"Die Kommune": Gegen die neue Spießigkeit

Der Däne Vinterberg ist selbst in einer Wohngemeinschaft aufgewachsen und porträtiert jetzt "Die Kommune“, deren Ideale zu scheitern drohen. Trine Dyrholm erhielt auf der Berlinale den "Silbernen Bären“ als beste Darstellerin.
Thomas Vinterberg: Der heute 46-jährige Unterzeichner des dogma-95- Manifests wurde mit Preisen für den Dogma-Film „Das Fest“ (1999) überschüttet, reüssierte nach einer Auszeit mit Filmen wie „Die Jagd“ oder „Am grünen Rand der Welt“.
AZ: Herr Vinterberg, wäre diese basisdemokratische Art des WG-Zusammenlebens heute noch möglich?
THOMAS VINTERBERG: Heute wohnen Studenten aus rationalen Gründen zusammen, sie sparen Miete, jeder hat sein eigenes Fach im Kühlschrank und bewacht seinen Yoghurt. Das ist nicht mehr so naiv, verrückt oder liebenswert wie damals. Ich erinnere mich an den radikalen Wandel zwischen 1975 und 1985. Teilte man zu Beginn großzügig die Miete nach Einkommen auf, trank und feierte zusammen, bediente sich aus der Gemeinschaftskasse, wollten später plötzlich genau diese Leute weniger zahlen, weil sie zum Beispiel ja nur Mineralwasser getrunken hätten. Und eine Putzfrau musste auch her. Individualismus und das Recht auf Privatsphäre ersetzten das Kollektiv. Geteilt wird heute primär auf Facebook.
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Machte man sich damals etwas vor?
Man hatte Träume, wollte experimentieren. Aber schon bei der sexuellen Freiheit im Beziehungsalltag haperte es. Profitiert haben vor allem die Frauen, sie gewannen an Stärke und Einfluss. Ihr Selbstbewusstsein fasziniert mich. In Dänemark sieht man sie auf den Straßen, wie sie am Handy Business machen und die Männer den Kinderwagen hinterher schieben. Ausländer halten Letztere dann ja oft für richtige Weicheier.
Was hat sich noch geändert?
Ich spüre einen Rückfall. Wir leben in einem heuchlerischen Puritanismus mit gesellschaftlicher Kontrolle bis ins Intimleben und klammern uns an falsche Sicherheit. Dazu diese politische Korrektheit: die Worte immer nett verpackt, und wehe man raucht eine Zigarette oder trinkt mal einen über den Durst. Ich habe das Gefühl, sogar der Sex reduziert sich. Untreue gilt fast als Verbrechen. Aber wer ist denn schon immer treu? Wenn die Liebe vergeht, sollte man sich trennen.
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Und etwa wie im Film die ältere Frau durch ein jüngere ersetzen?
Männer können da wohl kaum aus ihrer Haut, obgleich ihr Verhalten manchmal beschämend ist. Ich gestehe, auch ich habe meine Frau wegen einer Jüngeren verlassen, böse gesagt „ausgewechselt“, und bin mit Helene Reingaard Neumann zusammen, der jungen Geliebten im Film.
In den 70er Jahren wurde viel ideologisiert. Sie verzichten auf politische Diskussionen.
Weil die langweilen. Mir gingen die ziemlich auf die Nerven. Und diese ganzen Kommune-Klischees von Haschischpfeifchen, Frauengesprächen über Menstruation und nacktes Herumrennen wollte ich vermeiden. Deshalb gibt es nur wenige Nacktszenen. Was im Innern eines Menschen vorgeht, ist doch viel spannender.
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Was blieb vom Traum des anderen Filmemachens, von der Dogma-Bewegung, die auf alles Künstliche und Hollywood-artige verzichten wollte?
Wir waren blauäugig, rebellierten gegen die traditionelle Art des Filmemachens und seine Mittelmäßigkeit, gingen voll ins Risiko. Dazu stehe ich. Mit dem Erfolg wurde Dogma zur schicken Alternativ-Mode, zu einem Rezept. Allein schon der Begriff „Dogma-Style“ ist Blödsinn, wollten wir doch gerade einen Stil vermeiden. Der Applaus 1998 in Cannes für „Das Fest“ läutete bereits das Ende ein. Dogma degenerierte zur Festival-Eintrittskarte. Um wieder auf die Füße zu kommen, brauchte ich eine Auszeit. Natürlich halte ich mich nicht mehr an die zehn Dogma-Regeln. Ich bin nicht mehr so kompromisslos, suche aber immer noch die Konfrontation und will Wahrhaftigkeit auf die Leinwand bringen.
Stimmt es, dass Sie als Nächstes eine filmische Hymne auf den Alkohol planen?
Tobias Lindholm und ich schreiben an einem Film, der diese sozial akzeptierte Droge feiert. Auch als Reaktion auf die Spießigkeit und den grassierenden Gesundheitstick. Wir trinken weniger und machen Karriere, versuchen ein langweiliges Leben zu vermeiden, indem wir über Exzesse schreiben. Eigentlich traurig. Viele kreative Errungenschaften sind doch unter Alkoholeinfluss entstanden, und Churchill hat auch nicht nur Tee getrunken und trotzdem Geschichte gemacht.
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AZ-Fazit: Einsamkeit existiert auch in der Gruppe
Alles im Kollektiv entscheiden, freiere Liebe, bürgerliche Konventionen aufgeben... Wer darüber lächelt, hat schon verloren. Denn „Die Kommune“ zeigt kein Trauerspiel dieses (Zusammen-)Lebensentwurfs in den 70ern und macht sich darüber auch nicht lustig. Es war einfach eine Zeit, die etwas wagte.
Als Eriks Lebensgefährtin Anna (Trine Dyrnholm) merkt, dass das Familienleben für alle unattraktiv geworden ist, überredet sie Erik (Ulrich Thomsen), in das geerbte Familienhaus mit alten Freunden und neuen Bekannten umzuziehen – als Kommune. Der Film zeigt genauso Naivität und Gefahr von Chaos wie Gelingen und Spaß einer solchen Konstruktion – auch, dass man in einer Gruppe einsam sein kann – und dass Offenheit in der Liebe zu Verletzungen führt.
Aber sollte man die riskante Freiheit nicht der biederen Sicherheit vorziehen? Und wie erleben Kinder die Ungebundenheit und Unsicherheit – als Überforderung? Der Film nimmt sich die Freiheit, alles nah, echt und mit Sympathie zu zeigen, aber dabei nicht zu beurteilen. Schöne, ganz realistische Symbolszenen gibt es – wie eine Baumpflanzung, gemeinsames Trinken, weinende Männer und neue, starke Frauen, die schwach werden.
Schön ist, dass Vinterbergs Film nur einen Zeitausschnitt zeigt, aber darin viele Geschichten zu Ende führt. Und dennoch bleiben interessante Fragen offen, die auf uns Zuschauer zurückfallen.
Kino: Atelier, Eldorado, Monopol, Münchner Freiheit, Rio / B&R: Thomas Vinterberg (DK, 110 Min.)