Michael Herbig: "Humor immer auch Spiegel des Zeitgeists"
Michael Herbig gelang mit dem Thriller "Ballon" ein beeindruckender Genrewechsel - der Film ist nun als DVD erhältlich und der Regisseur plant schon das nächste Drama, ein Missbrauchsfall.
Das früher lässig zugängliche Bavaria-Gelände im Geiselgasteig ist seit kurzem ein Hochsicherheitstrakt. Mit aufs Handy geschicktem, zeitlich eng begrenztem Eingangscode kommt man nach Anmeldung doch hinein. Am südöstlichen Eck hat die Produktionsfirma, die mit ihrem Namen Herbix den Mann dahinter verrät, ihren Sitz. In einer Vitrine stehen Dutzende von Filmpreis-Trophäen, aber mitten auf dem Tisch des Konferenzraumes prangt exponiert der "AZ-Stern des Jahres".
Sofort versichert Michael Herbig, dass das nicht als Schmeichelei für das AZ-Interview so hindrapiert worden sei. Wirklich? Ja, denn hier stehe immer der letzte Preis, den er bekommen habe - und das sei zur Zeit der AZ-Stern für "Ballon", Herbigs Thriller über die Flucht zweier DDR-Familien mit einem selbstgebauten Heißluftballon. Der Film ist jetzt auf DVD erschienen.
AZ: Herr Herbig, Annegret Kramp-Karrenbauer macht einen blöden Witz über die "dritte Toilette" - und erntet einen Shitstorm. Hat die Political Correctness uns schon so stark im Griff, dass das Klima für Humor und Witze schwieriger geworden ist?
MICHAEL HERBIG: Okay, es war ein schlechter Witz. Aber viel schlimmer als der Witz war die miese Performance. Ich hätte ihr davon abgeraten. Wer nicht Fußball spielen kann, sollte halt auch keinen Elfer schießen.
Aber zeigt das nicht, dass der Kampf um den Humor verbissener wird?
Ja, vielleicht sind wir alle durch den Zeitgeist sensibler geworden. Aber meine Haltung dazu hat sich nicht verändert. Bei unseren Comedy-Shows war immer der Maßstab: Wenn die, die wir auf den Arm nehmen, mitlachen, ist alles okay. Nach "Der Schuh des Manitu" und "(T)Raumschiff Surprise" sind sogar Leute im Friseursalon rumgetänzelt und haben Prosecco bestellt. Du kannst über Humor und Geschmack nicht streiten. Die so genannte Gürtellinie ist bei manchen am Hals und bei anderen am Knöchel. Wann ist also was "unter der Gürtellinie"? Nach einer TV-Aufzeichnung der "bullyparade" ist mal ein Rollstuhlfahrer auf uns zugekommen und meinte: "Macht doch mal mehr Witze über Behinderte!"
Trotzdem scheint der Kampf verbissener geführt zu werden.
Humor ist immer auch ein Spiegel des Zeitgeists und der politischen Situation. Da sind wir auch bei meinem Film "Ballon". Ich hab’ ja wirklich viele Gespräche im Vorfeld geführt, und eine Sache hat mich besonders beschäftigt. Wenn man Pech hatte, ist man in der DDR für einen politischen Witz drei Jahre in den Knast gewandert. Deshalb sollten wir heute dafür sorgen, dass man weiter Witze über fast alles machen darf. Gegen Trump hilft sowieso nur noch Humor.
Wieso?
Seine Anhänger folgen ihm ja anscheinend bedingungslos. Und alles, was ihm nicht gefällt, wird zum "Fake" erklärt: Fakten, Meldungen, Bilder. Was er aber nicht zum "Fake" erklären kann, ist ein guter Witz. Das ist die große Macht des Humors. Es gibt einfach keine "Fake"-Witze.
Sie haben gesagt, wenn mein politischer Thriller "Ballon" gut funktioniert, will ich weiter keine Komödien, sondern Genrefilme machen, auf die ich Lust habe.
Je näher der Kinostart kam, desto größer war meine Nervosität. Aber bereits die ersten Reaktionen waren so wunderbar bewegend - weit über Social Media hinaus. Menschen, die in der DDR gelebt haben, haben sich hingesetzt und mir Briefe und E-Mails geschrieben, weil sie mit der Familie über den Film ins Gespräch gekommen sind und diskutiert haben. Es gab bei den Kinobesuchern auch gar kein Ost-West-Gefälle. Auch das Feedback während den Schulkinowochen ist großartig, das waren gute Gespräche. Es werden kluge Fragen gestellt.
Ein psychologisches Problem in den Neuen Bundesländern ist ja, dass man im Westen die DDR-Geschichte, die biografischen Brüche und die Kraft des Neuanfangs nicht richtig wahrgenommen hat. Und so ein Film ist da eben auch ein Ausgleich.
Aber mir ist auch wichtig: "Ballon" ist kein Film über die DDR, es bleibt ein für jeden nachvollziehbarer Thriller, der sich auf die Menschen konzentriert. Er erzählt, was es bedeutet, fliehen zu müssen, alles hinter sich zu lassen: seine Freunde, Verwandten, die Heimat, mit dem Gefühl, sie alle nicht mehr wiederzusehen. Das sind Themen, die uns beschäftigen und berühren. Und der Erfolg des Films ist eine echte Motivation für mich, in diese Richtung weiterzumachen.
Sie sind Autor, Schauspieler, Produzent, Synchronsprecher. Womit machen Sie jetzt als Regisseur weiter?
Wenn es gewünscht ist, halte ich mein Gesicht auch weiterhin gern für Komödien in die Kamera.
Und als Regisseur?
Es könnte sein, dass auch mein nächster Film auf wahren Begebenheiten basiert. Dabei geht es um eine Soldatin, die Opfer eines sexuellen Übergriffs wird.
Ein gewagtes Thema.
Ja, aber wichtig. Extrem emotional und aufwühlend. Ich denke, dass man auch so eine Geschichte packend erzählen kann, ohne die Sensibilität zu verlieren.
Als Regisseur oder Schauspieler hat man ein Projekt, dann ist es durch. Fällt man da nicht zwischendurch in ein Loch, im Gegensatz zu einem geregelten Fulltime-Job?
Aber den habe ich ja auch, hier in meinem Büro. Ich bin total dankbar, eine Arbeit zu haben, die wahnsinnig abwechslungsreich ist. Recherche, Stoffentwicklung, irgendwann merke ich: Jetzt ist es genug mit Schreiben, jetzt muss es losgehen. Und während des Drehs Freude ich mich schon total auf den Schneideraum, wo man den Film in aller Ruhe fertig stellen kann. Dann die Premieren, die Promo-Phase, wo du den Leuten erzählen musst, dass es den Film gibt und wie er geworden ist, die Interviews. Das ist alles schon sehr abwechslungsreich.
War es schwierig, wie jetzt mit "Ballon", den Fans den Imagewechsel vom Comedian zum Regisseur eines Thrillers zu verkaufen?
Natürlich war ich extrem gespannt, ob das Publikum einen Thriller von mir akzeptiert. Aber eigentlich fängt man ja mit jedem Film wieder von vorne an, egal welches Genre. Wenn der Film nicht funktioniert, hauen sie ihn dir um die Ohren. Aber dass ein Genrewechsel gelingen kann - auch wenn er in einer anderen Liga spielt -, hat Tom Hanks vorgemacht. Man kannte ihn vorher nur aus Komödien und plötzlich hat er mit dem Aids-Drama „Philadephia” etwas ganz anderes gemacht.
Aber wie haben Sie sich und den anderen diesen Wechsel verkauft?
Man muss diese Dinge ganz kindlich angehen, dann ist es wie im Sandkasten. Du entdeckst ein neues Spielzeug. und plötzlich merkst du: Mit dieser neuen Schaufel kann ich ja noch ganz andere Sachen machen! Mit dieser Überzeugung, Lust und Neugier kann man das Neue befreiter angehen. Und dieser Aha-Effekt, dass man da jetzt was ganz anderes gemacht hat, wurde mir bei "Ballon" erst so richtig bewusst, als der Film fertig war. Vorher war ich viel zu beschäftigt, um mir Sorgen zu machen. Ich habe da anscheinend einen recht praktischen Verdrängungsmechanismus.
Woher haben Sie Ihre Souveränität im Leben gewonnen?
Vielleicht von meiner Mutter, die immer solidarisch war und mich nie ausgebremst hat. Ich bin ja schon so mit 10 oder 11 Jahren angekommen und habe gesagt, dass ich Filme machen will. Sie hat nie dagegen gearbeitet, sondern mich liebevoll begleitet. Wenn man dann was mit Leidenschaft macht, ist auch die Erfolgs-Chance größer. Und mit dem Erfolg kommt dann natürlich ein weiterer Souveränitäts-Schub. Aber ich bin immer noch sehr demütig und weiß: Man geht mit jedem Film zurück auf Los. Wenn die Leute meinen neuesten Film nicht mögen, kann ich ja nicht sagen: "Aber vor 20 Jahren hab’ ich mal einen gemacht, der euch gefallen hat!"
Ihre Erfolge laufen ja immer noch im Fernsehen.
Es ist total schön, wenn da neuen Generationen nachwachsen, die meine alten Filme mögen und darüber herzlich lachen können. Aber das beobachte ich eher wie ein Außenstehender, weil ich heute ganz woanders bin.
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