Ansteigendes Wasser

TU-Architekturmuseum: die Architektin Marina Tabassum aus Bangladesch in der Pinakothek der Moderne.
Roberta De Righi |
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Die Bait Ur Rouf Mosque in der Hauptstadt Dhaka, die 2 Meter über dem Meeresspiegel liegt.
Die Bait Ur Rouf Mosque in der Hauptstadt Dhaka, die 2 Meter über dem Meeresspiegel liegt. © Sandro di Carlo Darsa

Made in Bangladesh" steht oft in den billigen Kleidungsstücken großer Textilketten. Es bedeutet miserable soziale Standards für die - überwiegend weiblichen - Textilarbeiterinnen und eine Sieben-Tage-Woche in Fabrikbauten, die keinerlei Sicherheitsanforderungen genügen, wie sich 2013 beim Einsturz des Rana Plaza mit 1.133 Toten zeigte. Doch seither hat sich einiges geändert, und das Lieferkettengesetz nährt die Hoffnung auf Verbesserungen.

Was die Arbeit der Architektin Marina Tabassum betrifft, so steht "Made in Bangladesh" in diesem Fall für kluge, nachhaltige und ressourcenschonende Baukunst, deren puristische Ästhetik ebenso zweckmäßig wie sinnstiftend ist. Das Gegenteil also von verschwenderischem L'art-pour-l'art-Imponiergehabe, dessen Ära sich dem Ende neigt.

Tabassum (geboren 1968) führte 1995 bis 2005 gemeinsam mit Kashef Chowdhury das Büro URBANA und baute bisher auch mit den 2005 gegründeten Marina Tabassum Architects (MTA) ausschließlich in ihrem Heimatland. Dafür bekam sie für die Bait-Ur-Rouf-Moschee bereits 2016 den renommierten Aga-Khan-Preis. Das TU-Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne widmet der Architektin aus Dhaka nun eine weltweit erste große Ausstellung.

Häuser basieren auf alten Bautraditionen

Bangladesch, das erst 1971 unabhängig von Indien wurde, ist ein Land im Fluss: Der größte Teil seiner Fläche liegt im Mündungsdelta von Ganges, Brahmaputra und Meghna. Dass sich der Anstieg des Meeresspiegels durch die Klimaerwärmung hier besonders stark auswirkt, liegt auf der Hand.

MTA entwickelte u.a. für dieses zwangsläufige Wohnen am bzw. im Wasser ein sparsames, modulares und mobiles Minimal-Gehäuse auf Stelzen namens Khudi Bari (kleines Haus). Das Parterre besteht aus Bambusstreben mit Stahlverbindungen, bei Monsunregen und anderen Fluten dient der Raum im Obergeschoss als Schutz, mit Holzboden und Satteldach aus Wellblech sowie Solarpanel zur Stromerzeugung. Darüber hinaus ist Khudi Bari mit der Arbeitskraft von zwei Leuten innerhalb von drei Tagen versetzbar.

Material und Konstruktion der mithilfe der FACE-Stiftung entwickelten Häuser basieren auf Bautraditionen, die von den Menschen vor Ort seit Jahrhunderten weitergegeben werden. MTA setzt dabei auf die Verwendung lokaler Materialien, was in Bengalen vor allem Lehm (in Form von Ziegel) und Holz ist.

Für die meisten urbanen Projekte dient denn auch Backstein als Material, meist in Gestalt recycelter Ziegel. Wie in dem elfgeschossigen Wohnturm "Comfort Reverie", bei dem auf Ost- und Westseite vortretende Ziegelwände vor starker Sonneneinstrahlung schützen. Eine Bauweise, die in den Hitze-Sommern inzwischen auch hierzulande absolut von Vorteil wäre.

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Einen Zufluchtsort in Hektik und Lärm Dhakas bieten die (Neben-)Räume der Bait-Ur-Rouf-Moschee, die auf einem Grundstück entstand, das Tabassums Großmutter gehörte. Auf typische Elemente wie Kuppel und Mihrab verzichtet MTA, vertraut stattdessen auf die Wirkmacht einfacher geometrischer Großformen wie Kreis und Quadrat sowie harmonischer Proportionen. Außerdem auf natürliche Werkstoffe - und eine auf die Lage im Stadtraum ebenso wie der Gestirne abgestimmte Lichtregie.

Tabassum, die aus einer Arzt-Familie stammt, in der soziale Arbeit schon immer einen hohen Stellenwert hatte, brachte die modulare Bauweise von Khudi Bari auch in die Flüchtlingslager im Distrikt Cox's Bazar in Ost-Bangladesch, wo mehr als eine Million aus dem Nachbarland Myanmar vertriebene Rohingya gestrandet sind. Dort errichtete sie in Abstimmung mit den Bewohnerinnen u.a. ein von Frauen geführtes Gemeindezentrum, das 2020 durch ein Feuer zerstört wurde.

Aktuell arbeitet Marina Tabassum am Bau einer Textilfabrik. Und man darf gespannt sein, ob es gelingt, ihre Prinzipien des sozialen Bauens dort dauerhaft durchzusetzen.


Pinakothek der Moderne, bis 11. Juni, Di - So, 10 bis 18, Donnerstag bis 20 Uhr

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