Interview

Regisseur Christian Petzold über seinen Film "Roter Himmel": Sommersehnsucht in Gefahr

Christian Petzold über seinen Film "Roter Himmel", das schöne Leben, weibliche Rollenbilder und die Liebe als Verschwendung.
Margret Köhler |
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Urlaub an der Ostsee: Thomas Schubert als Leon und Paula Beer als Nadja in Christian Petzolds Film "Roter Himmel".
Urlaub an der Ostsee: Thomas Schubert als Leon und Paula Beer als Nadja in Christian Petzolds Film "Roter Himmel". © Christian Schulz/Schrammfilm

München - Der Vertreter der sogenannten "Berliner Schule" beweist in "Roter Himmel", dass der Autorenfilm auch unterhaltsam, klug und bewegend sein kann. Ein leichter und beschwingter Sommerfilm nach seinem Vorbild Eric Rohmer. Vier junge Menschen verbringen einige Tage in einem Haus an der Ostsee, Jungautor Leon (Thomas Schubert), sein Kumpel Felix (Langston Uibel) und die faszinierende Nadja (Paula Beer), die in der Saison als Eisverkäuferin jobbt. Zu ihnen stößt ihr Bettgenosse, Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) und später noch Matthias Brandt als Verleger. Nicht weit entfernt tobt ein Waldbrand, der Gefahr für das Urlaubs-Idyll und die Unbeschwertheit des Jungseins ahnen lässt. Bei der Berlinale gewann "Roter Himmel" den Großen Preis der Jury.

"Ich wusste nicht, wie viel von mir in der Figur steckt"

AZ: Herr Petzold, wieviel Christian Petzold steckt im Schriftsteller Leon?
CHRISTIAN PETZOLD: Ich wusste erst mal nicht, dass eine Menge von mir in dieser Figur steckt. Da haben mich eigentlich die Schauspieler drauf gebracht. Sie haben mich während der Proben ins Verhör genommen und über meine Erfahrungen ausgequetscht. Bei meinem zweiten Film "Cuba Libre" war ich sehr unsicher. Leons zweiter Roman heißt "Club Sandwich". Vom Lautbild klingt das ähnlich. Cuba Libre plus ein Club Sandwich, das wäre ein Menü des Scheiterns, wie sie meinten. Da ist mir klargeworden, dass ich unbewusst autobiografische Momente und Selbstzweifel eingeflochten habe.

Christian Petzold, Regisseur und Drehbuchautor, freut sich über den Silbernen Bär Großer Preis der Jury für seinen Film "Roter Himmel".
Christian Petzold, Regisseur und Drehbuchautor, freut sich über den Silbernen Bär Großer Preis der Jury für seinen Film "Roter Himmel". © picture alliance/dpa

"Ich misstraue Leuten, die nicht an sich selbst zweifeln"

Haben sich die Selbstzweifel und Ängste nach mehr als einem Dutzend Filmen und vielen Preisen gelegt?
Die habe ich immer noch, und es ist auch keine Besserung in Sicht. Wer Selbstzweifel und Ängste abstreitet, dem misstraue ich vollständig.

Vor den Dreharbeiten verbrachten Sie mit den Schauspielern einige Tage auf der Halbinsel Wustrow. Wie lief das ab?
Schauspieler sind oft so etwas wie Leiharbeiter. Sie werden abgeholt, gehen in ihr Hotel, sitzen in der Maske und dann in einer Szene zwischen technischem Gerät wie Beleuchtungskörpern, Kamera und Tonangeln. So will ich nicht arbeiten. Ich mache immer drei Tage ein Seminar, wo ich erkläre, was ich gelesen und gehört habe, welche Fotos wichtig sind, welche Musik. Dann fahren wir an die Drehorte, gehen herum und ich erzähle, was hier passieren wird. Die haben also einen Film im Kopf, in dem sie selbst spielen und noch mal drei Wochen Zeit, das Drehbuch zu lesen und mit den Eindrücken dieser Wirklichkeit zu verbinden. Die Schauspieler genießen das sehr.

Weibliche Rollenbilder und intellektuelle Gruppendynamik

Fällt Paula Beer als Nadja nicht in das alte Rollenbild der weiblichen Kümmerin zurück?
Nein, die Figur der Nadja freut sich, wenn sie ein paar Menschen um sich versammelt oder auch mal kocht. Dass sie den Leon bezirzt, heißt nicht, dass sie mit ihm schlafen will oder sich verliebt hat, sie möchte ihn in die Gruppe integrieren. Bei unserem Vorbereitungsbesuch hat sich Paula Beer am Tisch draußen sofort in eine Position gesetzt, von wo sie alles überblicken konnte.

Sie jobbt als Eisverkäuferin und macht kein Aufhebens davon, dass sie ihre Doktorarbeit schreibt. Ist dieses Understatement nicht eine sehr weibliche Eigenschaft?
Im Gegensatz dazu ist der männliche Narzissmus krank und leider stark ausgeprägt. Aber ich glaube, es wird langsam besser. Ich bin umgeben von Frauen. Meine eigene Frau sieht meine Arbeit wirklich kritisch, meine verstorbene Casting-Agentin Simone Bär und meine Produzentin Margaret Menegoz aus Paris gehören zu den wichtigen Menschen in meinem Leben, deren Einschätzung meiner Arbeit mir sehr viel bedeutet.

Männlicher Kontrollverlust und Verkopftheit

Thomas Schubert verweigert sich als aufstrebender Autor jeglicher Lebenslust und Sinnlichkeit. Ist dieses Rummäkeln und nicht Genießen typisch für Intellektuelle?
Das ist die Angst vor Kontrollverlust. Früher, als es noch nicht so viele Clubs gab und Partys eher privat gefeiert wurden, liefen die Gespräche immer in der Küche ab, im großen Zimmer wurde getanzt. In der Küche hielten sich meistens Männer auf und redeten auch abfällig über die Tanzenden, in der Vielzahl Frauen. Diese Schwellenangst, aus der Küche in den Tanzraum einzutreten, sich körperlich und sinnlich zu exponieren, hatte vielleicht etwas mit Kontrollverlust zu tun. Im Film besteht die ganze Welt aus Schwellen, wie die Schwelle vom Meer zum Strand oder vom Haus zum Garten. Das sind Momente, wo jemand stockt, die Schwelle nicht übertreten will, Angst davor hat. Das durchzieht den Film.

"Angst überwinden schafft man nicht alleine"

Es geht auch darum, die Angst zu überwinden.
Das schafft man zum Teil nicht alleine. Da kann man sich noch so viel Therapie von der Krankenkasse bezahlen lassen, manch braucht manchmal einfach eine Gruppe.

Liebe heißt bei Ihnen, sich verschwenden. Dürfen wir uns heute überhaupt noch verschwenden?
Der protestantische Kapitalismus mag das nun gar nicht. Während der Pandemie und den Lockdowns wurde jungen Menschen jegliche Form der Verschwendung genommen, keine Treffen, kein Tanzen, keinen Kneipen, selbst das Sitzen auf Bänken war teilweise verboten. Gerade in dem Alter lässt man es doch krachen. Aber in Zeiten von Selbstoptimierung darf Verschwenden nicht passieren. Im Fitnesscenter oder beim Jogging im Park, sogar beim Yoga, sollen wir alles checken, bewusst an Grenzen gehen. Auch Kinder sind betroffen. Wir haben damals noch von morgens bis abends in Wald und Wiese herumgetobt. Das ist vorbei. Kein Spiel mehr. Jetzt laufen alle gegen sich selbst, kämpfen gegen sich selbst. Den Takt gibt die Apple-Watch vor.

Generation Corona hat es schwerer 

Hat die junge Generation es heute schwerer?
Ich kann mich nur auf meinen Sohn und meine Tochter, Anfang, Mitte 20, beziehen. Da ist alles sehr viel komplizierter. Zu Studienbeginn gab es weder Seminar noch Vorlesung. Die Sommer, die ich erlebt habe, waren immer noch Sommer mit einem Versprechen auf die Zukunft. Die Sommer der jungen Leute heute, die noch einen Platz im Leben suchen, sind vielleicht die letzten. Es gibt Brände, Überschwemmungen, Kriege, ein Planet, der röchelt. Das weist nicht in eine Zukunft, sondern wir sind kurz davor, innehalten zu müssen.

Alt trifft auf Jung, Reife trifft auf Neugierde

Gerade da finde ich es interessant, dass der ältere Matthias Brandt als Verleger Schwung in die Gruppe bringt. Er ist direkt und druckst nicht rum. Ist das der Vorteil vom Alter, sich nichts mehr vorgaukeln zu müssen?
Wir haben das zusammen entwickelt. Er wollte, dass die jungen Leute 25 Drehtage für sich sind und immer von Helmut, dem Verleger sprechen, der bald kommt. Als der reife und intellektuelle Mann wirklich auftaucht, trifft er auf eine Mischung aus Freude und Angst und die Frage, was geschieht denn jetzt? Thomas und Matthias kannten sich schon vorher aus der Netflix-Serie "King of Stonks", einer Komödie. Und dieses leicht Komödiantische steckte noch ein bisschen in ihnen drin.

"Eric Rohmers Filme erinnern mich an meine eigene Jugend"

Produzentin Margaret Menegoz hat Ihnen das Gesamtwerk von Eric Rohmer geschickt. Inwieweit diente das als Inspiration?
Einen Großteil hatte ich gesehen, als ich so alt war wie die Protagonisten im Film und ich war gespannt, ob diese Filme über junge Menschen mit einer Zukunft für mich noch einen Sinn ergaben oder mich langweilten. Ich war nach der Sichtung begeistert, weil ich mich an meine eigene Jugend erinnerte und gleichzeitig diese Filme etwas ewig Wahres auszeichnet. Eine tolle Inspiration.

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"Franzosen haben beim Thema Sex eine größere Freiheit"

Was können oder machen die Franzosen filmisch besser als die Deutschen in puncto Liebe, Flirt, Romantik oder auch Seitensprung?
Die verfügen über eine viel längere Kulturgeschichte des Bürgertums und der Verführung als Spiel, des Flirts und der Intrige. Da kann man einiges lernen, wenn man die Filme von Rohmer sieht oder die Geschichten von Maupassant liest. Oder diese Freiheit, zum Sex in ein Stundenhotel zu gehen, wie Fanny Ardant und Gérard Depardieu es ganz selbstverständlich am Samstagnachmittag in François Truffauts "Die Frau nebenan" tun. Das gehört zum schönen Leben dazu.

Wenn ich sage "Roter Himmel" ist Ihr zugänglichster Film, gefällt Ihnen das oder sagen Sie empört, die anderen sind auch zugänglich?
Ich würde den Begriff nicht verwenden, weil ich das Publikum nicht kenne. Die Arbeit mit dem Ensemble war großartig, auch weil man mich irgendwann nicht mehr brauchte. Von Anfang wusste ich, die Geschichte ist in einem Fluss, ich muss nicht die ganze Zeit an den Zügeln spielen. Meine Kinder und ihre gleichaltrigen Freunde waren bei der Premiere begeistert. Da habe ich wohl doch einen Nerv getroffen.

"Der Film soll erzählen, wie viel Spaß es macht jung zu sein"

Nagt es noch an Ihnen, dass "Roter Himmel" noch nicht einmal unter den nominierten Filmen zum Deutschen Filmpreis war? Da hängt ja auch viel Geld dran.
Nagen ist vielleicht zu viel gesagt. Aber es ist schon ein starkes Stück, wenn ein Film, der im Wettbewerb der Berlinale läuft, mit Null Punkten aus der Vorauswahl fliegt. Da stimmt etwas mit der Institution nicht. Aber das muss die Filmakademie selbst beantworten. Wenn eine Zunft Gelder unter sich verteilt, ist der Neid nicht weit.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem Film?
Er erzählt etwas von einer Sommersehnsucht und ein wenig davon, dass diese Sehnsüchte in Gefahr sind, soll aber gleichzeitig rüberbringen, dass es einen Riesenspaß macht, jung zu sein und ermutigen, diese unwiederbringliche Zeit im Leben aus vollem Herzen zu genießen.


Der Film kommt am Donnerstag, 20.04. in die deutschen Kinos.

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