Cecily Brown in der Pinakothek der Moderne: Expressiver Körperkult
In "The Englischer Garten" räkeln sich Nackte. Das ist kaum überraschend, obwohl es in Münchens größter Parkanlage vor ein paar Jahren schon deutlich mehr waren, die hüllenlos auf den Wiesen lagen. Aber wenn sich eine Künstlerin wie Cecily Brown dieser grünen Stadtidylle annimmt, können dort natürlich keine Spaziergänger im Mantel unterwegs sein. Der menschliche Körper ist ihr Ding. Figuration und Abstraktion dürfen sich in Browns farbgewaltig pastosem Expressionismus ganz ungeniert einander hingeben - mittlerweile mit einiger Tiefenwirkung.
Das war nicht immer so. Im New York der späten 1990er Jahre hat die britische Malerin mit expliziten Sexszenen für Aufsehen gesorgt. Ihre riesigen Kopulationsbilder hingen in den hippen Galerien Sohos, gleich darauf dann auch im Brooklyn Museum of Art, und die damals Ende 20-Jährige posierte dazu in superknapp sitzenden Stöffchen.
Ende der 90er drang Cecily Brown ganz unerhört in eine Männerdomäne ein
Irgendwie gaga war das, ein dringender Fall für die Klatschspalten, aber auf diese Kombination hatte der Kunstmarkt nur gewartet. Also gingen die Preise - für eine Künstlerin - durch die Decke, während die Feuilletons verschnupft reagierten und gar nicht erst bemerkten, dass dieser glamouröse It-Girl-Import aus dem Königreich in die testosteronschwüle Domäne malender Machos eingedrungen war. Unerhört!
Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen. Brown turnt jetzt knabenhaft schlaksig im schwarzen Anzug und Boots durch die Pinakothek der Moderne und wirkt eher zurückhaltend bescheiden, als müsse sie sich die Karriere erst erarbeiten.

Es geht schon lange nicht mehr um die schnelle Provokation. Und wer mehr erwartet als ein paar verwuschelte Vaginen und angedeutete Pimmel, wird enttäuscht sein. Die nackten Burschen spielen wie die Kinder am Strand mit "Bucket and Spade", das heißt, mit Eimer und Schäufelchen.
Stimmungen aus der Blattfolge und den verwendeten Farben herauslesen
Die erotischsten Bilder sind in dieser Schau der Graphischen Sammlung tatsächlich von den älteren Herren. Das wären Franz Marcs Blatt "Leda mit dem Schwan" von 1907 und die thematisch entsprechenden Kupferstiche von Cornelis Bos', der Michelangelo wiedergibt, sowie Nicoletto da Modenas Nachdruck von Giambattista Palumbas deutlicher Vereinigung des gefiederten Zeus mit der schönen Königsgattin.
Bei Brown, die sich in ihrer kürzlich erst entstandenen Reihe "The Lady and the Swan" dezidiert auf Franz Marc bezieht, ist es ein wildes Spiel der Formen, die fast wie dessen späte Bilder den Anlauf hin zur Vielansichtigkeit nehmen, um sich doch gleich wieder ins Ungefähre zurückzuziehen.

Man muss schon wissen, was gemeint ist, und wenn nicht, überzeugen ganz einfach das Verschmelzen der Körper, das Ausfransen der Linien und Browns Sinn für die Verdichtung.
Das ist kompositorisch höchst reizvoll, und man glaubt, Stimmungen aus der Blattfolge herauslesen zu können, transportiert durch Gelb und Rot, kräftiges Lila und fleischiges Rosa, die dem weißen Duo auf schwarzem Grund Drive geben, die dramatisieren, aber nicht, um die Vergewaltigung in den Mittelpunkt zu rücken.
Die interessiere sie gar nicht, bekennt Brown lapidar, sondern eher die Verführung, auch die Empathie für beide Seiten und unwillkürlich die Mehrdeutigkeit dieser verrückten Geschichte, die die Malerin bereits als Teenager skizziert hat.
Cézannes Badende geistern nicht nur durch den Englischen Garten
Seit sie denken kann, guckt sich Brown durch die Kunstgeschichte, intensiv sogar, und die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Sujets und den Lösungen der Vorgänger gibt ihrer ungestümen Sinnlichkeit Gewicht. Cézannes Badende, die mit einer herrlichen Farblithografie aus den späten 1890er Jahren vertreten sind, geistern längst nicht nur durch den Englischen Garten.
Genauso ist Manets Personal aus dem "Frühstück im Freien" oft mit von der Partie, und wenn es um Körper geht, kann man jeder Ausstellung mit Michelangelo Bedeutsamkeit einhauchen.
Gut also, dass die Graphische Sammlung solches in ihren Klimakammern hütet. Die Studie eines Rumpfes darf es sein, und wer sich andächtig einschwingt, sieht im weiteren Verlauf vor allem Arme, Schultern - was bitte sonst - und fasst sich irgendwann doch an den Kopf. Darf's ein bisschen weniger Drama sein? Cecily Brown wuppt ihre Leiber auch ohne den kolossalen Beistand aus dem Parnass.
"Cecily Brown" bis 4. September 2022 in der Pinakothek der Moderne in München, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr
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