Kult-Regisseur Klaus Lemke (†81): Jugendlich wild, ein Leben lang
Vergangene Woche feierte er noch die Premiere seines Films "Champagner für die Augen – Gift für den Rest" auf dem Münchner Filmfest. Wie immer, wenn Fotografen anwesend waren, hatte er ein Schild dabei, und darauf stand einer der für ihn typischen Sätze: "Kunst kommt von Küssen". Am Donnerstag nun ist der ewig jugendliche, ewig lässige Schwabinger Kult-Filmemacher Klaus Lemke gestorben. Mit seinen Filmen hat er das Bild Schwabings und Münchens geprägt.
Klaus Lemke: Kino statt Studium
Geboren wurde er 1940 in Landsberg an der Warthe im heutigen Polen. Mit Mutter und Schwester war er über die DDR in die Bundesrepublik geflüchtet, seine Schulzeit verbrachte er in Düsseldorf. Lemke studierte einige Semester Philosophie – nach Selbstauskunft bei Martin Heidegger – und Kunstgeschichte, brach dann aber ab.
Statt zu studieren verbrachte er in den Sechzigern viel Zeit im legendären Kino Türkendolch in der Türkenstraße, sah unter anderem französische Nouvelle Vague-Filme, gemeinsam mit anderen jungen Kinofans, die dann den deutschen Film prägen sollten, Rudolf Thome, Werner Enke und May Spils. Anschließend zog er mit seinen Freunden, gern auch weiblichen, bis zum frühen Morgen durch die Schwabinger Kneipen. Außerdem war er Mitte der Sechziger Mitarbeiter der Zeitschrift "Film".
Von "Rocker" bis "Arabische Nächte": Das waren die bekanntesten Filme von Klaus Lemke
Ab 1965 drehte er seine ersten eigenen Kurzfilme. Bekannt wurde er 1967 mit dem Kinofilm "48 Stunden bis Acapulco". Das folgende Jahrzehnt war sein erfolgreichstes: Der in Hamburg gedrehte Film "Rocker" (1972) wurde für seine Authentizität gefeiert, ebenso "Sylvie" (1973). Es folgten "Idole" (1976), "Amore" (1978), für den er den Adolf-Grimme-Preis erhielt, und "Arabische Nächte" (1979). Sprüche wie "Mach dich mal gerade” gingen in den allgemeinen Sprachgebrauch über, und für Regisseure der nächsten Generation war Lemke eine große Inspiration: Dominik Graf hielt die Laudatio, als Lemke 2010 den Filmpreis der Stadt München erhielt.
Klaus Lemke machte Iris Berben, Wolfgang Fierek und Rolf Zacher zu Stars
Meistens arbeitete Lemke mit Laien zusammen, die er in München oder Berlin in Cafés oder auf der Straße entdeckt und oft vom Fleck weg engagiert hatte. 1969 drehte er mit der blutjungen Iris Berben den Film "Brandstifter", inspiriert von einem kurzen Intermezzo mit Andreas Baader in einer gemeinsamen Studenten-WG. Viele seiner Entdeckungen machte er zu Stars: Wolfgang Fierek, Dolly Dollar, Rolf Zacher, Thomas Kretschmann und Cleo Kretschmer.
Die beiden wurden auch privat ein Paar. In der AZ erinnerte sich Lemke anlässlich seines achtzigsten Geburtstags 2020 an die erste Begegnung mit ihr in der Poesie, die für ihn typisch war: "Sie hat als Barfrau im Henderson gearbeitet, hatte den hübschesten Po von allen und war wie ein Splitter aus dem Paradies. Wie ein Dieb in der Nacht hijackte sie die Herzen. Ich hab sie wegen ihres bairischen Dialekts zwar nicht verstanden, fand sie aber toll."
Karriereknick in den 90ern: Klaus Lemke feierte 2010 ein Comeback
Beruflich ließ Lemkes Erfolg allmählich nach, Filme wie "Bibos Männer" (1986) und "Die Ratte" (1993) wurden verrissen, in den 90ern war seine Karriere vorbei, und sein Geld hatte er nach eigenen Angaben in den erfolgreichen Zeiten verprasst. Wiederentdeckt wurde er erst nach der Jahrtausendwende. 2010 erhielt er den Filmpreis der Stadt München für "Schmutziger Süden" – einer seiner vielen Filme, in denen nicht nur attraktive Frauen, sondern auch München eine wichtige Rolle spielten.
Doch ob er gerade Erfolg hatte oder auch nicht: Er zog immer sein Ding durch und passte sich nie dem deutschen Filmsystem an - im Gegenteil. Jahrelang empörte er sich über die Filmförderung. "Deutsches Staatskino ist ein bis zur Hilflosigkeit subventionierter Kaffeeklatsch", polterte der Provokateur in einem Interview 2021. Solange nicht jedwede Filmförderung aus "Staatsknete" abgeschafft werde, bleibe das deutsche Kino der "Toplangweiler worldwide".
Auch mit den großen Festivals lag er im Clinch: Auf der Berlinale zeigte er 2012, also auch schon im reiferen Alter, aus Protest am Rande des roten Teppichs seinen nackten Hintern. Eine Dauerfehde pflegte er auch mit dem Filmfest München – dann aber drehte sich der Wind: 2014 wurde seinem Werk eine eigene Reihe gewidmet. Seither liefen seine Filme regelmäßig auf dem Festival.
Der Streetart-Filmemacher drehte sie stets in seinem unorthodoxen Stil. Oftmals gab es kein ausgearbeitetes Drehbuch, sodass den Darstellern Raum für Improvisation blieb. Und technisch entstanden die Filme mit einfachsten Mitteln: Sein ganzes Filmequipment passe "leicht in eine Reisetasche, die als Handgepäck durchgeht", sagte er. Der Kameramann mache auch den Ton und als Darsteller suchte er sich weiterhin Leute von der Straße, auffallend oft gutaussehende junge Frauen, die in den Filmen nicht allzu üppig bekleidet waren.
Letzter Film "Champagner für die Augen - Gift für den Rest": Ein großes Vergnügen
Die Kosten waren für Filmverhältnisse lächerlich gering, aber für einen einzelnen dann doch nicht unerheblich: Lemke zahlte allen Beteiligten am Tag 50 Euro – aus eigener Tasche. Er lebte äußerst bescheiden in einem Einzimmer-Appartment ohne Bad, und das Geld, das er verdiente, steckte er umgehend in den nächsten Film. So drehte er immer weiter, auch in den vergangenen Jahren entstanden Film um Film: "Unterwäschelügen" (2016), "Bad Girl Avenue" (2018), "Neue Götter in der Maxvorstadt" (2019), "Ein Callgirl für Geister"(2020) und zuletzt "Champagner für die Augen – Gift für den Rest": Darin fügte er Szenen der Filme seines erfolgreichsten Jahrzehnts aneinander und ließ das Schwabing der Siebziger noch mal aufleben. Ein großes Vergnügen, wie unser AZ-Kritiker letzte Woche befand. Zumal die Lockerheit, Spontanität, diese coole "Kumm i heit net, kumm i moang"-Attitüde dem deutschen Film der Gegenwart abgehe wie der Gesellschaft überhaupt.
Als Lemke den Film bei seinem letzten öffentlichen Auftritt vergangene Woche vorstellte, war er schon wackelig auf den Beinen, wie Branchengäste berichteten. Lemke erzählte von einem Bruch, doch seine schlechte Verfassung hinderte ihn nicht daran, die Show an sich zu reißen – eine gute Show, so die Augenzeugen. Nun ist Lemke im Alter von 81 Jahren verstorben, die Todesursache ist noch nicht bekannt.
In der BR Mediathek kann man kostenlos "Champagner für die Augen – Gift für den Rest" sehen sowie "Amore" – letzteren nur an diesem Wochenende.
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