Ausstellung in der Pasinger Fabrik: Unwirklicher Zauber
München - Es ist schon ein sehr komisches Gefühl, in Zeiten von explodierenden Infektionszahlen und teils drohenden, teils schon wie in Berchtesgaden vollzogenen neuen Lockdowns sich eine Ausstellung über den letzten Corona-Stillstand vom Frühjahr dieses Jahres anzuschauen. Besonders vor der bangen Frage, wohin sich diese unberechenbare Pandemie weiter entwickeln wird.
Virusbedingter gesellschaftlicher Stillstand
In der Pasinger Fabrik, wo sich die Ausstellungsmacher das womöglich auch anders vorgestellt haben, geht nun genau das: Das Thema virusbedingter gesellschaftlicher Stillstand wird sozusagen umfassend global abgehandelt, in packenden Fotografien und beeindruckenden Werken präsentiert.
Dabei dachten doch viele, die Pandemie sei vorbei. Dann hätte man das als kuriose historische Randnotiz, die wir glücklich überstanden haben, in krassen Fotofolgen nachgerade unbeteiligt genießen können. Jetzt aber wirken diese Exponate fast wie eine Drohung, als Vorahnung dessen, was uns bald blühen kann. Aber gut, warten wir ab.
Ausstellung zeigt menschenleere Orte
In der Schau faszinieren nicht bloß die Bilder der totalen (Menschen-)Leere in sonst so übervölkerten Architekturen und Städten - die etwas total Bizarres, Unwirkliches und auch Zauberhaftes haben. Man sieht auch viele Bilder, die sich nicht dem Spektakulären dieser ungewöhnlichen Situation, sondern vielmehr dem etwas unauffälligeren Alltag der Menschen darin widmen. Diese Zusammenschau aus Privat-Persönlichem und öffentlich vor aller Welt Sichtbarem macht die Schau so ansprechend und berührend.

So fällt die ästhetisierende Kunst fast ein wenig ab. Etwa wenn Bamazi Talle das Corona-Icon, in lustige Grafiken verpackt, mit Geisterwesen in Verbindung bringt. Oder wenn Piotr Armianovski in seiner Arbeit "Distance" Hände an einer Reckstange zeigt, die jede Berührung vermeiden.
München während dem Corona-Lockdown
Visuelle Faszination rufen hingegen die von Ulrich Opitz kreierten Drohnenfotos von Münchner Spielplätzen hervor. Die unterschiedlichen, oft amöbenhaft organischen Farbflächen aus Asphalt, Beton, Kies, Sand, Gras und Gebüsch wirken nicht selten wie abstrakte Gemälde, die an die ursprüngliche Grafik der Planer erinnert.
Beeindruckend sind etwa die Wasserbecken des Westbads, der Spielplatz an der Londonstraße oder auf dem Weissenseeparkplatz. Sehr schön auch die genauen Aufnahmedaten: Die verraten, dass bei schönstem Sonnenschein am 19. April um 15.45 Uhr kein Mensch weit und breit im Skaterpark im Hirschgarten zu sehen war.
"Social Distancing & Empty Spaces" zeigt Verletzlichkeit
Ganz stark freilich auch Aufnahmen leergefegter amerikanischer, von Wolkenkratzern gesäumter Straßen oder Autobahnkreuze von oben, auf denen kein einziges Fahrzeug zu sehen ist. Deutlich sichtbar wird hier auch das Monströse, das unsere Gesellschaft, unsere Art zu leben, sich zu bewegen oder zu reisen rein optisch hervorbringt. Und die Verletzlichkeit unserer Lebensart - wie es zuvor niemand für möglich gehalten hätte.
Die im Kapitel "Zeichen" ausgestellten Arbeiten widmen sich den vielen Hinweisen, Anordnungen, Bekanntmachungen an Haus- und Ladentüren, auf Spielplätzen oder in Schaufenstern. Ungewöhnliche Statements, Graffitis und Mahnungen entstanden. Oder auch so warme Aufschriften wie der gigantische Satz eines Cafébetreibers: "Ich habe Euch alle lieb - Bitte haltet durch", mit einem Herzchen versehen.
Porträits von Menschen im Lockdown
Die Aufnahmen von ukrainischen Obdachlosen in Kiew - auch hier spielt eine Glasscheibe den wichtigen Nebendarsteller - sind weniger aufmunternd. Die Ärmsten der Armen stehen mit ausgebreiteten Armen und Händen an eine Glasscheibe gepresst vor verschlossenen Türen. Der Fotograf Alexander Chekmenev lieferte zu jedem Porträtierten einen Text mit, in dem die Notlage dieser Wohnungslosen und ihre schlimmsten Probleme erklärt werden.
Jana Madzigon aus Wien porträtierte in ihrer Reihe "Porträts mit A(n)bstand" Österreicher im Lockdown. "Ivo", ein zu Anfang der Heimisolation gekündigter Pilot, verbrachte fünf Monate durchgehend im niederösterreichischen Wald beim Jagen. Der Musiker und Kellner Dominik machte es sich alleine mit einer Flasche Bier im geschlossenen "Café im Raimundshof" gemütlich, nachdem er mit dem Rauchen aufhörte, einen schweren Radunfall erlitt, deshalb nicht mehr Klavier spielen konnte und einen Zitronenlikör entwickelte.
Alltag während der Pandemie in Fotos
Das ganz normale Homeoffice dokumentierte die Münchner Fotografin Annette Hempfling. Sichtbar wird in der Vielzahl ihrer in einer Art Petersburger Hängung an die Pasinger Fabrikwände gepinnten Foto-Abzüge, wie sich das provisorische Arbeiten zuhause in München anfühlte.

Geisterhaft und unheimlich wird´s auch noch: Uli Winkler schaffte es, aus mit Masken verhüllten Gesichtern richtige Monster-Porträts zu machen. Ali Hadid und Zohre Salimi aus Teheran zeigen uns, wie sich ein Leben anfühlt, in dem Ganzkörper-verhüllte Soldaten im Gleichschritt durch die Stadt patrouillieren, Tanklastwagen literweise Desinfektionsmittel versprühen und in der eine Ausgangssperre fast alles Leben lahmlegt. Für ihre atmosphärische Serie erhielten sie den ersten der drei von den Organisatoren ausgelobten Preise.
Pasinger Fabrik, Galerie 1 bis 3, bis 29. November, Di - So 16 - 20 Uhr, Eintritt: 4 Euro
- Themen:
- Coronavirus
- Kultur
- München