Kritik

Nervige Überdeutlichkeit: "Hanjo" im Haus der Kunst

Toshio Hosokawas Kammeroper wird von zu viel Kunst erstickt.
Robert Braunmüller
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Jitsuko (Charlotte Hellekant, stehend) liebt Hanako (Sarah Aristodou) und verbirgt sie vor einem Mann.
Jitsuko (Charlotte Hellekant, stehend) liebt Hanako (Sarah Aristodou) und verbirgt sie vor einem Mann. © Wilfried Hösl

Da sich die Aufführung in einem Museum ereignete, sei ausnahmsweise ein sehr blumiger Vergleich erlaubt. Die Kammeroper "Hanjo" erinnert im Haus der Kunst stark an eine schöne, kahle und schlichte romanische Basilika, die von sehr fleißigen Stuckateuren bis ins letzte Eck mit bayerischer Rokoko-Ornamentik zugekleistert wurde.

Die Rocaillen sind für sich ganz schön, aber noch schöner wäre weniger Scheu vor der Leere oder, um es gelehrt zu sagen: keine Angst vor dem Horror Vacui! Die romanische Basilika ist in diesem Fall das vom japanischen No-Theater inspirierte Drama des Schriftstellers Yukio Mishima und dessen kongeniale Vertonung durch den 1955 in Hiroshima geborenen Komponisten Toshio Hosokawa.

Einakter mit emotionaler Erpressung

Ein Mann konkurriert in diesem 2004 beim Festival von Aix-en-Provence uraufgeführten und oft nachgespielten Einakter mit einer älteren Frau über die Liebe zu einer jungen Frau. Sie wird von seiner Rivalin versteckt gehalten und scheint sich ebenfalls nach ihm zu sehnen. Die allein sprachlich ausgetragene Auseinandersetzung und emotionale Erpressung vollzieht sich in einem sehr höflich-diplomatischen Ton: Nur leider verpatzt der Mann alles, weil er doch herumschreit und die ersehnte Frau keine lauten Worte mag.

Die Kammeroper "Hanjo" im Haus der Kunst.
Die Kammeroper "Hanjo" im Haus der Kunst. © Wilfried Hösl

Bemühung um maximale Textverständlichkeit

Mishimas Drama bringt raffiniert den Einakter der westlichen Theatermoderne mit der japanischen Strenge zusammen. Man mag darüber streiten, ob sich diese sehr wortlastige Form für eine Vertonung eignet: Sie erreicht im Musiktheater den Zuschauer auch auf Englisch nur über den Umweg der unvermeidlichen Übertitel. Hosokawa hat sich aber um maximale Textverständlichkeit bemüht, und seine sehr dichte, innerlich glühende, aber fast immer mit maximaler Ruhe fließende Musik verdoppelt die Gefühle nicht, sondern sublimiert sie auf höherer Ebene.

Das kann man leider von der choreografischen Inszenierung nicht behaupten. Sidi Larbi Cherkaoui tappt in eine sehr offene Falle. Die Tänzer der Compagnie Eastman verdoppeln und multiplizieren die drei singenden Figuren in Permanenz und mit einer nervigen Überdeutlichkeit. Wenn sich Yoshio mit der Malerin über die womöglich verrückte Hanako unterhält, zerren zwei Tänzer an einem dritten. Und es geschieht das Unvermeidliche: Die Offenlegung aller Geheimnisse erzeugt gähnende Langeweile.

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Aus "Les Indes galantes" – einer früheren Münchner Produktion des belgischen Choreografen – weiß man, dass seine Compagnie Eastman aus lauter interessanten Individualistinnen und Individualisten besteht. Diese Qualität kann die Aufführung nicht ausspielen, weil lauter Doubles des singenden Personals die Spielfläche bevölkern. Die sackartig fließenenden Tuniken sind in dieser Hinsicht auch nicht besonders hilfreich: Sie erzeugen eine uninteressante Anonymität.

Das Bühnenbild – eine mittelgute Idee

Eher mittelgut war auch die Idee, den thailändischen Performance- und Aktionskünstler Rirkrit Tiravanija mit dem Bühnenbild zu beauftragen. Seine Stärke, der soziale Aspekt, ist performativ und schreit nicht danach, mit Texten und Partituren in Verbindung gebracht zu werden. Tiravanija stellte sehr beliebige Plexiglasmöbel in einen offenen Kasten, was jeder weniger weltläufige Stadttheater-Ausstatter ähnlich erledigt hätte.

Die Kammeroper "Hanjo" im Haus der Kunst.
Die Kammeroper "Hanjo" im Haus der Kunst. © Wilfried Hösl

Neben der Bühne und über dem Eingang des Hauses der Kunst posaunen Schrifttafeln, Leuchtkästen und eine sich verdunkelnde Sonne als grandiose Erkenntnis aus, was auch ein völlig unvorbereiteter Zuschauer nach einer Sekunde kapiert: dass es um das Warten geht. Und das ist zu unkünstlerisch doppelt gemoppelt.

Das Münchener Kammerorchester beweist unter Lothar Koenigs seine hohe Kompetenz für Neue Musik. Charlotte Hellekant und Sarah Aristodou singen sehr ausdrucksstark. Konstantin Krimmel ist trotzdem noch eine Klasse besser, wenn er die Wärme des sehnsüchtig Liebenden mit der Härte des Enttäuschten verbindet.

Und dann gibt es noch den wunderbaren weißen Bonsai-Baum auf der Bühne: eine Reminiszenz an die japanische No-Tradition. Innerhalb der plappernden Geschwätzigkeit dieser Aufführung ist er eine Oase der Bedeutungslosigkeit. Und das ist eine Erholung, denn sonst müsste man zur inneren Reinigung ein paar Wochen in ein Zen-Schweigekloster.


Wieder am 8., 10., 12. und 14 Mai im Haus der Kunst, Karten zu 45 Euro über staatsoper.de und Telefon 2185 1920

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