Immer weniger Besucher: Ist das (deutsche) Kino verloren?
Das waren noch Zeiten für den deutschen Film, die gar nicht so lange her sind: Leander Haußmanns "Sonnenallee" (1999): 2,6 Millionen Zuschauer. Bulli Herbigs "Der Schuh des Manitu" (2001): 11,7 Millionen Zuschauer. Til Schweigers "Keinohrhasen" (2007): 6,33 Millionen. Bora Dagtekins "Fack ju, Göhte" (2013): 7,4 Millionen Zuschauer.
Nach der Corona-Zwangspause hat sich der Kinomarkt in Deutschland mittlerweile etwas erholt, liegt aber noch weit unter dem Vor-Coronaniveau. Waren im Zeitraum Januar bis Juli 2019 noch 57 Millionen Zuschauer ins Kino gegangen, sind es in diesem Jahr erst 38 Millionen.
Niemand will mehr deutsche Produktionen sehen
Und ein Aspekt schwächelt dabei ganz besonders: Nicht zum ersten Mal, aber jetzt überdeutlich, ist der deutsche Film in einer Krise – und das nicht nur, weil es seit einigen Jahren keine primär deutsche Produktion es mehr in die prestigeträchtigen Wettbewerbe der Festivals in Cannes oder Venedig schafft. Auch an der heimischen Kinokasse, will kaum einer mehr deutsche Filme sehen.
Im ersten Halbjahr 2022 liegt der Marktanteil bei nur 15 Prozent. Rechnet man heraus, dass im ersten Quartal allein der Film "Wunderschön", der bereits vergangenes Jahr startete, über 60 Prozent des Umsatzes eines deutschen Films machte, wäre die Bilanz noch viel magerer.
Kein neuer Film knackt die 500.000-Marke
Von den 2022 gestarteten deutschen Filmen gibt es keinen, der die Halbe-Millionmarke bei der Zuschauerzahl überschritten hätte: "Die Häschenschule – der große Eierklau" ist mit 470.000 Zuschauern noch nahe an dieser ohnehin mageren Marke. Sönke Wortmanns starbesetzte Pennäler-Komödie "Eingeschlossene Gesellschaft" erreichte nur etwas über 300.000 Zuschauer (2015 hatte seine Schulkomödie "Frau Müller muss weg" noch 1,1 Millionen Zuschauer).
Die ebenfalls mit deutschen Stars gespickte Episodenkomödie "Die Geschichte der Menschheit – leicht gekürzt" erreicht nur noch gut 250.000 Zuschauer und der Arthousefilm von Andreas Dresen "Rabiye Kurnaz gegen George W. Busch" noch 150.000 Zuschauer, womit er sogar noch vor Leander Haußmanns "Stasikomödie" liegt, die unter 90.000 Zuschauern blieb.
Neuer gestartet ist "Liebesdings" mit Elyas M'Barek, der bei 250.000 Zuschauern stehenbleiben könnte. Und der prominente Arthousefilm "Corsage" über die Kaiserin Elisabeth, der das Filmfest München eröffnete und bundesweit gute Kritiken und viele Artikel bekam, zog nur noch 35.000 Besucher ins Kino.
Was ist also los mit dem deutschen Film und dem Kino?
Michael Kötz, Leiter des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen, analysiert eine generelle Schwäche des Kinos. Denn das Kino ist nicht mehr der Sehnsuchtsort für neue Filmhits. Diese Position ist verlorengegangen an die Welt der Bildschirme. Aber weil es das Kino auf zwei Arten gibt, geschah dies auf verschiedene Weise.

Das Kino der Multiplexe, primär für Jugendliche und junge Erwachsene und deren Wunsch, im Kino soll alles "bigger than life" sein – ganz viel Action, traumhafte Beziehungskomödien und ähnliches: Dieses Kino geht zunehmend an Netflix, Amazon & Co. verloren, weil es Film dort viel billiger gibt und bequemer.
Und weil das alle so machen, sind die Filme im Netz auch zum Gegenstand der Kommunikation darüber unter Jugendlichen, des gemeinsamen Erlebnisses, geworden. Die Multiplexkinos haben nur eine Chance: Sie müssen zum Jugendtreff werden, bei dem es vieles gibt, das attraktiv ist und die Filme nur ein Element davon sind.
Kino als sozialer Treffpunkt
Denn grundsätzlich gilt heute: Das Wichtige am Kino ist gar nicht mehr die Leinwand, die neueste Filme zeigt. Das Entscheidende ist, dass das Kino ein Ort der Begegnung, Ort des Sozialen geworden, ist.
Heimlich war das schon immer so, aber es wurde verdeckt davon, dass die Menschen scheinbar wegen der Filme kamen sowie davon, dass es manche Filme tatsächlich nur dort im Kino zu sehen gab. Diese Zeiten aber sind unwiederbringlich vorbei. Wer sie sich nur zurücksehnt, hat nichts verstanden, oder sagen wir: nicht viel.
Und für das Kino der Gebildeten, der Erwachsenen, die "erwachsene" Themen haben wollen – oft sind das die ehemaligen "Programmkinos" (die aber schon lange kein eigenes Programm mehr kuratieren) – gilt, dass man einen guten Grund haben muss, sich dorthin aufzumachen, einen triftigen Grund, der weit darüber hinausgeht, nur einen Film zu sehen. Wie ich bei unserem Filmfestival immer zur Begrüßung sage: "Sie sind doch jetzt nicht hier bei uns, weil Sie endlich mal einen Film sehen wollen, oder?" Da lacht man herzlich.
Deutsches Kino sollte subventioniert werden
Es ist schon erstaunlich, dass die meisten Kinomacher noch nicht entdeckt haben, dass ihr Metier nicht darin besteht, einfach nur Filme zu zeigen. Wobei dieser Irrtum lange begünstigt wurde dadurch, dass man die Möglichkeit, die neuen Filme woanders, auf den Bildschirmen zu sehen, künstlich verknappt wurde, durch merkwürdige Schutzgesetze. Das war eine seltsame Notlösung mit diesen "Vorabspielfristen" zur Schonung der Kinos, so künstlich und einfallslos, dass es sich eben jetzt rächt.
Wer zu spät kommt – nämlich mit dem Nachdenken über die eigentliche Funktion des Kinos – den bestraft bekanntermaßen das Leben.
Wenn wir uns das Kino erhalten wollen, bleibt nur ein Weg übrig: es gemeinschaftlich so zu finanzieren wie die Stadttheater. Wenn das nicht geschieht, wird es verschwinden. Aber die 400 Filmfestivals in Deutschland, werden die Erinnerung ans Kino erhalten – also der Stachel sein, der daran erinnert, dass das Kino der Filmkunst – nicht das der reinen Unterhaltung – so subventioniert gehört wie die anderen Künste auch.
Auf die Frage, was los ist mit dem deutschen Film und dem Kino wollen uns in den nächsten Tagen noch andere Vertreter aus der Filmbranche antworten
- Themen:
- Amazon
- Kultur
- Netflix
- Til Schweiger