Beim Verlassen der Komfortzone
Wer sich beim ARD-Musikwettbewerb bewirbt, muss über eine ausgezeichnete Spieltechnik verfügen, wer einen Preis gewinnt, über eine umwerfend brillante. Natürlich ist das allenfalls die halbe Miete.
Flötenkonzert von Marc-André Dalbavie
Dennoch mussten tausende und abertausende Stunden Übezeit verstreichen, bis Yubeen Kim die minimalistischen Figuren im Flötenkonzert von Marc-André Dalbavie so vollendet automatenhaft hervorstanzen kann, wie er es auf der Bühne des ausverkauften Herkulessaals vorführt.
Leider wird der Südkoreaner, der den 1. Preis in seinem Fach erhielt, vom Werk nicht für die Arbeit belohnt. Dessen banale Melodik lässt nur erahnen, welche Bögen Yubeen Kim mit seinem zauberischen, dabei angenehm festen Ton dahinträumen könnte.
Nonchalant wie ein Trapeztänzer
Unendlich mehr Glück hat Kris Garfitt mit dem Posaunenkonzert von Henri Tomasi. Nicht nur kann er in den effektvoll an den Beginn gestellten Kadenzen vorführen, wie beneidenswert ausgeglichen sein voller, warmer Ton über alle Lagen hinweg aussingt, auch in der gefürchteten Höhe, in der er sich nonchalant bewegt wie ein Trapeztänzer.
Der Brite (1. Preis) verlässt auch beherzt die klassische Komfortzone, wenn er in den Passagen, in denen der Komponist die Posaune zu einem Chansonnier macht, einmal ein halbseidenes Vibrato anbringt oder in der Zirkusepisode das ganze Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mitsamt seines tüchtigen Dirigenten Joshua Weilerstein mit durch die imaginäre Manege zieht. Hinreißend.
Igor Levit im Publikum
Damit, dass man ein Virtuosenstück wie das Klavierkonzert Nr. 4 von Sergej Rachmaninow von allem Pomp befreien kann, überrascht der Österreicher Lukas Sternath (1. Preis). Gerade einmal 21 Jahre alt, kann er bereits unter Anderen Igor Levit zu seinen Mentoren zählen, der auch im Publikum gesichtet wurde. Weniger versagt sich Sternath die auftrumpfende Geste, als dass sie in seinem von Natürlichkeit geprägten Spiel einfach nicht besonders naheliegt.
Für die Martellato-Passagen, die Rachmaninow in den Flügel hinein gehämmert haben wollte, fehlen ihm vielleicht noch ein wenig Härte und Sehnigkeit in den Fingern. Stattdessen konzentriert er sich auf das gemeinsame Konzertieren mit den Bläsersolisten des BR-Symphonieorchesters.
Pointierte Interpretation
Dafür, dass seine Musikerinnen und Musikern aus vier Ländern stammen, bietet das Barbican Quartet (1. Preis) eine sehr pointierte Interpretation des frühen Streichquartetts C-Dur op. 20 Nr. 2 von Joseph Haydn. Die Klanglichkeit kann kaum ätherisch genug sein, das Piano weht geheimnisvoll wie aus der Ferne herüber.
Gleichzeitig gestatten sich die vier ein selten freies Rubatospiel und bringen somit die sprechenden wie die theatralischen Momente dieses Wunderwerks plastisch heraus. Gespannt wäre man, wie die Barbicans die übrigen Quartette aus op. 20 angehen würden. Solche Neugier wecken zu können ist mindestens so wertvoll wie ein erster Preis.
Das Konzert kann man auf www.ard-musikwettbewerb.de nachhören.