Schwarzer Kater, kühle Katze: Die AZ-Kino-Kritik zu "Elle"

Unser Kontrollverlust unter ihrer Kontrolle: Paul Verhoeven gelingt mit Isabelle Huppert in "Elle" ein perfekter klassischer Thriller, der inhaltliche Regeln bricht.
Adrian Prechtel |
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Große Ausnahme: Isabelle Huppert ist für den französischen Film "Elle" als Beste Schauspielerin für den Oscar nominiert.
dpa Große Ausnahme: Isabelle Huppert ist für den französischen Film "Elle" als Beste Schauspielerin für den Oscar nominiert.

Unser Kontrollverlust unter ihrer Kontrolle: Paul Verhoeven gelingt mit Isabelle Huppert in "Elle" ein perfekter klassischer Thriller, der inhaltliche Regeln bricht.

Klassik aus der Edelstereoanlage, der Kater schnurrt, ein nächtliches Glas Wein nach dem anstrengenden Einsatz als Chefin einer Animations- und Computerspielfirma. Wenn jetzt die gläserne Balkontür brutal birst, bricht das Böse zwar unerwartet, aber nicht unvorbereitet in die Welt von Michèle (Isabelle Huppert). Denn Paul Verhoeven, der Provokateur mit Sex ("Türkische Früchte", "Basic Instinct") und Gewalt ("RoboCop", "Total Recall"), ist ein Meister des Zwiespältigen, der Irritation.

War nicht die Musik schon tragisch, der Kater schwarz und das Glas hitchcockartig blutrot leuchtend? Und jetzt ist der Zuschauer nur noch akustischer Zeuge der Vergewaltigung, erlebt als akustischer Voyeur im pervers angeregten Kopfkino einen Horror, in den sich eine schockierende Andeutung von Lust mischt. Und ist es wirklich nur die beherrschende, beherrschte Kühle dieser Frau, die sie danach fast ungerührt die Scherben zusammenkehren lässt, anstatt zur Polizei zu gehen?

Lesen Sie hier das AZ-Interview mit Isabelle Huppert: "Fast wie in einem trunkenen Zustand"

Und schon ist man nach wenigen Minuten in einer intelligenten, irritierenden Thrillerkonstruktion, die am Ende das Täter-Opfer-Schema skandalös aufbricht, in einem Gewaltspiel, in das sich auch noch ein spannendes Detektivspiel einmischt bei Michèles Suche nach dem Verbrecher mit der schwarzen Strumpfmaske. Ja, "Elle" kriegt in seiner quer zu allen Frauen- und Opfer-Diskursen verlaufenden Art kein Zuschauer oder Kritiker unter Kontrolle.

Kann der Zuschauer sich mit Michèle identifizieren?

Denn Michèle ist zwar unsere heiß-kalte Identifikationsfigur, aber eben kein Sympathieträger – oder doch? In der von ihr autoritär geführten Firma fordert sie ihre nerdig-jungen Spieldesigner auf, ein Sex-Gewalt-Tentakelmonsterspiel noch zuzuspitzen: nicht zufällig mit einer Vergewaltigungsszene! Ja, Michèle ist hart, hat Stil, und mit ihr gelingt Verhoeven auch ein positives, modernes Single-Porträt, das eben nicht von Mangel und der Suche nach dem Mr. Right gekennzeichnet ist, sondern von Freiheit und Selbstbestimmung. Aber auch das hat einen Haken, wenn plötzlich die Vergangenheit wieder einbricht und dieser Interpretation wieder eine andere Wendung geben würde. Denn vielleicht hatte Michèle durch eine fatale Kindheitsgeschichte gar keine Chance, Vertrauen zu anderen aufzubauen.

Dass die Bilder dabei glatt-perfekt sind, ist hier keine kitschige Übertreibungs-Schwäche, sondern intensiv-stilisierte Kunst. So entfaltet der Film in all seiner manchmal sogar ironischen Überspitzung eine komplexe psychologische Wahrhaftigkeit, die weit über den Abspann hinauswirkt.


Kino: City, Solln, Leopold, Monopol, Studio Isabella, Theatiner (OmU) Regie: Paul Verhoeven (nach dem Roman "Oh..." von Philippe Djian, F,D,B, 125 Min.)

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