Salzburger Festspiele: Am Rande des Glamour-Bezirks

Vokalwerke von Josquin Desprez und ein Streichquartett von George Crumb in der Salzburger Kollegienkirche.
Robert Braunmüller
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Das Quartett Meta4 spielt George Crumb in der Kollegienkirche.
Das Quartett Meta4 spielt George Crumb in der Kollegienkirche. © SF/Marco Borrelli

Salzburg - In Hans Pfitzners "musikalischer Legende" wird er von Palestrina als "Du Herrlicher" angeredet. Für Martin Luther war er der "Noten Meister", aus dem die Musik "fröhlich, willig und milde" wie der Gesang eines Finken geflossen sei. Andere Zeitgenossen nannten ihn gar den "Fürst der Musik". Aber übertrieben gefeiert wird der vor 500 Jahren in Nordfrankreich gestorbene Josquin Desprez heuer nicht wirklich.

Salzburger Festspiele: Wiener Ensemble Cinquecento springt ein

Das hat nicht nur mit den gesangshemmenden Viren zu tun. Musik der Frührenaissance ist eine Sache spezialisierter Ensembles, die in unseren ansonsten recht sangesfrohen Landen nicht existieren und aus England oder Frankreich importiert werden müssen. Auch die Salzburger Festspiele setzten ursprünglich auf die englischen Tallis Scholars, die allerdings wegen der Quarantänebestimmungen der "Ouverture spirituelle" der Festspiele in der Kollegienkirche fernbleiben mussten.

Für sie sprang das in Wien beheimatete Ensemble Cinquecento ein: eine Gruppe aus fünf Individualisten zwischen Bass und Countertenor, deren unterschiedliche Stimmfärbung für die Musik Josquins ideal ist. Das Quintett arbeitete die emotionale Textausdeutung heraus, ohne die Strenge der Konstruktion zu unterschlagen. Allerdings dominierte der Counter oft den Klang, was der am stärksten ornamentierten Stimme im kunstvollen kontrapunktische Geflecht ein leichtes Übergewicht verlieh.

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Im Zentrum stand - naheliegenderweise - "L'homme armé". Cinquecento sang eingangs dieses Chanson eines Unbekannten. Dann folgte eine der Messen, die dessen musikalisches Material verarbeitet, was sich allerdings nur dem Leser der Noten erschließt. Zwischen den Sätzen standen ein "Stabat Mater" und beziehungsstiftende Gregorianik. Nach dem verschlungenen Agnus Dei der Messe setzte die die grandios melancholische Trauermotette Josquins auf seinen Lehrer Johannes Ockeghem den Schlusspunkt.

Finnisches Quartett Meta4 setzt Kontrast

Derlei wohllautende geistliche Vokalmusik erzeugt gerade im Kirchenraum allzu leicht einen spirituellen Sog, in dessen Fluss nicht jeder springen mag. Daher schadete es nicht, dass das finnische Quartett Meta4 mit den "Black Angels" von George Crumb einen beziehungsreichen Kontrast zu Josquins Engelsmusik setzte.

Wenn das über Lautsprecher verstärkte Quartett in rasenden Läufen und im Fortissimo einsetzt und später aufs Tamtam geschlagen wird, kann einen das in einer Kirche immer noch schockieren, wie einst David Bowie, der sich von den "Black Angels" zu Tode erschreckt fühlte. Später zitiert Crumb dann Schubert, als sei er ein archaischer Komponist der Renaissance, bis zuletzt mit singenden Cello-Kantilenen und klingenden Gläsern wieder eine etwas esoterisch anmutende Komfortzone erreicht wird.

Konzerte wie das Josquin-Programm im Normalbetrieb kaum denkbar

Das Programm des Konzerts wollte auf die gemeinsame Krisenerfahrung zwischen Vietnam (Crumb) und der Eroberung von Konstantinopel durch die Türken (Josquin) hinaus. Wenn man Crumbs effektvolles und auch effektheischendes Quartett 50 Jahre nach der Komposition hört, wird die Nähe zum experimentellen Pop überdeutlich. Und da ist man dann wieder beim zehnmal so alten Josquin, der das Lied vom Mann in Waffen so sehr mit den Mitteln der damaligen Avantgarde überhöhte, dass es hinter der kontrapunktischen Kunst verschwand.

Es ist nicht neu, ganz alte mit halbwegs gegenwärtiger Musik zu verbinden. Der Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser und sein Konzertchef Florian Wiegand haben diese Beziehungs-Dramaturgie über die Jahre in eine Kunst verwandelt. Auch das wurde schon hin und wieder gesagt. Aber weil Salzburg in der Wahrnehmung primär mit Glamour verbunden werden, darf es in der ersten Woche dieses Festivals einmal lobend wiederholt werden. Denn Konzerte wie dieses Josquin-Programm wären im Normalbetrieb kaum denkbar.


Die "Ouverture spirituelle" der Festspiele endet am Samstag, die Festspiele dauern bis 31. August. www.salzburgfestival.at

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