Daniel Brühl im Interview: "Wir sind doch alle eitel"
Daniel Brühl, einer der wenigen deutschen international renommierten Schauspieler, legt mit "Nebenan" sein Regiedebüt vor: Eine schwarze Komödie und psychologisch spannendes Kammerspiel über Gentrifizierung und Abgehängtsein auf der einen, falscher Stolz und falscher Ruhm, Versagerängste und Selbstüberschätzung auf der anderen Seite.
Er spielt selbst den Filmstar Daniel als patenten "Wessi"-Promi, dem Peter Kurth als perfider "Ossi"-Nachbar Bruno in einer Berliner Eckkneipe in einem scharfen Wortduell eine Menge unangenehmer Wahrheiten um die Ohren haut. Ein triumphales Schauspielerduo und für Brühl ein Superstart ins Regiegeschäft.
AZ: Herr Brühl, wieviel von Ihnen steckt in der Filmfigur Daniel?
DANIEL BRÜHL: Ich wollte bewusst mit Erfahrungen spielen, die ich in über 20 Jahren Berlin gesammelt habe, dazu gehören auch Demütigungen am eigenen Leib. Eine Beobachtung der Stadt, ein Blick auf das Viertel, in dem ich auch wirklich lebe. Es sollte von Anfang an klar sein, dass ich eine eitlere und gockeligere Figur spiele als in der Realität, jemanden, der sich anders als ich, komplett in seinem Beruf und seiner Karriere verloren hat. Ich finde es spannend für den Zuschauer, die Grenzen zwischen Wahrheit und Spiel nicht genau aufzulösen, ich möchte den Film nicht entzaubern.
Daniel Brühl: "Ich bin mir meiner Privilegiertheit bewusst"
Sind Sie nicht auch eine Art Gentrifizierer, der in eine Gegend gezogen ist, aus der die Einwohner nach und nach verdrängt wurden? Plagt Sie da manchmal ein schlechtes Gewissen?
Mit diesem Gefühl lebe ich schon seitdem ich aus Köln weg bin, mit so einer Inkohärenz, die man da spürt. Man weiß, dass man nicht Schuld ist, sieht sich aber trotzdem eindeutig als Teil dieses Prozesses. Ich hatte das Glück, mir durch meinen frühen beruflichen Erfolg ein bestimmtes Leben leisten zu können, dass ich schnell eine Wohnung am Prenzlauer Berg fand, wo damals jeder hinziehen wollte. Als ich dann für eine Zeit nach Barcelona wechselte, war es genau so, da konnte ich mir leisten, in ein Viertel zu gehen, wo auch jeder hinwollte. Wenn man mit einer gewissen Sensibilität und Beobachtungsgabe durchs Leben geht, spürt man das ja auch. Ich bin zum Glück von meinen Eltern zu einem politischen und sozialen Bewusstsein erzogen und bin mir meiner Privilegiertheit bewusst. Deshalb wollte ich da möglichst erdig sein und mir als Filmfigur auch dieses Nachfragen gefallen lassen.
Brühl: "Der Film wird nach und nach immer dunkler"
In den Gesprächen geht nicht nur um den Wandel in der Großstadt, sondern um Lebenslügen, um seelische Entblößung.
Ich fand es reizvoll, die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der vermeintlich so im Saft steht und dessen Leben so perfekt erscheint auf den ersten Blick und der dann sukzessive auseinandergenommen wird. Wir behandeln das Thema Gentrifizierung auf eine humoristische Art, aber der Film wird nach und nach immer dunkler, bekommt fast thrillerartige Züge. Man sollte dann auch verstehen, was einen Menschen wie den Bruno dazu treibt, so weit zu gehen, die Lebenstragödie von jemandem, der sich verraten und abgehängt fühlt. Dabei habe ich vermieden, mich auf irgendeine Seite zu schlagen, nicht den einen sympathischer als den anderen zeichnen.
Mir gefällt, wie bei Daniel die Coolness blättert, die verschwitzten Haare am Kopf kleben, das ganze Ego wackelt. Können Sie das nachvollziehen?
Mir würde es sicherlich nicht anders gehen, wenn ich so jemanden treffen würde, da käme ich auch ganz schnell ins Schwitzen. Das kann ich auf jeden Fall nachvollziehen.
Braucht man als Schauspieler eine Art von Narzissmus?
Vielleicht. Ich würde mal behaupten, dass alle Schauspieler mehr oder weniger eitel sind, es geht darum, diese Eitelkeit gut zu kaschieren. Ich selber bin auf jeden Fall eitel bzw. gehe mit großem Ehrgeiz und Selbstbewusstsein an diesen Beruf heran. Ständig unter Beobachtung zu stehen, ist anstrengend und Kräfte zehrend, das ist auch ein Thema des Films. Und natürlich spielten da Ideen mit hinein über Karrieren, die über Nacht in sich zusammen fielen und kaputt gegangen sind, über Dinge die aufkommen.
"Man muss nicht zu jedem Thema einen Post raushauen"
Das Internet vergisst nichts. Der Filmnachbar findet Image schädigende Informationen und serviert sie maliziös. Wie kann sich jemand in Ihrer Position gegen Shit Storms in den Social Media wappnen?
Man muss sich manchmal schon wundern, wie viele Leute einfach Dinge über sich preisgeben und im Internet selber bewegen, dadurch auch Angriffsflächen bieten. Man muss nicht zu jedem Thema einen Post raushauen…

Aber Sie sind auf Instagram…
Da halte ich mich zurück. Wenn ein Thema zu komplex ist, um es auf Instagram zu behandeln, dann lasse ich die Finger davon. Es liegt an einem selbst, zu bestimmten Dingen keine Position zu beziehen. Natürlich beeinträchtigt das meinen Alltag. Ich versuche, meine Kinder aus der Öffentlichkeit herauszuhalten und wundere mich manchmal schon über Leute, die mich heimlich filmen, wenn ich mit meinen Söhnen unterwegs bin. Eine Situation, in der ich dann scharf und dünnhäutig reagiere.
So denkt Daniel Brühl über "#allesdichtmachen"
Wie reagieren Sie, wenn Sie auf der Straße oder im Lokal angesprochen werden?
Wenn ich eine gewisse Erwartungshaltung spüre von Leuten, die ein Foto möchten oder ein kurzes Gespräch, fährt man immer besser damit, diese zu bedienen. Da kann ich mir viel Ärger ersparen. Und reden wir mal Klartext: Angesichts der Eitelkeit der Schauspieler muss man zugeben, dass es oft oder manchmal sehr schön ist, Beachtung oder ein freundliches Wort zu erhalten. Die Schauspieler, die sich darüber beschweren, denen unterstelle ich manchmal auch, dass sie sich noch mehr aufregen würden, wenn sie nicht so oft erkannt werden.
Ich will Sie nicht in Verbindung bringen mit der Aktion "#allesdichtmachen", aber mich hat es schon überrascht, mit welcher Wucht und Wut die beteiligten Schauspieler verfolgt wurden, oft von Leuten, die die Clips gar nicht gesehen hatten. Bedroht eine zu übertriebene politische Korrektheit nicht die Kunstfreiheit?
Es entwickelt sich immer mehr dahin, da muss man sehr vorsichtig sein. Die Kontroverse habe ich zum Teil auch als sehr schockierend empfunden, weil ich einige der Beteiligten sehr gut kenne und weiß, wie das alles entstanden ist. Die Aktion mag nicht geglückt sein, das haben viele auch sofort eingestanden, deshalb fand ich diese völlig überzogene und emotional aufgeladene Gegenreaktion mindestens genauso bescheuert. Wir müssen gesellschaftlich total aufpassen, dass unser Umgang miteinander nicht total vergiftet wird. So etwas kann sich rasant und in eine gefährliche Richtung entwickeln.
Daniel Brühl: "Ich schließe eine nochmalige Regie nicht aus"
Nach der Übersetzungsdiskussion von Amanda Gormans Inaugurationsgedicht wird die Forderung nach Diversität neu diskutiert, überspitzt: Schwule sollen Schwule spielen, Transgendermenschen Transgendermenschen, geschlagene Frauen geschlagene Frauen etc. Ist das die Option für eine kreative Zukunft?
Auch eine Entwicklung, die ich für sehr schwierig halte. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, aber Pauschalitäten und ein Übermaß an Korrektheit tötet einfach auch immer etwas ab. Die Leichtigkeit und die Spielfreude, um die es in unserem Beruf geht, habe ich schon manchmal sehr beeinträchtigt empfunden aufgrund irgendwelcher neuer moralischer Gesetze oder Bestimmungen. Das ist ein Prozess, bei dem im Kern vieles richtig ist, trotzdem muss man sehr vorsichtig damit umgehen, damit es nicht ins Gegenteil kippt und eine sterile, korrekte und auch humorlose Reaktion ein setzt, eine Atmosphäre, in der vieles nicht mehr erlaubt ist. Einen Mittelweg zu finden, ist schwierig.
Arbeiten Sie weiter als Regisseur?
Ich bin da ganz pragmatisch herangegangen. Wäre es nach hinten los gegangen, hätte ich gesagt, Schluss damit. Jetzt schaue ich auf eine sehr schöne Erfahrung zurück und schließe eine nochmalige Regie nicht aus. Vor allem die Arbeit mit Drehbuchautor Daniel Kehlmann war großartig. Wir arbeiten jetzt auch wieder zusammen, es ist aber zu früh, um Details zu verraten.
Brühl: "Gute und inspirierende Bücher sind rar"
Sie gehören zu den wenigen deutschen Schauspielern mit internationaler Karriere. Möchten Sie das verstärken?
Auch da bin ich ganz pragmatisch. Das kleinste Arthouse-Projekt kann für mich interessanter sein als eine Megaproduktion. Ich habe größere Projekte schon abgesagt, weil sie mich einfach nicht interessierten. Je weiter man seine Fühler ausstreckt und je mehr Möglichkeiten sich eröffnen, umso besser. Gute und inspirierende Bücher sind rar. Es ist toll, sich auch andere Märkte zu erschließen. Das war im Hinblick auf Amerika nie ganz klar mein Ziel. Ich habe das für vermessen gehalten und für zu groß und für zu schwierig und dann ist es passiert. Natürlich nehme ich das dankend an und bin immer total neugierig, aber ich sage nicht bei jedem Projekt aus den USA gleich zu. Es muss mich im richtigen Moment anfixen.
Sie äußerten mal den Wunsch, ein französischer Schauspieler zu sein. Warum?
Ich glaube, die Franzosen feiern ihre Leute mehr, schätzen ihre eigenen Filme mehr, die eigene Kultur. Sie zelebrieren ihre eigenen Stars mit Lust und Liebe und sie sind im Kino wirkliche Meister, im Arthouse-Bereich wie auch kommerziell. Nach wie vor sind die Franzosen für mich ein totales Vorbild.
Macht Ihnen der rote Teppich und das ganze Drumherum noch Spaß oder ist das alles nur noch Pflicht?
Nach anderthalb Jahren Pandemie freue ich mich, dass es überhaupt wieder einen roten Teppich gibt. Ansonsten habe ich ihn in den letzten Jahren als den Zirkus wahrgenommen, der er ist und der auch nicht unwichtig ist. Man sollte ihn nicht zu ernst nehmen oder sich verrückt machen, sondern das "Bohei" mit Spaß annehmen. Und nach dieser langen Zeit ohne Veranstaltungen und Begegnungen habe ich das Screening während der Sommer-Berlinale von ganzem Herzen genossen.
- Themen:
- Daniel Brühl