Andy Warhol und Keith Haring im Museum Brandhorst: Freundschaft wie im Bilderbuch
Klar ist man in der Kunstwelt gleich ganz "eng" miteinander, die wirklich Großen können sich vor "Best friends forever" sowieso nicht retten. Und würde man das nur in ein paar Fällen grob durchrechnen, wäre einer wie Andy Warhol gar nie zum Arbeiten gekommen. Und womöglich hätte er jeden Abend mit mindestens zehn Leuten tiefgründig plaudernd auf dem Sofa gesessen. Dass sich ausgerechnet ein Seelenverwandter wie Keith Haring anfangs nicht einmal getraut hat, sein Idol anzusprechen, ist da geradezu rührend - und vielleicht der entscheidende Punkt.
Für Warhol ist der Nerd-Brillen-Boy Haring Inspiration pur
Es gab eine besondere Wertschätzung, naturgemäß zunächst von Haring dem 30 Jahre älteren Starkollegen gegenüber, aber dann auch umgekehrt. Der 1928 geborene Warhol hatte sofort begriffen, dass ihn der weltumarmend nette Nerd-Brillen-Boy inspirieren konnte. Mit Mitte 50 kreiselte er schon eine Weile um sich selbst, seine Factory funktionierte eine Spur zu gut, und so wurde Haring zum neuen Stimulans für den King of Pop Art.
Eigentlich ist es kurios, dass diesem attraktiven Duo erst 40 Jahre nach ihrem Kennenlernen eine gemeinsame institutionelle Ausstellung ausgerichtet wird. Endlich, muss man sagen. Denn nachdem Warhol die Kunstwelt mit seinen Siebdrucken von Marilyn bis Elvis regelrecht geflutet hatte, trieb Haring den knallbunten Pop im großen Stil weiter und aus den Galerien und Sammler-Apartments auf die Straße hinaus. In die U-Bahn, auf Buttons, T-Shirts, Tassen und Taschen.
Bei der Vermarktung hat es der Jungspund dem Altmeister gezeigt
Wie Flummibälle tanzen, zappeln und hüpfen überall seine comichaften Figuren, bellen krokodilschnäuzige Hunde und krabbeln Strahlenbabys. Bei der Vermarktung hat der Jungspund dem Altmeister gezeigt, dass man mit Kunst tatsächlich jede und jeden erreichen kann. Lange bevor das Internet breitenwirksam in die Gänge kam, ganz zu schweigen von Social Media und Influencern.
Man kann das ruhig als Wendepunkt bezeichnen, letztlich auch als Demokratisierung der Kunst, die durch Discos, Hip-Hop, MTV und überhaupt das New Yorker Brodeln und Durcheinandermischen erst möglich wurde. Für viele, nicht nur die Künstlerinnen und Künstler, war das eine einzige endlose Party oder "Party of Life", wie es im Titel der Schau heißt.

Fotografien und schnelle Polaroids sprechen eine eigene Sprache, und man ist - im Zeitalter von Filterblasen, virtuell beförderter Einsamkeit und im Nachklang der Corona-Pandemie - verblüfft von der ganz unkomplizierten Nähe in den Clubs, in Warhols Factory oder in Harings "Pop Shops". Dort entwickelte er ein Merchandising-Modell, das erst Jahre später in anderen Branchen wie dem Sport und selbst im eigenen Metier so richtig zünden sollte.
Haring ist in allem offensiver, auch als schwuler Aktivist
Doch man darf sich nicht täuschen, neben der großen Sause zwischen Celebrities wie Madonna und unzähligen Szenegängern hatte das Ernste sehr wohl seinen Platz. Man erinnere sich an Pershings und SS-20-Raketen, das nukleare Wettrüsten von West und Ost konnte keinen unberührt lassen, zumal in einem klirrend Kalten Krieg, der ständig drohte, rasselnd heiß zu werden.
Dass Joseph Beuys die Grünen unterstützt hat, auch eingedenk der eigenen Fronterfahrungen, ist noch im Gedächtnis. Dass er den vermeintlich unpolitischen US-Kollegen 1979 dazu brachte, das Plakat "Andy Warhol für die Grünen" zu pinseln, hat man nicht unbedingt auf dem Schirm. Die riesigen Hammer-und-Sichel-Drucke seit Mitte der Siebziger tun ein Übriges, Joseph McCarthys gnadenlose Kommunisten-Jagd lag da erst 20 Jahre zurück und saß noch in den Köpfen.

Wobei Haring sehr viel offensiver unterwegs war: mit seiner Kritik am Apartheidsregime Südafrikas und anderem Rassismus, vor allem aber im Einsatz für die Rechte einer queeren Community. Im Gegensatz zu Warhol, der lebenslang ein Coming-out vermied, bekannte sich Haring ohne Umschweife zu seiner Homosexualität, entwarf Poster gegen Ausgrenzung, porträtierte sich und seinen Partner Juan Dubose zu einer Person verschwimmend - das sind mit die stärksten Arbeiten - und wurde wie so viele vom Aids-Virus ausgebremst.
Haring erhielt die Diagnose 1987, im Jahr von Warhols überraschendem Tod bei einer an sich simplen Gallenblasenoperation. Völlig erschüttert erklärte der eh schon gebeutelte Künstler, dass er "egoistischerweise" mehr verloren habe als die meisten anderen. Einen Freund nämlich, Lehrer und den "größten Unterstützer in der wahren Kunstwelt".
Die humorvollen "Andy Mouse"-Hommagen, die teils von Dollar-Noten umspült werden, sind plötzlich Vergangenheit. Kreuze tauchen auf, viele sogar, und 1988 reflektiert Haring das Ende in einem dichten Gemeinschaftswerk mit dem Autor William S. Burroughs. Der Titel "Apocalypse" sagt alles, selbst die Mona Lisa bleibt nicht verschont in diesem Weltuntergangsszenario aus Atompilzen, Teufelshörnern, unheilvollen Maschinerien, Monstern und Strichmännchen.

Haring hat nur mehr zwei Jahre, die er wie im Rausch weiterarbeitet. Jetzt aufzugeben und in einer Phase, in der alles Erkämpfte zu bröckeln droht, die künstlerischen Waffen zu strecken, wäre das falsche Zeichen gewesen. Man denke an Warhols umwerfende "Ladies and Gentlemen", das sind die Make-up-übertünchten Dragqueens, die derzeit auch durch die Berliner Neue Nationalgalerie lächeln. Für deren Darstellung hat es 1975 beträchtlichen Mut gebraucht, da war der nicht eben schwulenfreundliche US-Präsident Nixon gerade erst abgetreten.
"Andy Warhol & Keith Haring. Party of Life” bis 26. Januar 2025 im Museum Brandhorst, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Statt eines Katalogs gibt es ein Heft, das in Kooperation mit dem "Art"- Magazin entstanden ist (130 Seiten, 16 Euro).
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