Banksy in München: Ruhestörer und Schattengestalten
München - Da sitzen sie nun seit über 60 Jahre an der Bar, stumm und in sich gekehrt. Und dann kommt plötzlich dieser Brutalo in Boxershorts daher und bringt die schöne Komposition durcheinander. Edward Hopper müsste seither im Grab rotieren. Oder ganz anders, er lacht sich da unten schimmelig.
Banksys Parodie einer Ikone des 20. Jahrhunderts
Der 1967 verstorbene amerikanische Maler mag ein schwieriger, vergrübelter Einzelgänger gewesen sein, doch Banksys rotzfreche Persiflage auf seine berühmten "Nighthawks" hätte ihn bestimmt aus der Reserve gelockt. Und jetzt hängt diese Parodie auf eine Ikone des 20. Jahrhunderts mitten in München im Museum of Urban and Contemporary Art, kurz Muca.
Man braucht nicht gleich in die übliche Banksy-Hysterie zu verfallen, aber dass man das über vier Meter breite Gemälde mit dem Titel "Are You Using That Chair?" endlich wieder zu Gesicht bekommt, ist mindestens erfreulich. Es war nur einmal, kurz nach der Entstehung vor 15 Jahren, in London zu sehen, und zwar in derselben Ladenausstellung ("Crude Oils") wie das kürzlich für 7,6 Millionen Pfund beim Auktionshaus Sotheby's versteigerte "Show Me the Monet".
20 Gemälde des Streetart-Künstlers in München
In der Seerosenidylle des französischen Impressionisten sind Einkaufswagen und ein Pylon gelandet. Das ist fast ein bisschen fad im Vergleich zum randalierenden Eindringling in die Bar-Einsamkeit der Nachtschwärmer. Denn dieser Hooligan in Union-Jack-Unterhosen wird es beim Werfen von Stühlen nicht belassen, vor allem aber bringt er Hoppers Personal zu einer Reaktion und torpediert damit zugleich das Prinzip des Amerikaners.
In der Ausstellung 2005 waren übrigens 164 Ratten am Wuseln, diesen kruden Banksy-Scherz muss man an der Hotterstraße nicht befürchten. Zumal die Versicherungen bei einigen Exponaten Alarm schlagen würden. Gut 20 Banksys werden gezeigt, darunter auch das Mädchen mit dem Ballon, die Verballhornung von Guido Renis Schinken "Bacchus und Ariadne" mit Gucklöchern statt Köpfen (als hätte da einer ein Problem mit dem ewigen Reni-Geschmachte) und die völlig verzerrte Seejungfrau Arielle, die sich 2015 in Banksys Anti-Vergnügungspark "Dismaland" vor einem desolaten Disney-Schloss räkeln durfte.
Muca-Chef Utz selbst Banksy-Sammler
Dass solche zentralen Arbeiten überhaupt nach München reisen konnten, hat mit einer großen Passion zu tun. Muca-Chef Christian Utz besitzt selbst über 50 Originale, er kennt das Umfeld des geheimnisvollen Sprayers und genießt das Vertrauen der Sammler. Das betrifft freilich nicht nur den Superstar der Street-Art-Szene. Utz und seine Frau Stephanie tragen seit Jahrzehnten Werke aus allen Bereichen dieser "urbanen" Kunst zusammen, das reicht von den Stencils, also den Schablonenbildern, die vornehmlich auf Hauswänden und Mauern landen, bis zu Collagen, Skulpturen und Drucken oder eben Gemälden.
Junge Kunst im Rampenlicht
In der neuen Muca-Ausstellung lernt man wichtige Protagonisten dieser relativ jungen Kunst kennen. Dazu gehören die brasilianischen Zwillinge Os Gêmeos mit ihren knallgelben Gesichtern, die nicht nur in São Paolo von den Hochhäusern leuchten. Oder der dezidiert politische Shepard Fairey, der sich im US-Wahlkampf 2008 mit seinem "Hope"-Plakat für Barack Obama eingesetzt hatte und auf diese Weise weltweit bekannt wurde. Im Muca sieht man einen Mann mit Gasmaske - "The New World Odor". Der stammt zwar aus dem Jahr 2005, funktioniert aber auch als Kommentar auf die Corona-Pandemie.
Dann grüßt eine von Kaws (Brian Donnelly) comichaften Kunststofffiguren mit typisch durchkreuzten Augen aus der Höhe und gibt gleich noch Einblick in ihre quietschbunten Eingeweide. Der Franzose Invader ist mit seinen Mosaikbildern vertreten und hat etwa den Punkrocker Sid Vicious mit Rubik-Würfeln porträtiert. Swoon, die einzige Frau in der Runde, werkelt unverdrossen an ihren Linoldrucken weiter. "On the road" muss man die Künstlerinnen nach wie vor mit der Lupe suchen, doch immerhin hatte das Muca bis vor ein paar Monaten eine Swoon-Soloschau.
Im düsteren Reich von Richard Hambleton
Die eigentliche Attraktion liegt diesmal allerdings in der Tiefe, denn im Untergeschoss ist das düstere Reich des Richard Hambleton ausgebreitet. Schattenmänner sind durch den Raum gestaffelt, lauter anonyme Figuren, die in schnellen Strichen und dynamischen Spritzern auf Leinwände, Pappen oder eine Telefonzelle aufgebracht sind. In irgendeinem dunklen Hinterhof würde man vermutlich erschrecken, und Hambleton hat das makabre Spiel ganz bewusste eine Weile ausgereizt.
Der Kanadier, der 2017 mit 65 Jahren starb, zählt zu den Altvorderen der Kunst der Straße. In den 70ern war er nach New York gekommen, um schnell ins Nachtleben aus schillernden Clubs und allerlei Drogen einzutauchen. Andy Warhol war angetan von der Ausdruckskraft des empfindsamen Melancholikers und wünschte sich dringend ein Porträt. Doch der skrupulöse Hambleton lehnte entschieden ab, wie er sich überhaupt lieber auf seine Konzeptkunst konzentrierte. Dazu gehörte die Inszenierung von Mordschauplätzen, nicht von ungefähr erinnern seine Gestalten an die Umrisszeichnungen von Opfern.
Die Kunst wird langsam ausgelöscht
Lässt man das Figurative für einen Moment beiseite, tut sich unvermittelt eine Nähe zum Informel der Nachkriegszeit und zu den abstrakten Expressionisten auf, auch zur chinesischen Tuschmalerei. Die späteren "Beautiful Paintings" sind dann wieder von einer erstaunlichen Zartheit. Aber da war dieser Künstler längst verloren. Die Abhängigkeit vom Heroin zwang ihn, Blatt für Blatt für den nächsten Schuss zu verscherbeln. Die feinen Zeichnungen werden zum Ende hin immer blasser, so, als wollte sich Richard Hambleton auch in seiner Kunst langsam auslöschen.
"Ikonen der Urban Art" und "Richard Hambleton" bis 30. Juni 2021 im Muca, Hotterstraße 12. Vor der Schließung am Montag ist noch regulär geöffnet, am Samstag 10 - 20, Sonntag 10 - 18 Uhr.
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