Thomas Gottschalk: "Freiheit muss man sich nehmen"
AZ-Interview mit Thomas Gottschalk: Geboren 1950 in Bamberg. Der BR-Radiomoderator und Popsendungsmacher wurde 1987 zum TV-Star mit "Wetten, dass?". Er spielte in Filmen wie "Piratensender Powerplay", "Die Supernasen" oder "Zärtliche Chaoten".
Trotz strahlenden Wetters und steigender Corona-Inzidenz hatte "Minions - Auf der Suche nach dem Mini-Boss" einen überzeugenden Kinostart. Das neue Minions-Abenteuer lief in 675 Kinos mit knapp 60.000 verkauften Tickets am ersten Tag an. Eine der Fragen, die der Animationsfilm mit Erwachsenenanspruch stellt: Was passiert eigentlich mit Bösewichtern, die ins Rentenalter kommen? "Minions - Auf der Suche nach dem Mini-Boss" bekommt eine knallharte Antwort: Nach einem großen Coup wird Kampfsportlegende Wilder Knöchelknacker von der eigenen, jüngeren Gang den "Fiesen 6" abserviert. Thomas Gottschalk spricht diese Zentralfigur. Die es den anderen aber noch mal zeigt - mit Hilfe eines ganz Jungen.
AZ: Herr Gottschalk, im "Minions"-Film wird gleich - noch bevor es richtig los geht - der so genannte "alte weiße Mann" ausgemustert. Es ist der Gauner-Großmeister "Knöchelknacker", den Sie sprechen.
THOMAS GOTTSCHALK: Ich habe mir die Figur natürlich angeschaut, bevor ich zugesagt habe. Sie erinnert mich an Robert Plant von Led Zeppelin: ein alter Rock'n'Roller, der nichts auslässt und weiter macht, was er sein ganzes Leben schon gemacht hat. Und in der langen Zeit hat er einiges gelernt. Im Film nimmt Knöckelknacker dann den jungen Gru an die Hand, um die Zukunft zu sichern… Das ist nicht "alter weißer Mann", sondern "weiser" Mann, der's aber noch drauf hat! Aber ich erinnere mich: Es gab es schon mal die Boulevard-Schlagzeile: "Gottschalk hat's hinter sich!" Das war vor vielleicht 30 Jahren. Das sagt doch alles.

Und die hohe Geschwindigkeit des Films, war die ein Problem?
Ich rede ja schnell, und beim Synchronisieren wird das ja alles auch noch häppchenweise gemacht. Andererseits legen Synchronregisseure besonderen Wert auf das, wofür ich nicht gerade berühmt bin: Präzision! Ich halte mich ungern an Regeln oder Zeitpläne. Ich erinnere mich noch an Helmut Fischer, der beim Dreh von "Zärtliche Chaoten", zu dem ich ja selbst das Drehbuch geschrieben hatte, nett genervt zu mir gesagt hat: "Geh', sag's halt, wie's im Buch steht!" Aber wenn beim ersten Take der Kameramann gelacht hatte, hab' ich's beim zweiten Mal halt variiert, damit der noch mal lachen konnte. Ich mache halt keinen Gag gerne zweimal. Beim Synchronisieren habe ich aber die Korinthenkackerei natürlich akzeptiert, auch wenn ich "Lippensynchronität" bei Comicfiguren nicht ganz verstanden habe.
Gottschalk: "Man muss nur lange genug warten und schon wird man als Kulturphänomen analysiert"
Sie sind auch gerade auf einer sogenannten "Kultfilm"-Tour für 40 Jahre "Supernasen" mit Mike Krüger…
Aber ich glaube, ich kann besser synchronisieren als schauspielern. Aber die "Supernasen" waren ja auch nicht fürs Feuilleton gedacht.
Aber das Spannungsverhältnis zwischen dem Feuilleton und Ihnen hat sich ja längst aufgelöst.
Die Ponkie hat das in der Abendzeitung schon früh glasklar gesehen: Das Feuilleton ist für mich nicht zuständig und ich nicht für sie. Man kann nicht über das, was ich am Samstag spontan im TV gesagt habe, noch für die Feuilletonseiten am Montag nachdenken. Tolstoi kann man nach 150 Jahren noch lesen, aber für so eine Geltungsdauer sind TV-Auftritte halt auch nicht gemacht.
Aber Sie sind ein Kulturphänomen geworden?
Bei unserer "Supernasen"-Tour kam einer, der hatte sich uns beide auf den Oberarm tätowiert. Aber auch Leute, die sich mit Filmgeschichte auseinandersetzen oder Filmhochschüler, die mir erzählt haben: "Ihr habt plötzlich eine Metaebene eingezogen, indem die Figuren plötzlich als Mike Krüger und der Gottschalk demaskiert werden… in einer Kita durch einen Jungen." Das wird jetzt als Filmkulturbruch gefeiert. Das war damals weder intellektuell gemeint, noch wollten wir irgendwelche Ebenen aufheben. Aber man muss anscheinend nur lange genug warten und schon wird man als Kulturphänomen analysiert.
Beglückt Sie das?
Es amüsiert mich. Glück habe ich gehabt, weil ich immer genau
alles zur richtigen Zeit gemacht habe: Radio war ein verstaubter Altherrenclub. Dann kam ich, habe im Büro meine Werkzeugkisten mit den Singles drin durchgeblättert und spontan Dolly Parton und Stranglers rausgefischt und mir gedacht: Das wird den Leuten gefallen, und mir wird schon ein Übergang einfallen. Zwischen Rosenheim und Hof haben mir Hunderttausende zugehört, ich war dabei auch schon Tinder, als es das noch gar nicht gab, indem ich durch Fananrufe und Zuschriften Partnerschaften gestiftet habe. Eine ähnliche Freiheit hatte ich dann auch noch im Fernsehen, weil ich sie mir genommen habe: Sagen und machen, was ich will. Heute wirkt im Fernsehen und YouTube zwar vieles spontan, ist aber verlogen, weil hinter jedem Satz ein kommerzielles Interesse steht.
Gottschalk: "Ich mache überhaupt nur Sachen, die mir Spaß machen"
Das Angenehme ist, Ihnen scheint immer alles Spaß gemacht zu haben.
Ich mache überhaupt nur Sachen, die mir Spaß machen. Ich beantworte auch nur noch einigermaßen intelligente Fragen und nicht, warum ich mir die Haare abgeschnitten habe. Ich kann auch damit leben, dass man heute als Nr. 3 beim "Bachelor" eine Welle macht, die ich nicht nachvollziehen kann. Und wie sich Menschen in "Sommerhaus der Stars" heute im Fernsehen benehmen, befremdet mich. Ich entziehe mich dem verächtlich, auch wenn ich nicht von gestern sein will.
Im neuen "Minions"-Film sind am Ende die hippen Gangster in Ratten verwandelt - und der alte Knöchelknacker ist wieder groß da!
Das ist der Clou!
Trotzdem ist der Film - nicht nur musikalisch - eine Reminiszenz an die 70er-Jahre - mit Funk, Soul und Rock, also auch retro.
Sogar die Stones kommen vor, wenn die Minions singen "You can't always get what you want". Und Mick Jagger wird ein Leben lang älter bleiben als ich.
Disco-Musik wird im Film aber als Folter eingesetzt.
Mir hat Rock auch immer mehr zugesagt, sind die Doors lieber als Saturday Night Fever, aber ich habe aufgelegt, was gefällt, was auch mal Schrott sein konnte, wie Silver Convention mit "Fly, Robin, Fly", weil ich nicht für mich aufgelegt habe und auch kein Musiksachverständiger bin, als der ich missverstanden wurde. Ich finde aber heute die Moderatoren viel devoter, anbiedernd cool, und alles ist immer gleich "mega"! Und wenn ein Musikredakteur oder ein Algorithmus einen Titel rausgesucht hat, müssen die den spielen. Ich war da frei!
Gottschalk: "Rückblickend bin ich doch ein richtig großer Influencer gewesen"
Von Anfang an?
Ja. Sogar als DJ am Anfang habe ich in einer Kleinstadt halt mit Jimi Hendrix und Heavy Rock angefangen und später, wenn die Handwerker dann die Bühne dominiert haben und Roland W. "Monja" hören wollte, habe ich das auch aufgelegt. Zugegeben, weil die mich sonst vielleicht verhauen hätten. Aber von den Oberschülern, die als Headbanger von Anfang an da waren, ist auch keiner gegangen, das hat man ausgehalten. Heute, wenn die Beats nicht mehr so drängen, ist gleich die Luft raus. "Die biggsten Beats!", wenn ich sowas schon höre…
"Wetten, dass. .?" lief 2021 mit über 14 Millionen Zuschauern so phänomenal gut, dass Sie in diesem Herbst und 2023 je eine weitere Show moderieren dürfen.
Ich freue mich auch, dass ich noch weiter mitspielen darf und kann, wo ich das will. Wenn mir heute Jüngere sagen, sie hätten mich als Kinder und Jugendliche im Radio gehört, mich im Fernsehen verfolgt, dann bin ich rückblickend doch ein richtig großer Influencer gewesen.
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