"Willkommen bei den Hartmanns": Verhoeven über Film mit M’Barek, Rojinski
Beim Thema Flüchtlinge ist vielen im Land der Humor vergangen. Nicht so Simon Verhoeven. Der Autor und Regisseur inszeniert mit „Willkommen bei den Hartmanns“ eine hinreißende Komödie über eine Münchner Familie, die einen Flüchtling bei sich zuhause aufnimmt. Der grandios besetzte Film mit Senta Berger, Heiner Lauterbach, Elyas M’Barek, Palina Rojinski und Florian David Fitz startet diese Woche in den Kinos.
AZ: Herr Verhoeven, wann hatten Sie die Initialzündung zu diesem Film?
Simon Verhoeven: Genau kann ich das nicht sagen, das war irgendwann im letzten Frühjahr. Ich hatte schon immer mit dem Gedanken gespielt, eine Familienkomödie zu machen, habe schon mit Szenen herumprobiert. Aber irgendetwas fehlte immer. Das Flüchtlingsthema war ja schon vor dem Sommer 2016 da, und ich habe mir überlegt, das als Randaspekt einzubauen. Aber dann wurde mir immer deutlicher klar, dass es ein tolles Thema wäre, einer gutbürgerlichen Familie einen afrikanischen Flüchtling gegenüber zu stellen. Tja, und dann kam der September 2016.
Und Sie dachten, das Thema würde jetzt von der Realität überrollt werden?
Nein. Aber jede Diskussion, die die Familie am Abendtisch führte, wurde plötzlich die große Diskussion des Landes. Die Familie wurde gewissermaßen zu Deutschland. Das war Fluch und Segen zugleich. Wir hatten ein Buch über eine gespaltene Familie, die einen Flüchtling aufnimmt, und wir mussten ganz schnell loslegen.
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Und Sie mussten aktuell bleiben.
Wir sind gerade absurd aktuell geblieben, auch was die Probleme angeht. Ich habe in einer Szene noch die „Silvesternacht von Köln“ thematisiert und hatte schon früh einen terrorverdächtigen Flüchtling im Drehbuch, das fanden aber im letzten Herbst noch viele übertrieben. Die Realität hat uns hier aber leider bestätigt.
Es geht in dieser Komödie ja nicht um Political Correctness.
Das ergäbe gar keinen Sinn. Die Gegenwart ist ja auch nicht so. Die Flüchtlinge, mit denen ich gesprochen habe, haben ja teils selbst sehr krasse Ansichten. Manche haben sich gewundert, warum wir so viele Menschen in das Land lassen, die im Gegensatz zu ihnen keine „echten“ Flüchtlinge sind. Und die Aufforderung, die Silvesternacht-Grapscher in ein Flugzeug zu stecken und über der Wüste abzuwerfen, habe ich auch von einem Flüchtling gehört und ins Drehbuch geschrieben. Ich habe abends die anfangs sehr politisch korrekten Talk-Shows im Fernsehen gehört und dann tagsüber von Heimleitern und Flüchtlingen etwas ganz Anderes.
Ihr Film spielt mit dieser Ambivalenz.
Die Situation ist komplex und widersprüchlich, das hat jeder mittlerweile ein bisschen eingesehen. Das ist ja vielleicht das Gute daran. Das heißt aber nicht, dass der humanitäre Akt des Helfens in irgendeiner Weise diskreditiert werden darf. Menschen, die helfen, sind nicht per se naive Gutmenschen. Auf der anderen Seite ist nicht jeder Mensch mit einer islamkritischen Frage gleich ein Rassist. Ganz im Gegenteil. Da ist eine extreme Sprache und Spaltung in die Diskussion hineingekommen. Mein Film ist kein „Refugees Welcome“-Film mit einer platten Botschaft und kein zynischer Film gegen Flüchtlinge. Ich habe auch keine generellen Lösungen anzubieten. Aber ich hoffe, dass diese extreme Spaltung, diese Respektlosigkeiten und dieser Hass aufeinander im politischen Geschehen wieder überwunden werden, dass man wieder zueinanderfinden kann.
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Die deutsche Familie scheitert daran, ihre Probleme dem Flüchtling zu erklären.
Das war von Anfang an eine der Humorstrategien, die ich fast loriotmäßig sehe: Peinliche und unangenehme Situationen entstehen, weil jemand aus einer anderen Gesellschaft kommt und direkt und unverblümt Dinge benennt, die ihm auffallen. So wie ein Kind das tut. Wenn also der Flüchtling Diallo zu der mit 32 Jahren noch immer suchenden Sophie sagt: „Warum Du keine Kinder? Du sehr alt“, dann ist das ja seine Realität. In der Gesellschaft, aus der er kommt, haben Frauen mit 20 schon zwei Kinder oder mehr.
Waren die Schauspieler für den Film schnell zu begeistern?
Sehr, Heiner Lauterbach beispielsweise hat mich angerufen und gesagt, er habe sich über jede Seite des Buches Freude und beim Umblättern immer inständig gehofft, dass es auf dem Niveau bleibe. Ich schreibe eben für Schauspieler, das ist meine Stärke, ich bin kein Actionregisseur. Ich arbeite obsessiv an Dialogen und Figuren und an der Stimmigkeit der Szenen für die Schauspieler. Darin steckt meine Liebe, das macht mir am meisten Spaß, das möchte ich sehen im Film. Und das merken die Schauspieler natürlich auch.
Da weht ein Hauch von Dietl durch den Film.
Ich bin ein ganz, ganz großer Bewunderer von Dietl. Ich habe ihn nicht so gut gekannt, wie ich es mir gewünscht hätte, aber er hat mich nach „Männerherzen“ ermutigt und mir auf seine Art zu verstehen gegeben, dass ihm das sehr gefallen hat. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass er diesen Film noch hätte sehen können. Dietl hat eine ganz andere Dimension, er ist auch ein bisschen böser, aber es sind Figuren in meinem Film, über die ich sehr gerne mit Dietl gesprochen hätte.
Es ist eine Komödie im reichen München.
Wohlhabend würde ich sagen. „Schnöselfamilie nimmt einen Flüchtling auf“ ist nicht das Thema.
Hätte man aber auch machen können.
Sicherlich, das ist vielleicht sogar thematisch schärfer, aber wäre dann eben auch abgehobener. Ich habe schon versucht, die Figuren, die in ihrer heilen Vorstadtwelt wohnen, mit Problemen zu konfrontieren, die keine Luxusprobleme sind, sondern alltägliche, die jeder Mensch versteht. Ob es das Älterwerden ist oder das Einfrieren einer Beziehung im Älterwerden, die Suche nach einem richtigen Weg im Leben oder das Aufreiben im Job, der einen kaputt macht. Interessant ist für mich das gutbürgerlich Gediegene, das politisch Korrekte, das durch den Flüchtling ein wenig aufgebrochen wird und das letztlich ins Chaos stürzt.
Es ist ein Lernprozess für beide Seiten.
Ich habe auch mitbekommen und in meinem Film thematisiert, dass viele Flüchtlinge eine homophobe Haltung haben. Einer hat mir eine lustige Geschichte erzählt. Er war beim Friseur und hat darauf bestanden, dass ihm keine Frau die Haare waschen dürfe. Daraufhin kam dann ein sehr extravaganter, schwuler Friseur zu ihm und hat die Aufgabe übernommen. Der Flüchtling war geschockt. Das war für ihn noch schlimmer. Ich habe ihm dann gesagt: „Was ist denn daran so schlimm? Das ist hier so. Das musst Du akzeptieren.“ Ich finde es wichtig, dass wir das so klar kommunizieren. Aber da steckt natürlich auch Humor drin in solchen Szenen.
Als emotionaler Rahmen dient die komplizierte, aber auch glaubhafte Beziehung der Eltern, die auch mal sehr verliebt waren.
Ja, das ist das Herz des Films und der Familie, sonst ist der Rest nicht glaubwürdig. Und um das zu erzählen, gibt es ja auch sehr viele leise Szenen. Ich hatte ein bisschen Sorge, dass die jüngeren Zuschauer dann abschalten und denken: „Wann kommt endlich wieder der Elyas?“ Aber ich habe festgestellt, dass es die jungen Menschen sehr wohl berührt, wenn meine Mutter auf dem Sofa sitzt, alte Fotos von ihr und ihrem Mann anschaut und man merkt, wie weh ihr das tut.
Alle im Film haben ihre Macken, nur der von Elyas M’Barek gespielte Assistenzarzt nicht.
Man braucht für so einen Film in diesem ganzen emotionalen Wirrwarr auch eine Figur, die relativ klar ist und stark, an der man sich auch orientieren kann, was die Integration angeht. Ich finde es witzig und wichtig, dass gerade Elyas derjenige ist, der im Film davon spricht, „deutsche Werte“ zu verteidigen. Auch Elyas hat in seinem Leben negative Erfahrungen gemacht und ist als „Kanacke“ beschimpft worden. Der ist aber ein deutscher Junge. Es gibt auch Menschen, für die ist Jerome Boateng kein Deutscher. Und von diesen Menschen möchte ich mich ganz deutlich abgrenzen. Deswegen bekommt Elyas diese besonderen, deutschen, wertkonservativen Sätze im Film. Aber natürlich habe ich ihn auch gebraucht für die romantische Komödie. Er spielt diese Rolle einfach unwiderstehlich charmant. Und, was man nicht unterschätzen darf, viele Flüchtlinge kennen „Fack ju Göhte“. Die finden es interessant, dass so ein südländischer Typ in Deutschland ein Star ist. Diese Integrationsstrahlkraft ist mir auch wichtig.
Wenn man mit Freunden und Familie dreht, kann man dann noch den autoritären Regisseur geben und sagen: „Mama, das war nichts, das machen wir noch mal“?
Es ist natürlich lustig, wenn ein Regisseur eine Schauspielerin „Mama“ nennt. Und sie sich um ihn sorgt, ihn fragt, ob er genug „getrunken“ hat, „warm genug angezogen“ ist. Eine Mama und ihr Sohn eben. Das ändert sich auch am Set nicht. Das Team hat viel geschmunzelt. Aber eigentlich ist es egal, wer vor mir steht. Ich habe die Szene im Kopf und versuche, sie mit den Schauspielern so präzise wie möglich umzusetzen. Wir arbeiten nicht gegeneinander. Die Schauspieler wollen auch, dass es gut wird. Die liebten das Buch, also vertrauen sie mir auch. Und ich versuche, eine gute, hochmotivierte Atmosphäre zu schaffen, damit sich jeder frei fühlt und spielt. Leidenschaft und Konzentration sind wichtig, aber Druck mag ich nicht. Ich habe auch bei meinem Vater nie erlebt, dass der beim Dreh herumgeschrien hätte.