegen die Teilnahme Israels am Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024.
picture alliance/dpa 8 Junge Leute demonstrieren in der Innenstadt gegen die Teilnahme Israels am Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024.
Die propalästinensiche Klimaaktivistin Greta Thunberg wird von der Polizei während einer Protestkundgebung im Rahmen des Eurovision Song Contest abgeführt.
picture alliance/dpa/TT News Agency/AP 8 Die propalästinensiche Klimaaktivistin Greta Thunberg wird von der Polizei während einer Protestkundgebung im Rahmen des Eurovision Song Contest abgeführt.
Isaak aus Deutschland tritt mit dem Titel "Always On The Run" auf der Bühne beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 in der Malmö Arena auf. Der größte Gesangswettbewerb der Welt steht unter dem Motto "United By Music". +++ dpa-Bildfunk +++
picture alliance/dpa 8 Isaak aus Deutschland tritt mit dem Titel "Always On The Run" auf der Bühne beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 in der Malmö Arena auf. Der größte Gesangswettbewerb der Welt steht unter dem Motto "United By Music". +++ dpa-Bildfunk +++
Slimane sang den Titel "Mon amour" in der Malmö Arena-
picture alliance/dpa 8 Slimane sang den Titel "Mon amour" in der Malmö Arena-
Isaak aus Deutschland beobachtet im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 die Punktevergabe.
picture alliance/dpa 8 Isaak aus Deutschland beobachtet im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 die Punktevergabe.
Der Dirigent Paavo Järvi ist ESC-Fan.
picture alliance / dpa 8 Der Dirigent Paavo Järvi ist ESC-Fan.
Baby Lasagna (r.) aus Kroatien tritt mit dem Titel "Rim Tim Tagi Dim" auf der Bühne beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 in der Malmö Arena auf.
picture alliance/dpa 8 Baby Lasagna (r.) aus Kroatien tritt mit dem Titel "Rim Tim Tagi Dim" auf der Bühne beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 in der Malmö Arena auf.

Natürlich ist der ESC unpolitisch wie eine Kochshow. Aber schon die Tatsache, dass hier Nationalstaaten gegeneinander antreten, könnte ein Hinweis sein, dass das Politische nie ganz draußen bleibt. Außerdem haben uns die Achtundsechziger gelehrt, dass es nichts Unpolitisches gibt, vor allem in hochpolitischen Zeiten wie den unseren.

Das Schöne ist, dass die vom ESC-Finale in Malmö vermittelten Botschaften letztendlich optimistisch stimmen, was gesellschaftliche Veränderungen angeht. Sieger wurde die Schweiz mit "The Code" von Nemo, einem sehr flotten Party-Song und einem perfekt auf einer drehenden Platte getanzten Auftritt. Darüber waren sich die Länder-Jurys und das Publikumsvoting per Telefon und SMS ziemlich einig.

Slimane sang den Titel "Mon amour" in der Malmö Arena-
Slimane sang den Titel "Mon amour" in der Malmö Arena- © picture alliance/dpa

Israel als deutscher ESC-Kandidat der Herzen

Nemo identifiziert sich als nicht-binär ("Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau"). Und dazu kann man wie die Jury und das Publikum nur sagen: Na und?! Wenn's ihm Spaß macht? Könnte es sein, dass die Mehrheit der Leute viel entspannter mit solchen Themen umgehen, als viele Konservative und Reaktionäre, die von Gender-Themen geradezu besessen sind?

Das internationale Publikumsvoting glich manche Entscheidung der nationalen Fach-Jurys aus: etwa beim im Vorfeld favorisierten Kroaten Baby Lasagna, der ohnehin einen Sonderpreis für seinen Gaga-Namen verdient hätte. Die Jurys mochten seinen Song "Rim Tim Tagi Dim" weniger. Doch das Publikum hievte diese mediterrane Partymusik letztendlich auf Platz zwei in der Gesamtwertung.

Baby Lasagna (r.) aus Kroatien tritt mit dem Titel "Rim Tim Tagi Dim" auf der Bühne beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 in der Malmö Arena auf.
Baby Lasagna (r.) aus Kroatien tritt mit dem Titel "Rim Tim Tagi Dim" auf der Bühne beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 in der Malmö Arena auf. © picture alliance/dpa

Von den Stimmen des Publikums profitierten auch der ukrainische Mix aus Rap und Pop sowie die von den Jurys aus politischen oder unpolitischen Gründen für eher uninteressant gehaltene Ballade der israelischen Sängerin Eden Golan. Das ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich: Die solidarischen Gefühle mit der von Russland überfallenen Ukraine sind immer noch stark. Außerdem scheint der Aufruf in Sozialen Medien, sich mit Israel zu solidarisieren, seine Wirkung nicht verfehlt zu haben.

Buhs und Begeisterung beim "Eurovision Song Contest" in Malmö

Lautstarke Proteste gab es dagegen vor und in der Halle. Sie richteten sich gegen die Entscheidung der Veranstalter, Israel trotz des Gaza-Krieges mit bislang mehr als 30.000 toten Palästinensern antreten zu lassen, mit dem der jüdische Staat auf die von palästinensischen Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten Massaker reagiert hat.

Als die israelische Sängerin beim Einlauf der Nationen die Bühne betrat, waren Pfiffe in der Halle zu hören. Die Buhrufe wurden noch einmal lauter, als zur Punktevergabe der israelischen Jury geschaltet wurde. Allerdings zeigte die Bildregie auch immer wieder begeisterte Besucher mit israelischer Flagge.

Junge Leute demonstrieren in der Innenstadt gegen die Teilnahme Israels am Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024.
Junge Leute demonstrieren in der Innenstadt gegen die Teilnahme Israels am Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024. © picture alliance/dpa

Das deutsche Fernsehpublikum vergab dagegen beim Televoting die Höchstpunktzahl 12 an Israel. Könnte es sein, dass viele Menschen hierzulande längst nicht so israelkritisch eingestellt sind, wie es Protest-Camps der Lifestyle-Linken an Universitäten und die lautstarken palästinenserfreundlichen Demos im Malmö und anderswo suggerieren?

Deutscher ESC-Beitrag: Isaak landet in der Mitte

Das zuletzt notorisch erfolglose Deutschland landete mit Sänger Isaak und dem Song "Always On The Run" auf dem zwölften Platz von 25 Finalisten und beendete die jahrelange Serie von letzten und vorletzten Plätzen. Der mäßig originelle Song profitierte vom starken Auftritt des 29-jährigen Sängers, der so aussieht, wie man sich im In- und Ausland einen fleißigen Deutschen aus der Provinz vorstellt. Offenbar sind wir in Europa doch nicht ganz so unbeliebt, wie hierzulande selbstkritisch geglaubt wird.

Isaak aus Deutschland beobachtet im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 die Punktevergabe.
Isaak aus Deutschland beobachtet im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) 2024 die Punktevergabe. © picture alliance/dpa

Der einzige international bekannte Star, der französische Popsänger Slimane, erreichte mit einer sentimentalen Ballade Platz 4. Ein dämonischer Song aus Irland belegte den 6. Platz. Folkloristisches aus Georgien und computergeneriert klingender Standard-Pop kam bei den Jurys und dem Publikum weniger gut an.

Sieger Nemo über den ESC: "Ein bisschen Instandsetzung"

Der entfesselte Gaudi-Auftritt aus Estland landete noch hinter dem faden britischen auf Platz 20. Am schwächsten schnitten Slowenien, Österreich und Norwegen ab. Der niederländische Teilnehmer Joost Klein wurde erst am Samstag ausgeschlossen, nachdem er einer Kamerafrau eine aggressive Geste gezeigt hatte.

Die propalästinensiche Klimaaktivistin Greta Thunberg wird von der Polizei während einer Protestkundgebung im Rahmen des Eurovision Song Contest abgeführt.
Die propalästinensiche Klimaaktivistin Greta Thunberg wird von der Polizei während einer Protestkundgebung im Rahmen des Eurovision Song Contest abgeführt. © picture alliance/dpa/TT News Agency/AP

Nemo zerbrach nach dem Sieg die Trophäe und bekam einen Ersatz-Preis. "Die Trophäe kann repariert werden – vielleicht braucht der ESC auch ein kleines bisschen Instandsetzung", sagte der Schweizer vieldeutig und womöglich in Anspielung auf die Buhrufe gegen Eden Golan während der Show und die Demonstrationen vor der Halle in Malmö. Dort wurde die neuerdings mit Palästina sympathisierende Klima-Aktivistin Greta Thunberg festgenommen, deren Mutter 2009 beim ESC für Schweden den 21. Platz erreicht hatte.

Tritte ins Fettnäpfchen

Verbesserungsfähig bleibt die Fernsehmoderation durch den Plapperer Thorsten Schorn. Der Kölner steuerte flache Wortwitze wie "Sloweniger wäre mehr gewesen" nach dem slowenischen Beitrag bei. Er glaubte auch, darauf hinweisen zu müssen, dass Russland ausgeschlossen sei, obwohl das ebenfalls kriegführende Israel teilnehmen dürfe. Bei aller berechtigten Kritik am Einsatz der israelischen Armee in Gaza: Die Selbstverteidigung eines demokratischen Staats sollte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht mit dem Überfall einer Diktatur auf eine Demokratie gleichgestellt werden.

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Tritte ins Fettnäpfchen gehören allerdings bei Partys auch dazu. Und der ESC, den kaum jemand allein anschauen dürfte, ist vor allem eine große Party – mit politischen Diskussionen, wie es sie bei jeder Party gibt, und sei es nur bei den Rauchern vor der Türe. Und wer doch alleine feiert, den begleiten wenigstens Getränke und gelegentliche Blicke ins Internet, weil 25 Schlager am Stück anders kaum auszuhalten sind.

Beim Blick vor die Tür kann man die merkwürdigsten Leute treffen: wie etwa Paavo Järvi, der zuletzt zwei Programme der Münchner Philharmoniker dirigiert hat und den ESC auf Twitter eifrig kommentiert.

Der Dirigent Paavo Järvi ist ESC-Fan.
Der Dirigent Paavo Järvi ist ESC-Fan. © picture alliance / dpa

Und das bringt uns auf das Schönste dieser europaweiten Party: Auch (oder vor allem?) Menschen nehmen daran teil, die sich den Rest des Jahres keine Sekunde für Schlager interessieren. Und ja, der Autor dieses Artikels ist sich bewusst, dass auch er dabei mitgemeint ist.

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  • Kangaroo am 13.05.2024 10:36 Uhr / Bewertung:

    Die Thunberg sollte nicht vergessen wer diesen Krieg angezettelt hat. Israel verteidigt sich eben. Allerdings tötet Israel unter Netanjahu rücksichtslos alles was ihnen in die Quere kommt auch wenn darunter Frauen, Kinder und eigene Bürger sind. Es würde sicher nicht schaden wenn sich unsere Regierung auch mal kritisch zu Israel äußern würde.

  • Der Münchner am 13.05.2024 09:06 Uhr / Bewertung:

    Enfach nur noch Schwachsinn!

  • ESC-Gast am 13.05.2024 07:27 Uhr / Bewertung:

    Der Sieger ist vor allem dem woken Zeitgeist geschuldet. Das Publikum kürte Kroatien mit einem fetzigen Song zum Sieger, die Schweiz war nur auf Platz 5, so viel Diskrepanz zwischen Jury und Tele gab's selten.
    "Die Selbstverteidigung eines demokratischen Staats sollte ... nicht mit dem Überfall einer Diktatur auf eine Demokratie gleichgestellt werden." Geht's noch? Einen furchtbaren Terroranschlag mit einem noch viel furchtbareren Krieg zu beantworten, in dem fast 15.000 Kinder getötet wurden, Entschuldigung, das hat NICHTS mit Selbstverteidigung zu tun und wegen dieser Kritik ausschließlich an der Regierung Netanjahu bin ich weder Israel-Hasser noch Antisemit noch mache ich der Sängerin einen Vorwurf. Israel hätte nicht teilnehmen dürfen.
    Die Ukraine eine Demokratie? De jure vielleicht, da facto, na ja: verbotene Opposition, Zensur auf allen Ebenen, Verbot der russischen Sprache etc.
    Danke Thorsten Schorn, er hat mich überrascht, er ist ein würdiger Nachfolger von Peter Urban.

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