Interview mit Casey Affleck, dem Hauptdarsteller von Manchester by the Sea

Casey Affleck ist mit der Hauptrolle in dem großartigen Drama „Manchester by the Sea“ ein Oscar-Kandidat.
von  Martin Schwickert
Mit „Manchester by the Sea“ holt Casey Affleck gegenüber dem drei Jahre älteren Ben mächtig auf in Sachen Berühmtheit.
Mit „Manchester by the Sea“ holt Casey Affleck gegenüber dem drei Jahre älteren Ben mächtig auf in Sachen Berühmtheit. © dpa

Bislang ist Casey Affleck der weniger berühmte der beiden Hollywood-Brüder. Doch mit „Manchester by the Sea“ holt er gegenüber dem drei Jahre älteren Ben mächtig auf. In dem brillanten Drama spielt der 41-Jährige einen verschlossenen, eigenartigen Hausmeister, der mit seiner familiären Vergangenheit konfrontiert wird.

Für seine Leistung gewann er den Golden Globe – und er ist ein heißer Anwärter auf den Oscar. Für den war er schon 2008 nominiert: Damals feierte er seinen ersten Erfolg mit einer Nebenrolle in „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“.

AZ: Mr. Affleck, „Manchester by the Sea“ spielt im Arbeitermilieu, in dem Sie selbst Ihre Kindheit verbracht haben. Hat Ihnen das bei der Entwicklung der Figur geholfen?
CASEY AFFLECK
: Ich bin in einem Arbeiterviertel in Boston aufgewachsen, aber die Parallelen zwischen meinem Leben und dem Setting des Filmes sind nur oberflächlich. Der Kern der Story und der Charaktere hat wenig mit deren proletarischer Herkunft zu tun. In dem Film geht es nicht um ein soziales Milieu, sondern um eine universelle Geschichte.

Die Figur, die Sie spielen, ist ein Mann, der seine Gefühle in sich hinein frisst. Trotzdem fühlt man sich der Figur nahe. Wie haben Sie diese Balance hinbekommen?
Ich habe ganz bewusst versucht, nicht an das Publikum zu denken. Auch gute Schauspieler machen oft den Fehler, an eine Szene mit der Frage heranzugehen: Wie kann ich meine Figur dem Publikum verständlich machen? Aber Kenneth Lonergan inszeniert seine Filme immer sehr realistisch und da muss man darauf vertrauen, dass das Publikum die Figur aus sich heraus versteht. Ich bin sowieso der festen Überzeugung, dass das Publikum intelligenter ist, als es die Filmindustrie wahrhaben will.

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Warum unterschätzt die Branche ihre Zuschauer?
Es ist eine Schande, dass das Kino, das Fernsehen, die Medien immer mehr verblöden, nur weil sie Angst haben, dass die Leute ihre Botschaft nicht verstehen. Viele Filme versuchen die Zuschauer so zu manipulieren, dass sie, egal in welchem Alter sie sind oder woher sie kommen, in diesem Moment alle nur diese eine Sache fühlen. Ich finde es wichtiger, das Publikum mit Respekt zu behandeln und die Geschichte so zu erzählen, wie man es selbst für richtig hält.

Wie setzt man einen respektvollen Umgang mit dem Publikum als Schauspieler um?
Ich finde es wichtig, dass sich Filmfiguren wie wirkliche Menschen verhalten, ohne dass sie auf Gedeih und Verderb transparent gemacht werden müssen. Denn die Menschen laufen nun einmal im wirklichen Leben nicht transparent durch die Welt, sondern passen auf, dass sie ihre Gefühle nicht direkt zeigen. Man muss das Publikum nicht irgendwohin führen, damit es an einem bestimmten Ziel ankommt. Wenn man die Figuren mit all ihren Fehlern offen legt, haben die meisten Menschen ein wirkliches Mitgefühl und finden ganz von selbst den Weg zum Ziel.

Wieviel nehmen Sie von einer Rolle nach dem Dreh mit nach Hause?
Ich versuche es zu vermeiden, dass die Figuren, die ich spiele, ein Teil von mir werden. Es gibt einige Charaktere, bei denen ich wirklich froh war, sie wieder los zu werden. Die Charaktere bleiben bei mir nur in ihrer filmischen Form, wenn ich über die Jahre hinweg an dieses oder jenes Filmprojekt denke, das mich auf eine bestimmte Weise als Schauspieler geformt hat. Ich schaue mir die Filme, die ich gedreht habe, nur einmal an und dann erst wieder frühestens nach zehn Jahren. Aus der zeitlichen Distanz heraus kann ich sie klarer sehen und einiges mit mehr Lebenserfahrung besser verstehen.

Lesen Sie, was über Sie und Ihre Filme geschrieben wird?
Nur noch selten, in Momenten der Schwäche. Aber früher habe ich sehr gern Filmkritiken gelesen. Wenn es eine wirklich nachdenkliche Analyse des Films ist, hilft eine Kritik, das Gesehene besser zu verstehen. Das ist wie mit einem Gedicht, das einem irgendwie gefällt, aber durch eine gute Literaturanalyse erst an Kraft gewinnt. Filmkritiken sind ein wichtiger Teil des ganzen Diskurses. Aber heute überwiegen leider die Klatsch-Berichte, bösartige Schreibweisen und eine Menge Ignoranz. Deshalb lese ich heute kaum noch, was über meine Filme geschrieben wird. Man weiß nie, wo man da hineingerät.

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