Muhammad Ali, Pinochet, Twin Towers: Magnum-Fotograf Thomas Hoepker ist gestorben
"Die Idylle hat mich abgestoßen, das war einfach zu schön", erklärte Thomas Hoepker immer wieder in Interviews. Tatsächlich wollte der Fotograf sein berühmtestes Bild auf keinen Fall veröffentlichen: auf der einen Seite das Inferno aus Explosion, Ruinen und Rauch - und auf der anderen Seite eine Runde junger Leute, die am Ufer des blauen East River entspannt plaudert.
Hoepker war klar, dass dieses vermeintliche Ignorieren des al-Qaida-Attentats mit dem Einsturz der Twin Towers eine Woge der Entrüstung provoziert hätte. Dass seine Aufnahme doch noch entdeckt wurde, 2005 nämlich, hat mit einer Ausstellung im Münchner Stadtmuseum und vor allem mit Ulrich Pohlmann zu tun.
Was aussieht wie montiert, ist die bittere Wahrheit
Der langjährige Leiter der Fotosammlung besuchte Hoepker in seinem Haus auf Long Island, um eine Retrospektive vorzubereiten. Der 1936 in München geborene Fotograf hatte dem Museum rund 8000 Abzüge als Schenkung überlassen, jetzt ging es um die Auswahl der Exponate. In der Flut der Bilder und vor allem der typischen Katastrophen-Aufnahmen stach Pohlmann das völlig surreale Bild der heiteren fünf Personen vor der apokalyptischen Kulisse Manhattans auf.

Man gewinnt wirklich den Eindruck, die Szene wurde nachträglich am Bildschirm zusammenmontiert, und Pohlmann beschreibt all diese Bedenken in einem kürzlich bei Schirmer/Mosel erschienen - sehr lesenswerten - Band just zu Hoepkers Ikone. Am Ende war es der Verleger Lothar Schirmer, der 2005 spontan entschied, das Bild auf den Titel des Ausstellungskatalogs zu nehmen. Und ja, es hat dann vor allem in New York heftige Debatten ausgelöst.
Der Mann der Hingucker
Neben diesem späten Coup übersieht man fast, dass Thomas Hopeker für einige andere, Pardon, Hingucker verantwortlich war: Roy Lichtenstein in seinem Studio aus Comic-Versatzstücken, Chiles Diktator Pinochet in seiner unerbittlichen Kälte. Immer wieder verrückte Szenen aus New York und den USA, von der verknöcherten weißen Flaggenträgerin bis zum Clown im Schnellrestaurant. Dann Kinder, die selbstvergessen vor Stacheldraht spielen, ein vertrautes Paar und genauso völlig abgewrackte Gebäude, ganze Elendsviertel und damit bitterste Armut, ohne je den Voyeurismus zu bedienen.

Legendär sind Hoepkers Aufnahmen von Muhammad Ali für den "Stern". Dabei verstand der Fotograf nichts vom Boxen. Aber das ist nicht der Punkt. Hoepker hatte einen Blick für Menschen, für ihre Eigenarten und Spleens und selbst für das Reizvolle in der schieren Banalität. Wobei Ali es dem begnadeten Bildfinder relativ leicht gemacht hat, der Superheld im Ring war bekanntlich ein großer Selbstdarsteller und um keine Grimasse verlegen.

Man merkt dennoch, dass Hoepker die Mittel der Inszenierung wohl vertraut waren, er hatte Archäologie und Kunstgeschichte studiert. Die Kamera, die ihm sein Großvater geschenkt hatte, sollte dann doch dominant werden. Noch bevor Hoepker junior die Uni beenden konnte, engagierte ihn die "Münchner Illustrierte". Und dann ging es 1964 auch gleich weiter zum "Stern".
Mehr geht in der Lichtbildnerei nicht
Der Rest ist eine umwerfende Karriere, denn der noch nicht einmal 30-Jährige wurde zur gleichen Zeit auch Mitglied der Agentur Magnum. Mehr geht in der Lichtbildnerei nicht. Zumal Hoepker nie unbeteiligt war. "Lauwarm ist immer uninteressant", hat er einmal gesagt. Und es konnte sich ständig etwas ergeben. Deshalb ist er nie ohne Kamera aus dem Haus. Auch nicht in den späten Jahren, als er bereits an Alzheimer erkrankt war.
2022 lief dazu der berührende Film "Dear Memories" auf dem Dok.Fest. Nahuel Lopez hatte den Fotografen und seine Frau bei einem Road Trip nach San Francisco begleitet, und man nimmt noch einmal die Lust am Sehen und Entdecken wahr. Bilder haben diesen Mann bis zum Gehtnichtmehr interessiert, ob in der Realität oder in seiner eigenen Welt.
Am Mittwoch ist er mit 88 Jahren in Santiago de Chile friedlich eingeschlafen.
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