Mario Martones "Nostalghia": Eine dauerhafte Rückkehr nach Neapel
Es ist ein schöner Begriff, der sich aus dem Altgriechischen geschöpft in viele europäische Sprachen hineinversetzt hat, weil er so treffend etwas Bekanntes, aber emotional Vielschichtiges beschreibt: "Nostalgie" verbindet "Heimkehr", "Rückkehr" sowie "Trauer" und "Schmerz". Es ist die Wehmut nach dem Heimweh.
Felice (Pierfrancesco Favino) hat in gewissem Maße Glück gehabt. Als 15-Jähriger hat er mit Freunden Diebstähle und Einbrüche durchgezogen. Aber ein Ding lief schief. Sein Freund Oreste erschlug den Wohnungsbesitzer. Felice tauchte unter, floh, landete im Libanon, konvertierte zum Islam, war in Südafrika, heiratete glücklich in Ägypten und betreibt seit Jahren eine gutgehende Baufirma in Kairo.
"Nostalghia" von Mario Martone: Romanvorlage wird spürbar
Dass dem Film "Nostalghia" von Mario Martone ein Roman zugrunde liegt, ist dramaturgisch spürbar: Ein Mann – eben Felice – kehrt nach 40 Jahren an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurück. Seine Mutter wird nicht mehr lange leben – und er will sie noch einmal sehen und auch begleiten hier in Neapel, im nicht gut beleumundeten, dichten Altstadtviertel Sanità.
"Stell dir vor, ich bin noch dein kleiner Junge" sagt er zur Mutter, die ihn sofort vorwurfslos, aber verschämt als verlorenen Sohn wieder annimmt, im anarchischen Mietshaus, wo sie aus ihrer oberen Wohnung in eine dunkle Erdgeschosswohnung gedrängt wurde. Er wird ihren gebrechlichen Körper liebevoll in die Badewanne heben und waschen.
"Nostalghia" zeigt die abendteuerliche Welt der Jugendkriminalität
Mario Martone erzählt die Rückkehr als zunehmende Wiederanverwandlung. Und der Grundton ist eben die sanft wärmende, liebevolle "Nostalghia", die hier ein Gefühl der Zugehörigkeit ist, die von Felice immer mehr Besitz ergreift. Bis er – nach der Beerdigung seiner Mutter – hier ein Haus kauft und immer klarer wird, dass er gekommen ist, um zu bleiben.
Der Trick des Filmes besteht nicht nur darin, in Rückblenden das Leben (in Retro-Super8-Format) und die dramatischen Geschehnisse vor 40 Jahren zu zeigen: die abenteuerliche Welt aus Jugendkriminalität, echten Freundschaften, Katholizismus, Familienbanden und Abenteuer in den schmalen Gassen mit den Menschen in den Fenstern und Straßen, durch die Motorräder knattern. Der Film nimmt uns vor allem an die Hand, weil wir mit Felice auf eine ihm einerseits vertraute, andererseits aber fremd gewordene Welt blicken, in die er sich wieder integrieren will - als geläuteter Mensch.
Malerisch, wild, abgeblättert: ein Streifzug durch Neapel
Und so durchstreifen wir das labyrinthische Viertel Sanità, das auch malerisch ist, aber eben auch wild und abgeblättert. Spannung bezieht der Film durch ein zunehmendes Bedrohungsszenario, dass wir Zuschauer spüren, Felice selbst aber nicht zu sehen scheint – oder nicht sehen will. Bis die Zeichen – wie sein brennendes Motorrad vor der Tür – nicht mehr zu ignorienen sind.
Es sind die sehr gegenwärtigen Geister der Vergangenheit - hier ganz real in Form von Oreste (Tommaso Ragno), der nach dem Jugendknast mittlerweile der Camorra-Chef Neapels ist. Felice will den Jugendfreund – den Abgeschirmten brutalen Schattenmann – finden, aufsuchen, mit ihm die Vergangenheit klären. Und so ist es auch die naive Hoffnung, die sich auf den Zuschauer überträgt, dass mit Begegnungen Versöhnung und ein Ausweg aus Kriminalität und Gewalt möglich sind.
Mario Martone und Roberto Saviano: Unübersehbare Gemeinsamkeiten
Ein Lichtblick stellt hier der Gemeindepfarrer (Francesco Di Leva) dar, der mit Jugendclub, einem Boxstudio versucht eine Gegenwelt zur Perspektivlosigkeit und Mafia aufzuzeigen.
Wer Roberto Savianos "Gomorrha" gelesen oder gesehen hat, wird einiges Wiedererkennen. Mario Martones Film ist dabei viel romanhafter, künstlerischer, romantischer. Aber es ist die große Kunst von "Nostalghia", dass hier gleichzeitig auch nichts verlogen verklärt wird.
Kino: ABC, Monopol sowie Isabella und City (auch OmU), Theatiner (OmU), Regie: Mario Martone (I, 118 Min.)
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