Gastbeitrag

Saralisa Volm: Befreiender Mut der Verzweifelten

Was ist los mit dem deutschen Film und Kino? Die Produzentin und Regisseurin Saralisa Volm hat sich dazu Gedanken gemacht.
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Die Produzentin und Regisseurin Saralisa Volm.
Die Produzentin und Regisseurin Saralisa Volm. © Jana Rodenbusch

Nach der Corona-Zwangspause hat sich der Kinomarkt in Deutschland mittlerweile etwas erholt, liegt aber noch unter dem Vor-Coronaniveau. Und ein Aspekt schwächelt dabei ganz besonders: der deutsche Film – und das nicht nur, weil es seit einigen Jahren keine primär deutsche Produktion es mehr in die prestigeträchtigen Wettbewerbe der Festivals in Cannes oder Venedig schafft.

Immer weniger Kino-Besucher 

Auch an der heimischen Kinokasse will kaum einer mehr deutsche Filme sehen. Im ersten Halbjahr 2022 liegt der Marktanteil bei nur 15 Prozent. Von den 2022 gestarteten deutschen Filmen gibt es keinen, der die Halbe-Millionmarke bei den Zuschauern überschritten hätte.

Sönke Wortmanns Pennäler-Komödie "Eingeschlossene Gesellschaft" erreichte nur etwas über 300.000 Zuschauer. Die ebenfalls mit deutschen Stars gespickte Episodenkomödie "Die Geschichte der Menschheit – leicht gekürzt" erreicht nur noch gut 250.000 Zuschauer und der Arthousefilm von Andreas Dresen "Rabiye Kurnaz gegen George W. Busch" noch 150.000 Zuschauer, womit er sogar noch vor Leander Haußmanns "Stasikomödie" liegt, die unter 90.000 Zuschauern blieb. Neuer gestartet ist "Liebesdings" mit Elyas M'Barek, der bei 270.000 Zuschauern stehenbleiben könnte.

Das Kino hat seine Magie verloren

Was ist also los mit dem deutschen Film und dem Kino? Wir haben Filmemacher und Leute aus der Filmbranche gefragt – wie die Produzentin und Regisseurin Saralisa Volm: Das Kino hat seine Magie verloren. Der dunkle Raum, der uns verschluckt, begeistert und als neue Wesen wieder entlässt: Er übt keine Anziehungskraft mehr aus. Das Publikum ist weg und wir, die wir Filme machen, beschwören das Kino und seine angebliche Kraft mit leeren Phrasen, die sich in ihrer eigenen Pseudoromantik verheddern.

Woran bemessen wir, dass der deutsche Film schwächelt? An Besucherzahlen, an Preisen auf internationalen Festivals oder daran, ob ein Fördergremium ihn auswählt?

Ich will aber auch wissen, ob Filmemacher:innen von ihrer Arbeit leben können, ob sie kreative Freiräume vorfinden oder ob es ihnen noch gelingt ein Publikum zu bewegen, unabhängig von dessen Größe und wo es einen Film sieht.

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Erlauben, für, gegen oder mit dem Publikum zu arbeiten

Ich finde, wir sollten es uns erlauben für, gegen oder mit dem Publikum zu arbeiten und diese Unterschiede feiern und begrüßen. Wir brauchen das große kommerzielle Kino und wir brauchen auch die sperrigen und besonderen Kunstwerke und alles dazwischen. Gleichzeitig müssen wir einsehen, dass diese unterschiedlichen Filme und ihre Macher:innen auch individuelle Bedürfnisse haben und ihr ganz eigenes Publikum. Uns diese Vielfalt zu erlauben, ist die Freiheit, die ich mir für jede Form künstlerischen Schaffens wünsche. Diese Freiheit ist es, die sich Künstler:innen immer wieder mit Begeisterung erkämpfen müssen.

Ich glaube an die Wirkmacht von Begeisterung. Ich glaube an das, was der Wille zu erzählen, die innere Notwendigkeit Kunst zu schaffen oder zu unterhalten, auslöst. Es ist Begeisterung, die ansteckt. Es ist Begeisterung, die nachhallt. Es ist Begeisterung, die mitreißt. Wenn wir für Filme kämpfen, um Worte und Bilder ringen und mit Leidenschaft arbeiten, dann springt diese Begeisterung auch auf ein Publikum über. Außerdem lässt sie uns durchhalten auf dem langen Weg zu dringend benötigten politischen Veränderungen.

Mir scheint, als wäre die deutsche Kinobranche gerade nur darauf bedacht, die restlichen Brösel eines alten Kuchens zu verteilen, statt über den Tellerrand zu blicken. Was passiert in anderen Ländern? Wie vermitteln Museen ihre teilweise jahrhundertealten Inhalte? Was bedeutet Leben, außerhalb des Kinosaals, der vor 20 Jahren noch Gewinne abwarf? Welche Medien gibt es heute, um Geschichten zu erzählen? Was muss erzählt werden? Was soll gehört werden? Wie kämpfen wir dafür, dass es ein Publikum findet? Wie begeistern wir wieder? Wie schaffen wir Magie?

Es braucht Mut, Neugier und die Bereitschaft zu scheitern

Es gibt kein einfaches Rezept für Erfolg. Es braucht Mut, Neugier und die Bereitschaft zu scheitern. Warum nicht mehr Kurzfilme fördern und zeigen? Kurze Formate funktionieren auf Online-Plattformen gut und ein 7-Minuten-Experimentalfilm kann neugierig machen und kreative Spielfelder eröffnen. Dank digitaler Technik könnten wir uns vom starren Startwochenende lösen und Filme freier und besser kuratieren. Kontextualisiert, wie wir das aus der bildenden Kunst kennen. Das Kino als Inspirationsort statt eintöniger Abspielhalle.

Warum gibt es keine lange Nacht des Kinos, wie wir es von Museen kennen? Wer einmal die leuchtenden Kinderaugen bei diesen besonderen Veranstaltungen gesehen hat, weiß: Das prägt für ein ganzes Leben. Wo sind die Kinderprogramme der deutschen Filmfestivals? Oder wir könnten ein Kinoabo ausprobieren, wie Cineville in den Niederlanden oder uns die kinofreundlicheren Gesetze der Franzosen abschauen.

Niemand wartet auf uns

Vor allem könnten wir Geschichten zulassen, die Neues wagen, indem wir, wie bei anderen Kunstformen mehr freie Stipendien vergeben. Warum trauen wir uns nicht mehr Genre, unterschiedliche Längen und einen gelegentlichen Ausbruch aus der Wohlfühlbubble?

Kino braucht Vibration UND Resonanzkörper, Politik UND Liebe, Plakate UND Tiktok. Was auch immer wir tun, lasst uns dabei schneller, flexibler und vielfältiger werden. Niemand wartet auf uns.

Das Bewegtbild hat laufen gelernt. Es hat sich freigeschwommen vom Kino als Ort und vom linearen Fernsehen. Wir können immerzu darüber Jammern oder wir fangen an neue Ideen und Formen zu entwickeln. In der Finanzierung, in der Auswertung, in der Kommunikation. Wir können neue Orte der Begegnung schaffen. Neue Möglichkeitsräume denken, auch im Kino. Das Aufregende ist doch: Wenn unsere gelernten Methoden keinen mehr locken, dann gibt es auch keine klaren Regeln mehr. In dieser Zeit der Auflösung von althergebrachten Modellen liegt nicht nur der Untergang, sondern auch die Chance auf viele neue Spielwiesen.

Wir sollten es so machen, wie Herbert Achternbusch einmal sagte: "Du hast keine Chance, aber nutze sie."

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