Chaya Czernowin: Entchen im Malstrom
München - Eine prägnante Figur wird erst von der Bratsche gespielt, dann wandert sie durch die übrigen Instrumente des Streichquartetts. Später ballt sich der Klang schroff, ehe die Anfangsfigur wiederkehrt. Ein zweites Streichquartett des Münchener Kammerorchesters spielt kreisende Figuren, als würden Quietsch-Entchen vom Malstrom verschluckt. Zuletzt finden sich beide Quartette zu einem Oktett zusammen: Die beiden Stücke erklingen gleichzeitig, aus grüblerischen Monologen entsteht ein frappierender Dialog.
Chaya Czernowin: schroffe Gegensätze und Grenzüberschreitungen zum Geräusch
Das dreiteilige Stück "Anea Cristal" bildete den Rahmen eines so gut wie ausverkauften Nachtkonzerts mit Werken von Chaya Czernowin in der Rotunde der Pinakothek der Moderne. Ihr Musiktheater "Pnima... ins Innere" gehört zu Uraufführungen der Münchener Biennale, die nachhaltig im Gedächtnis haften geblieben sind. Trotzdem war die 1957 in Haifa geborene Komponistin danach hier wenig präsent. Das wird nun als Doppelschlag nachgeholt: Im März folgt auf die Nachtmusik die Erstaufführung eines Auftragswerks der musica viva für Sopran, Bariton und Orchester im Herkulessaal der Residenz.

Czernowins Musik lebt von schroffen Gegensätzen und Grenzüberschreitungen zum Geräusch. Aber sie bleibt dabei verbindlich. Die drei sehr prägnanten, kurz gefassten Sätze des Oktetts können als beispielhaft gelten: Czernowin kommt ohne größere Abschweifungen auf den Punkt. Wiederkehrende Strukturen gliedern den Ablauf, der stets, wenn es zu erwartbar werden könnte, in eine überraschende Gegenrichtung abbiegt.
Das gilt bereits für das älteste Stück, von Bas Wiegers dirigierte Stück des Abends: "Das Stundenglas rinnt noch" für Streichorchester. Da wandert eine von den Celli bereits in gepresst hoher Lage gespielte Figur weiter aufwärts, um beinahe zu entschwinden. Das sich anschließende Nachspiel weitet sich zu einem eigenen Satz mit flirrenden Figuren.
Die Rotunde war nahezu ausverkauft
Neben Werken für Streicher trat gegen Ende des Programms ein Sextett mit Bläsern auf. Die Flötistin und der Klarinettist ließen die Klappen rauschen, die Pianistin dämpfte mit einem Kissen den Klang des Instruments, ohne dass der musikalische Ernst in eine unfreiwillige Komik der Requisiten umgeschlagen wäre. Der anfangs schweifende Klang verdichtete sich, um sich nach einer konfliktträchtigen Passage bald in Richtung Unhörbarkeit aufzulösen.
Chaya Czernowins Musik hat ihre unbestreitbaren Vorzüge: Bei allem Ernst meidet sie den derzeit gängigen Hang zur Langsamkeit. Es gibt keinen Leerlauf, Wiederholungen geben dem Publikum etwas, woran es sich auch beim ersten Hören halten kann. Angesichts dieser Vorzüge ist es bedauerlich, dass diese Komponistin in München ein wenig vergessen wurde. Auch das Publikum scheint sie vermisst zu haben: Die Rotunde war in Zeiten, in denen oft über schwachen Andrang geklagt wird, nahezu ausverkauft.
Die nächste Nachtmusik der Moderne widmet sich am 22. April dem Komponisten und Gitarristen Bryce Dessner. Chaya Czernowins "Atara" ist am 17. März im Herkulessaal zu hören
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