"Flowers Forever" in der Münchner Kunsthalle: Verführung im Blütenbad

In München beginnt schon der Frühling – unter dem Titel "Flowers Forever" dreht sich in der Kunsthalle alles um die ewig faszinierenden Blumen und ihre oft delikaten Botschaften.
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Eintauchen, schnuppern, abschalten: Aus Tausenden Blumensträußen hat die englische Künstlerin Rebecca Louise Law einen "hängenden Gärten" geschaffen.
Eintauchen, schnuppern, abschalten: Aus Tausenden Blumensträußen hat die englische Künstlerin Rebecca Louise Law einen "hängenden Gärten" geschaffen. © © Rebecca Louise Law

Als letzten Gruß wirft man Blumen ins Grab. Rosen als Zeichen der Liebe, Calla für die Unsterblichkeit, ihrem Großcousin Ludwig II. ließ Kaiserin Sisi duftenden Jasmin in den Sarg legen. Unter einem Blütenregen langsam zu ersticken, ist dann allerdings eine reichlich bizarre Variante dieses schönen Brauchs. Das jedenfalls wird von den Gästen des römischen Imperators Marcus Aurelius Antonius erzählt. Unter seinem Beinamen Elagabal hat dieser jugendliche Kurzzeit-Kaiser die Klatschspalten des zweiten Jahrhunderts beherrscht, gewiss ist nur ein winziger Teil des dekadenten Wahnsinns wahr.

Doch die Geschichte vom tödlichen Gelage hat immerhin Lawrence Alma-Tadema, Londons Superstar der Viktorianischen Ära, 1888 zu einem seiner opulentesten Gemälde inspiriert. Jetzt sind die millionenschweren "Rosen des Heliogabalus" aus der mexikanischen Pérez Simón Collection ein herrlich lasziver Höhepunkt in der Kunsthalle München. Unter dem Titel "Flowers Forever" geht es dort um Blumen in Kunst und Kultur, die von Franziska Stöhr, Nerina Santorius und Anja Huber kuratierte Ausstellung bildet das Zentrum des "Flower Power Festivals" quer durch die ganze Stadt.

Schöner sterben unter Blütenblättern: Lawrence Alma-Tademas "Rosen des Heliogabalus" aus dem Jahr 1888 konnte aus der Sammlung Pérez Simón, Mexiko, geliehen werden.
Schöner sterben unter Blütenblättern: Lawrence Alma-Tademas "Rosen des Heliogabalus" aus dem Jahr 1888 konnte aus der Sammlung Pérez Simón, Mexiko, geliehen werden. © Foto: Studio Sébert Photographes/Kunsthalle

Blumen-Kunst: Kurzlebiges in ein bleibendes Medium übertragen

Und nein, man muss keine endlose Reihung mehr oder weniger gediegener Stillleben befürchten. Abraham Mignons 1665 minuziös gemalte "Vase mit Blumen", garniert mit Schmetterlingen und Schnecken, gehört sogar eher zu den Ausnahmen, so sehr ist das Thema mit den repräsentativsten und zugleich intimsten Bereichen des Lebens verknüpft.

Mit Blumen und Bouquets war immer schon Staat zu machen. Die spätmittelalterlichen Millefleurs-Tapisserien, auf vornehm gekleidete Paare ihrem hochherrschaftlichen Zeitvertreib nachgehen, oder Johann Joachim Kaendlers Tafelaufsätze für die Manufaktur Meißen zählen da zu den bekanntesten Beispielen. August der Starke, porzellanverrückter sächsischer Kurfürst, wollte damit selbst die Chinesen übertrumpfen.

Überhaupt war das Verlangen groß, die kurzlebigen Blüten in all ihrer Schönheit in ein bleibendes Medium zu übertragen. Der englischen Künstlerin Ann Carrington gelingt das gewichtig mit altem Silber, und man muss schon zweimal hinschauen, um bei diesem fantasievollen Upcycling Gabeln, Löffel auszumachen. Ziemlich echt wirken dagegen die botanischen Modelle aus der Lehrmittelproduktion von Robert und Reinhold Brendel. Papiermaché, Farbe und Draht genügen – nur die Größe verrät den handwerklich virtuosen Fake. Deshalb sind diese Objekte längst zur begehrten Kunsthandelsware geworden.

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Ein virtueller Algorithmen-basierter Blumengarten

Kunst und Wissenschaft haben sich gerade bei der Darstellung von Blumen gegenseitig beeinflusst und inspiriert. Der schwedische Botaniker Carl von Linné, der versuchte, alle Pflanzen zu klassifizieren (er kannte 5.900, heute von 420.000 Arten die Rede), erwähnte die Idee einer Blumenuhr. Das heißt, jede Sorte öffnet zu einer anderen Tages- und Nachtzeit ihre Blüten. In diesem Zusammenhang ist vermutlich auch das Empire-Tischchen mit bemalter KPM-Porzellanplatte aus der Einrichtung von Herzog Franz von Bayern entstanden: Um die von Putten verkörperten Tageszeiten sind die jeweiligen Blumen angeordnet.

Heute ist es der Blick durchs Rasterelektronenmikroskop, der auch in die Kunst hineinspielt. Stefan Eberhard hat Kresse-Pollen 100-fach vergrößert, die Aufnahme, die an eine zartlila-blau-grüne Seeanemone erinnert, möchte man sich sofort an die Wand hängen. So, wie das mit den neusachlichen Fotografien von Karl Blossfeldt geschieht. Doch das ist alles noch zu steigern.

Der Digitalkunst-Pionier Miguel Chevalier füllt mit seinem virtuellen, Algorithmen-basierten Blumengarten gleich einen ganzen Raum, der das Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit vor Augen führt. Und genauso das Entstehen immer neuer unberechenbarer Veränderungen, die in der Realität etwa durch Genmanipulationen befördert werden. Wobei auch die Evolution das Ihre tut. Und wenn dann noch Samen durch die Welt geschippert werden, blühen irgendwann urdeutsche Geranien an deutschen Balkonen. Dieses Storchschnabelgewächs stammt ursprünglich aus Südafrika. Tulpen sind lange schon holländischer fast als Gouda. Der Import der Zwiebeln aus China und die damit verbundene Tulpenmanie hat zur ersten dokumentierten Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte geführt. Eine einzige Zwiebel konnte so viel Wert sein wie ein ganzes Haus – bis 1637 der große Knall kam.

Der Digitalkunst-Pionier Miguel Chevalier füllt mit seinem virtuellen, Algorithmen-basierten Blumengarten einen ganzen Raum, der das Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit vor Augen führt.
Der Digitalkunst-Pionier Miguel Chevalier füllt mit seinem virtuellen, Algorithmen-basierten Blumengarten einen ganzen Raum, der das Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit vor Augen führt. © © Miguel Chevalier, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Wenn Tulpenblüten zur Kryptowährung werden

Maler wie Jan Brueghel d. J. haben darüber umgehend ihren Spott gegossen und Affen beim Blumenhandel gezeigt. Heute zieht die Künstlerin und Wissenschaftlerin Anna Ridler Parallelen zu Kryptowährungen wie Bitcoin: Auf ihrer 3-Kanal-Videoinstallation öffnen und schließen sich Tulpenblüten entsprechend der Kursentwicklung. Und Andreas Gurskys vermeintliche Farbfeldkomposition ist nichts anderes als die Luftaufnahme einer Tulpenfarm, auf der irrwitzige Mengen in Monokultur produziert werden. Auch dieses Modell wird einmal böse explodieren. Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Vor dieser nährstoffangereicherten Masse vergisst man ganz, dass Blumen wie kein anderes Objekt mit Symbolik aufladen sind. Quer durch sämtliche Kulturen. Ob das nun der Lotus als Sinnbild für Regeneration und Auferstehung ist oder die Rose als Zeichen der Passion Christi, der Jungfrau Maria (Rose ohne Dornen) sowie der Göttin Venus. Mit Blumen kann man so ziemlich alles zum Ausdruck bringen, den politischen Protest, den Widerstand – und gerade auch das Verbotene, das Delikate und hoch Erotische.

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Die Kunsthalle, ein flirrender Garten Eden

Der Begriff Defloration sagt alles und wurde im berühmten Rosenroman des 13. Jahrhunderts in Literatur gegossen, die damals schon als frauenfeindlich galt. Edward Burne-Jones und William Morris bringen das elegant ins Bild, lassen einen Pilger nach einem Mädchen im Blumenkelch greifen – und aus dem Gewand gleich noch eine Ranke phallisch zur Rose ragen.

Die Kunsthalle hat sich in einen flirrenden Garten Eden verwandelt, freilich mit sehr menschlichen Erdungen. Und wer nicht nur die Schönheit des Floralen genießt, wird Blumen nach dieser Ausstellung anders sehen. Mehrdeutiger. Aufregender. Stachliger. Insofern tut es gut, dass die überbordende Schau mit einem Hortus der besonderen Art endet: Aus Tausenden Blumensträußen, getrocknet von Münchnerinnen und Münchnern, hat die englische Künstlerin Rebecca Louise Law eine Installation geschaffen. Durch ihre "hängenden Gärten" darf man wandeln, innehalten, den Duft schnuppern – und anders als Elagabals' Gäste betört den Saal verlassen.


"Flowers Forever", bis 27. August, Kunsthalle München, Theatinerstraße 8. Ein opulent bebilderter Katalog mit spannenden interdisziplinären Fachgesprächen ist bei Prestel erschienen (288 Seiten, 35 Euro)

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