Bayerische Staatsoper: Unsere bayerische Streitkultur
Es ist ein bayerischer Mythos, dass man hierzulande gerne heftig streite und trotzdem zusammen ein Bier trinken würde. Die hochkulturelle Variante zelebrierte Kunstminister Bernd Sibler am Donnerstag nach der Vorstellung von "Salome" im Nationaltheater, als er die Sopranistin Marlis Petersen und den Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke zu Kammersängern sowie Nikolaus Bachler und Kirill Petrenko zu Ehrenmitgliedern ernannte.
Ablinger-Sperrhacke sang in der "Salome" den Herodes. Davor war er an der Bayerischen Staatsoper in Rollen wie Mime und Loge ("Der Ring des Nibelungen"), Monostatos ("Die Zauberflöte") oder auch als Wenzel ("Die verkaufte Braut") zu sehen. Er mache aus jeder Rolle ein Juwel, hieß es bei der Ehrung. Im Frühjahr wollte er allerdings nicht nur spielen, da war er auch ein Zorniger, der - zusammen mit anderen Künstlern wie Christian Gerhaher und Anne-Sophie Mutter - die Bayerische Staatsregierung per Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof und durch eine Popularklage beim Verfassungsgerichtshof zur Öffnung kultureller Einrichtungen zwingen wollte.

Ablinger-Sperrhacke für politisches Engagement gewürdigt
Beide Klagen wurden abgelehnt. Nun ist der in Bayern lebende Österreicher Ablinger-Sperrhacke Bayerischer Kammersänger, und zwar, wie Sibler und Bachler ausdrücklich betonten, auch wegen seines politischen Engagements für die Sache der Kunst und als Vertreter der Anliegen seiner Kollegen.
Man kann diese Ernennung durchaus als subtile Intrige lesen, weil der Minister zwar die Dienstbezeichnung Kammersänger verleiht, der Vorschlag aber aus der Staatsoper kommt. Und die Blöße einer womöglich öffentlich werdenden Ablehnung tut sich kein Minister freiwillig an.
Nicht ganz selbstverständlich: Streitkultur und freiheitliche Demokratie
Sibler lobte die in Bayern durchgesetzten Öffnungen, die bayerische Streitkultur und die freiheitliche Demokratie, die in anderen Teilen der Welt gefährdet sei. Der Geehrte ließ durchblicken, dass die Bayerische Staatsregierung doch nicht so kunstfeindlich sei, wie er im Frühjahr geglaubt und behauptet habe.
Auch bei Bachlers Ehrenmitgliedschaft wurde angedeutet, man habe sich in aller Herzlichkeit respektvoll gestritten. Es fehlte nur noch die Formulierung "Eine liebe Zeit, trotz der Vorkommnisse - menschlich halt", wie es so schön im Vorspann des "Königlich Bayerischen Amtsgerichts" heißt. Oder die sofortige Aufnahme der bayerischen Streitkultur ins Weltkulturerbe.
Bachler und Sibler lobten Marlis Petersen wurde für ihr Engagement für neuere Musik - etwa als Lulu. Die zuletzt als Salome, Marietta ("Die tote Stadt") und Marschallin ("Rosenkavalier") besetzte Sopranistin pries die offene künstlerische Atmosphäre in der Staatsoper, an die sie immer gerne zurückkehre.
Kirill Petrenko und die "Salome": alle Stärken der vergangenen Jahre
In der "Salome" spielte Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester noch einmal alle Stärken der vergangenen Jahre aus: die unglaubliche Spannbreite an Dynamik, feinste Schattierungen vom zarten Pianissimo bis zum brutalen Fortissimo und zugleich maximale Rücksichtnahme auf die Sänger. In der Ehrung für Petrenko spielte der Minister darauf an, dass mit der Ehrenmitgliedschaft auch der Wunsch verbunden sei, der Dirigent möge als Gast an die Bayerische Staatsoper zurückkehren. Petrenko spendete seinerseits Lob ans Staatsorchester, das ihn bereits am Sonntag zum Ehrendirigenten erkannt hatte. Und in Richtung Publikum, das dem Haus auch in schwierigen Zeiten die Treue halte.
Wir nehmen das als gutes Zeichen: Die Corona-Krise ist in die Phase verklärender Erinnerung eingetreten - ein sicheres Indiz, dass sie bald vorbei sein könnte. Und wenn jetzt alle, die schon vernünftig sind, es auch noch bleiben und die Unvernünftigen vernünftig werden, steht uns ein wunderbarer Herbst 2021 bevor. Den brauchen wir, damit das neue Leitungsduo Duo Serge Dorny (Intendant) und Vladimir Jurowski (Generalmusikdirektor ungestört seine Pläne im Nationaltheater verwirklichen kann.