"Promising Young Woman": Unheimlicher weiblicher Wirbel

Ein meisterhafter weiblicher Rachekrimi: Emerald Fennells "Promising Young Woman" mit Carey Mulligan.
Adrian Prechtel
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Carey Mulligan als männermordende Cassandra, die selbst Opfer einer Horrorgeschichte war.
Carey Mulligan als männermordende Cassandra, die selbst Opfer einer Horrorgeschichte war. © Focus Features

In diesem Film kann man erfahren, wie sich Kino in Zukunft öfter anfühlen wird: radikal weiblicher. Dabei beginnt alles wie eine verspätete Highschool-Komödie, mit einer Frau, die wie eine über das Studentische hinaus gealterte Lolita aussieht und in einer bunten Frühstücksbar jobbt. Nachts aber verlässt sie ihr - und das macht dann bereits stutzig - teddybärbesetztes Kinderzimmer und lässt sich scheinbar volltrunken von Männern abschleppen. Ein Trick. Denn sie dreht den Männern - in Wirklichkeit stocknüchtern - kurz vor dem Koitus den Saft ab und schmeißt die zuvor noch Skrupellosen demütigend raus. Und man ahnt, dass in dieser Frau einiges nicht stimmt, weil die Männerwelt an ihr zuvor Einiges zerbrochen haben könnte.

 

"Promising Young Woman":  Ein Frauenwerk, das Maßstäbe setzt

Carey Mulligan spielt Cassie, die tragödienschwer eigentlich Cassandra heißt. Und wirklich sind wir in einem Psycho-Rache-Thriller der Regiedebütantin Emerald Fennell (bekannt als Camilla in "The Crown"), die auch das Drehbuch schrieb und dieses Herzensprojekt mitproduziert hat. Produziert wurde das Ganze dann vor allem von Margot Robbie, die als Schauspielerin durch "Wolf of Wallstreet", "I Tonya" und "Bombshell" zum Star wurde. Und damit ist klar, dass wir mit "Promising Young Woman" nach all den Kämpfen von Frauenquoten in der Filmbranche ein klares Frauenwerk vor uns haben, das Maßstäbe setzt, und - bei aller grellen Eleganz und zynischem Witz - auch aus Wut über die Männerwelt geboren ist.

So fühlt man sich als Mann in diesem Film irritiert, weil es keine einzige männlich moderne Identifikationsfigur mehr gibt - bis auf einen jungen Kinderarzt (Bo Burnham), in dessen sensiblen Typus man sich aber auch täuschen wird.

Das Männliche ist hier durchgängig dumpf männerbündisch, glatt karrieristisch, sexistisch, bestenfalls albern. Dass diese mitleidslose Klischeehaftigkeit das Gegenteil von unfair und langweilig ist, liegt an dem umwerfenden Wendungsreichtum und der Vielschichtigkeit der Geschichte, hinter der eine Vergewaltigung mit Todesfolge steht, die aber bereits zehn Jahre vor der Handlung stattgefunden hat.

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Carey Mulligan wird in "Promising Young Woman" zum eiskalten Racheengel

Cassie ist - in diesen Vorfall verwickelt - den Schock nicht mehr losgeworden, hat die Vergangenheit in sich eingefroren und wird zu einem eiskalten Racheengel mit Lolitalutscher. Dabei entblättern sich für den Zuschauer - wie in einem hervorragenden Krimi - die Zusammenhänge immer stärker. Und weil kaum ein großer Film ohne eine wenigstens angedeutete Liebesgeschichte auskommt, ist auch hier eine tragische, morbide, lesbische subtil eingewoben - als Triebfeder für Cassie. Die besucht jetzt Schritt für Schritt Schuldige und Opfer des ursprünglichen Verbrechens an ihrer College-Freundin und greift bei der Wahrheitsfindung zu immer raffinierteren, aber vor allem radikaleren Mitteln.

Am sich mehrfach atemberaubend überschlagenden Ende wird es einen Vertuschungsmord geben. Der beendet das verpfuschte Leben einer einmal vielversprechenden Studentin, nachdem sie vor unseren Augen zum aggressiven Märtyrer geworden war. Und so ordnet man - noch ganz benommen - seine Gedanken und merkt, wie meisterhaft, dabei durchaus brutal, aber belebend hier die bisherige Kinowelt mit ihrem männlichen Blick weiblich durcheinandergewirbelt wurde.

Dass unsere Identifikationsfigur Cassie dabei durchaus auch psychopathologische Züge hat, und so unsere Sympathien für sie auf harte Proben stellt, ist ebenfalls intelligent. Und ganz nebenbei bekommt man noch ein beklemmendes Bild der gegenwärtigen US-Gesellschaft geliefert: moralisch entwurzelt, hedonistisch, dabei spießig und unbewusst verzweifelt.


Kino: Arri, Leopold, Royal, Mathäser sowie City, Monopol, Maxim, Rio (auch OmU) und Cinema, Museum (OV); Regie: Emerald Fennell (USA, 113 Min)

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