Interview

Leiter Andrea Lissoni will das Haus der Kunst in München weiter öffnen

Der Künstlerische Leiter des Hauses der Kunst, Andrea Lissoni, über München, seine Pläne und die anstehende Sanierung des Gebäudes.
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Passanten am Haus der Kunst.
Passanten am Haus der Kunst. © picture alliance/dpa

Andrea Lissoni möchte das Haus der Kunst noch weiter öffnen – in jeder Hinsicht. Mit der AZ spricht er über den Blick nach Asien, wie man Kunsttransporte umgeht, Situationen im Stil von Charly Chaplin und die leidige Sanierung

Zum Klingen wollte er das Haus der Kunst bringen. Das ist Andrea Lissoni gelungen - darüber hinaus spielt mittlerweile auch die Musik, eine wichtige Rolle. Aktuell betört Meredith Monk das östliche Obergeschoss mit ihrer Stimme. Dabei gibt es in diesen gar nicht mehr so kühlen Hallen einige Ecken mehr, die der künstlerische Direktor seinem Publikum zeigen möchte. Vielleicht gelingt das ja einer jungen Chinesin, die kürzlich sogar das Dach geentert hat.

Andrea Lissoni ist der künstlerische Leiter des Hauses der Kunst.
Andrea Lissoni ist der künstlerische Leiter des Hauses der Kunst. © Andrea Rossetti

AZ: Herr Lissoni, Ihr Vertrag ist bis 2030 verlängert worden. Zumindest bis den Beginn der Generalsanierung könnten Sie noch im Amt erleben.
ANDREA LISSONI: Es schaut so aus, aber das ist nicht unsere Entscheidung. Und wir sind kein Einzelfall in einer weiten Kulturlandschaft, in der es Prioritäten und begrenzte Finanzen gibt.

Nicht nur die Staatsoper und das Residenztheater müssen saniert werden, dabei ist die Entscheidung beim Haus der Kunst schon vor zehn Jahren gefallen. David Chipperfields Pläne haben den Landtag passiert, und in absehbarer Zeit dürften sie veraltet sein.
Das ist ein Problem, aber ich muss mit diesem Haus arbeiten und habe nur die Möglichkeit, im Gespräch zu bleiben. Die Entscheidungen der Politik sind auch Entscheidungen der Gesellschaft – und momentan ist es schwierig, weil sich die Welt und genauso die Museumswelt verändert haben. Natürlich kann man sich überlegen, ob die Chipperfield-Pläne noch Sinn machen. Mit dem Architekten hat das gar nichts zu tun, den schätze ich sehr. Für mich stellt sich eher die Frage, was dieses Gebäude mit seiner Geschichte in der Zukunft darstellen soll, und für mich stehen da die Inhalte im Vordergrund.

Schwierige Sanierung: Haus der Kunst in München steht unter Denkmalschutz

Und was ist mit dem Gebäude?
Es geht schon damit los, dass das Haus unter Denkmalschutz steht. Es hat eine historische Resonanz, die in der Gegenwart schwer wiegen kann. Ich bin in Mailand mit dem Museum La Triennale aufgewachsen, das Gebäude wurde Anfang der dreißiger Jahre gebaut, von 1936 an gab es dort Ausstellungen. Das Haus der Kunst wurde 1937 eröffnet. Auch der Triennale-Bau ist monumental, wurde aber trotz der vielen programmatischen Veränderungen nie total saniert.

Muss man wie im Haus der Kunst improvisieren?
Es funktioniert irgendwie. Die Geschichte ist da, aber natürlich nicht so problematisch wie im Haus der Kunst. Ein vergleichbares Gebäude gibt es noch in Paris mit dem Palais de Tokyo – auch 1937 eingeweiht. Die wichtigste Renovierung war um das Jahr 2000. Wenn ich überlege, welche Häuser heute Modellcharakter haben, dann die Tate Modern in London und das Palais de Tokyo. Beide Institutionen haben sich weiterentwickelt, das waren jedes Mal visionäre Schritte, die gezeigt haben, wie man mit neuen Denkmodellen zukunftsfähig werden kann.

Wie könnte das im Haus der Kunst aussehen?
Mir wäre wichtig, ein Zeichen zu setzen. Das muss gar nicht groß sein. Die Tate Modern etwa hat sich optisch kaum verändert, aber es gibt in der Turbinenhalle eine Glasdecke und riesige Glastüren, die weithin sichtbar sind. Das ist ein Zeichen für Transparenz und Durchlässigkeit. Das sagt mir: Dieses Gebäude gehört der Zukunft. Man muss der Gesellschaft signalisieren, dass zwischen 1937 und der Gegenwart etwas passiert ist und sich vor allem in den letzten Jahren viel verändert hat.

Haus der Kunst: Leiter Andrea Lissoni investiert in die Produktion

Von der inhaltlichen Ausrichtung und der Gebäudegestaltung abgesehen frisst das Haus Unmengen an Energie.
Das ist ein großes Problem, wir haben extrem hohe Kosten für das Haus, die das Budget für das Programm deutlich übersteigen. Man legt ja nicht wie bei modernen Anlagen einfach eine einheitliche Temperatur fest, sondern es ist eher wie in einer Charlie-Chaplin-Situation: Man dreht ständig irgendwo an einem Regler. Im großen Stil ist der Energieverbrauch nicht zu reduzieren. Deshalb trifft uns die Energiekrise besonders.

Nun haben Sie keine Sammlung, die im Haus klimatisch gut untergebracht werden muss.
Das ist ein entscheidender Punkt. Für mich macht es auch keinen Sinn, dauernd Objekte aus aller Welt zu uns und wieder zurückzutransportieren. Damit fließt alles Geld in Versicherungen und Transporte. Für ein Museum ist das völlig normal, aber nicht für uns.

Diesen Blick kennt kaum einer, doch Pan Daijing hatte Lust, im Haus der Kunst aufs Dach zu steigen. Wie die chinesische Künstlerin das in ihre Arbeit mit einbezieht? Das wird man ab 8. März sehen.
Diesen Blick kennt kaum einer, doch Pan Daijing hatte Lust, im Haus der Kunst aufs Dach zu steigen. Wie die chinesische Künstlerin das in ihre Arbeit mit einbezieht? Das wird man ab 8. März sehen. © Pan Daijing

Ihre Alternative?
Wir investieren in die Produktion. Was die Menschen hier sehen, ist möglichst in München oder in Bayern hergestellt und im Haus der Kunst zusammengebracht. In der Ausstellung von Joan Jonas gab es viele Nachbauten von Objekten, bei Meredith Monk haben wir eine ganze Reihe an Requisiten, die hier reproduziert worden sind. Damit haben wir kaum Transporte und wecken das Interesse von anderen Ausstellungsmachern. Fujiko Nakaya hat inzwischen sehr viele Anfragen. Auch die Tate wird ein Werk in ihre Sammlung aufnehmen, das gilt genauso für eine Performance von Joan Jonas. Wir produzieren etwas, das relevant ist und dann hoffentlich eine Sammlung findet. Nicht bei uns, das ist klar.

Brauchen Sie für die Retrospektive zum 80. Geburtstag von Rebecca Horn keine Originale?
Die meisten Werke kommen direkt von der Künstlerin, damit haben wir einen Transport und nicht viele aus der ganzen Welt.

Dann sind die großen Malerei-Ausstellungen Vergangenheit?
Für uns im Haus der Kunst machen sie keinen Sinn. Wir haben in München eine fantastische Museumslandschaft. Gerade was die Malerei betrifft und auch die ganz neue gibt es zum Beispiel das Museum Brandhorst. Das Lenbachhaus holt immer wieder spannende Künstlerinnen, Künstler und Kollektive ins Programm, genauso zeigt die Villa Stuck aktuelle Positionen. Das müssen wir doch nicht wiederholen. Lieber investieren wir in innovative Bildung und Teilhabe. Anstelle von Registraren, die sich um den Leihverkehr kümmern, haben wir Projektmanagerinnen.

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Was planen Sie 2024 neben Rebecca Horn?
Die erst 32-jährige Pan Daijing aus China wird die ganze Westgalerie bespielen. Bislang war das Haus sehr auf Europa, Amerika und dann auch Afrika fixiert, doch in Asien liegt die Zukunft. Deshalb hatten wir bereits Fujiko Nakaya oder Dumb Type, Katalin Ladik und Wang-Shui bei uns. Pan mag sehr jung sein, sie hat aber bereits in der Tate Modern gearbeitet und gehört zu den Preisträgerinnen der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Sie ist Künstlerin und Musikerin und sie wird die Westgalerie mit Performances beleben, aber auch mit Filmen.

Wie könnte das aussehen?
Zur Eröffnung haben wir drei Tage lang Performances, danach werden sich zwei, drei Performerinnen und Performer nachmittags durch die Räume bewegen. Klang und Stimme sind meistens dabei. Das Projekt mit Pan Daijing ist durchaus radikal, aber ein Schritt in die Zukunft. Außerdem hat das Publikum bislang nur das halbe Haus erlebt, wir wollen so viel wie möglich zeigen, das war von Anfang an mein Anspruch.

Das Haus der Kunst.
Das Haus der Kunst. © picture alliance/dpa

Sie haben ein auffallend junges Publikum.
Über die Hälfte unserer Besucherinnen und Besucher sind junge Erwachsene unter 18 Jahren. Wahrscheinlich gibt es kein Museum, das ein so junges Publikum hat, das ist wunderbar! Auf der anderen Seite sind die Einnahmen geringer, weil die Tickets reduziert sind. Aber wir sehen die Vorteile. Um die jungen Leute werben sämtliche Kulturinstitutionen, insofern sind wir in einer komfortablen Situation. Deshalb ist auch die Teilhabe so wichtig. Bei uns ist dieses Team von Anfang an dabei, wenn alle Projekte konzipiert werden. Die wissenschaftliche Seite ist wichtig, wir müssen uns zugleich aber auch immer die Frage stellen: Was ist für die Gesellschaft relevant?

Mit Bianca Knall haben Sie ab Februar eine kaufmännische Geschäftsführerin an der Seite, die auch Kunsthistorikerin ist.
Sie kommt aus dem Museum, das ist interessant und wichtig, auch ihre Persönlichkeit passt zu uns. Mir gefällt dieses deutsche Modell mit der Doppelspitze. Und in einem Haus, das 40 Prozent des Etats selbst erwirtschaftet, ist eine kaufmännische Geschäftsführerin völlig ausgefüllt. Neben den Eintritten sind das Vermietungen und die Mieten für das P1 und die Goldene Bar. Anders würden wir als GmbH nicht überleben, obwohl wir großzügig vom Staat und den Freunden des Haus der Kunst sowie der Alexander Tutsek Stiftung, unserem wichtigsten Sponsor, unterstützt werden. Da ist jedoch auch noch Luft nach oben, so dass wir offen sind für neue Formen von Unterstützung. Dafür gibt es wohl kaum einen passenderen Zeitpunkt als momentan.

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Sie leben seit bald drei Jahren in München, wie empfinden Sie die Stadt?
München ist in ziemlich kurzer Zeit sehr international geworden. Nehmen Sie nur die Technische Universität, ich sehe so viele Studierende aus Asien und der ganzen Welt. Es gibt zahlreiche kleine Start-ups, gerade im Digitalbereich, Unternehmertum spielt da eine wesentliche Rolle. Und ein großer Teil der Belegschaft kommt nicht aus Europa. Genauso sind die großen Firmen sehr international. Ich höre das im Park beim Spazierengehen, und wenn ich auf dem Bauernmarkt am Mariahilfplatz bin, sprechen die Bäuerinnen Englisch. Früher habe ich oft gehört, München sei konservativ, alles würde im Hofgarten ausgehandelt. Nein, die Stadt ist offen und es sind viel mehr junge Leute unterwegs als zum Beispiel in meiner Heimatstadt Mailand.

Wirklich?
Aber ja! Und noch etwas, wir hatten diese Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper unter Serge Dorny, das hat mich richtig begeistert. Rirkrit Tiravanija gehört jetzt zu den weltweit wichtigsten Künstlern, und ich denke, das hat auch damit zu tun, dass er dieses Projekt hier gemacht hat. An der Mailänder Scala könnte ich mir das überhaupt nicht vorstellen. Das wäre dann etwa eine Kooperation mit dem HangarBicocca - völlig undenkbar! Die Englisg National Opera hat auch noch nie etwas in der Tate aufgeführt. Aber man muss etwas riskieren, das hat Serge Dorny mit Erfolg getan. Und München ist dafür der ideale Ort.

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