Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm über Martin Luther

Die beiden höchsten Repräsentanten der evangelischen und der katholischen Kirche wollen anlässlich des 500. Reformationsjubiläums das Lutherjahr gemeinsam feiern! Im Haus der Evangelischen Landeskirche in der Katharina-von-Bora-Straße gab es darum Stellungnahmen zu diesem Vorhaben. Wie um ein Motto vorzugeben, sagte Kardinal Marx bei dieser Gelegenheit: „Es gilt das geschriebene und das gesprochene Wort!“ Und tatsächlich waren die Worte der beiden Kirchenoberen versöhnlich und bemerkenswert brisant zugleich.
AZ: Herr Bedford-Strohm, Sie sitzen hier mit Kardinal Marx nebeneinander mit einer Broschüre in der Hand: „Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017“. Ist das nicht epochal?
HEINRICH BEDFORD-STROHM: Ja, mein erster Satz an dieser Stelle ist von Stolz, Freude und Dankbarkeit erfüllt: Wir werden erstmals in der Geschichte der beiden getrennten Kirchen in Deutschland die Erinnerung an den 500. Jahrestag der Reformation gemeinsam feiern!
REINHARD MARX: Das ist auch mein erster Satz. Und wir haben ein gemeinsames Wort verfasst: „Erinnerungen heilen – Jesus Christus bezeugen“.
HEINRICH BEDFORD-STROHM: Wir haben auch eine Lerngeschichte hinter uns. Unsererseits ist klar geworden: Wir wollen die Reformation nicht durch Abgrenzung feiern. Die Kernanliegen der Reformation sind so zentral, dass wir sie mit unseren Geschwistern der römisch-katholischen Kirche teilen wollen: Jesus Christus als Mitte und die Heilige Schrift als Norm und Maß des Glaubens.
Aber es bleibt doch ein großes „Lutherjahr“?
HBS: Wir wollen aus 2017 keine Heldenverehrung machen. Und wir werden nicht zulassen, dass Luther zu nationalen Zwecken missbraucht wird. Die Feier wird selbstbewusst, international und ökumenisch.
RM: In manchen Fragen sind wir heute noch verschiedener Ansicht. Aber wir wollen nicht Trennendes herausstellen, sondern Gemeinsames feiern. Und das können wir besser als die Generationen vor uns. Aber natürlich feiern wir „ein Lutherjahr“ auf einem unterschiedlichen Begeisterungslevel.
Von Luther haben wir das Bild eines Mönchs, der Bibel und Hammer schwingend seine Thesen anschlägt.
HBS: Der Thesenanschlag war ein Akt öffentlicher Theologie, ob er nun historisch so stattgefunden hat oder nicht. Die Rezeption war lange Zeit verbunden mit der Herabwürdigung der anderen Konfession: der Thesenanschlag als Symbol der Freiheit gegen die Katholiken als Kirche der Unfreiheit. Das wollen wir überwinden.
Aber immerhin stand Luther über Jahre hinweg mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen. Es war doch mutig zu sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Amen!“
HBS: Ja, der Reichstag von Worms steht für viel Positives, aber eben auch für die Politisierung der Konfessionen bis hin zum Dreißigjährigen Krieg. „Heiliger Eifer“ hat allzu oft auch Unheil bewirkt. Deswegen hoffen wir, dass das gemeinsame Reformationsgedenken einen deutlichen Schub für eine weitere ökumenische Verständigung gibt.
RM: Ich kann da gar nicht so viel hinzufügen. Noch vor 50 Jahren hätten wir uns nicht vorstellen können, dass wir beide hier sitzen und gemeinsam das Lutherjubiläum feiern: in einem Rückblick im Sinne von „Healing of Memories“.
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Und wie geht es jetzt weiter?
RM: Genau das sollte man jetzt nicht sagen: Und jetzt? Jetzt sollte man lieber schauen, was schon alles Erfreuliches passiert ist! Wie das gemeinsame Christusfest. Auch wenn viele heute nicht mehr glauben, wird doch wieder verstärkt gefragt: Was bedeutet es denn, an Gott zu glauben? Und da spielt Martin Luther durchaus eine Rolle.
Die Reformation hat ja heftige Gegenbewegungen ausgelöst.
RM: Ja, ich komme aus einer Gegend, wo jährlich Tage gefeiert wurden, an denen ein Sieg über die Protestanten errungen wurde. So etwas muss thematisiert werden, ohne deshalb gleich unsere Traditionen zu vergessen.
Ihr „Gemeinsames Wort“ enthält auch einen Entwurf für ökumenische Gottesdienste.
RM: Ja, mit der schönen Formulierung gegenüber der anderen Konfession: „Gut, dass Sie da sind, dass wir gemeinsam den Glauben bezeugen.“ Ich tue mich mit dem Begriff Kirchenspaltung schwer, der ist zu stark. Doch sind wir nicht in allem eins. Und was noch nicht gemeinsam ist, wird benannt. Das gehört auch zum Respekt vor dem anderen.
HBS: Man darf nicht mit gegenseitigen Forderungen kommen, nach dem Motto: Erst wenn das und das passiert, bin ich nicht mehr enttäuscht! So kann keine Beziehung funktionieren. Es ist wie bei einer Familienmediation: sich die Fragen gemeinsam anschauen und um Vergebung bitten. Es wäre schön, wenn am Ende des Jahres der Eindruck entsteht: Die kriegt ihr nicht mehr auseinander. Das wäre eine wichtige Botschaft in unserer auseinanderdriftenden Gesellschaft.
Aber es gibt noch eine Menge zu bewältigen, um wieder zusammenzukommen.
HBS: Ja, es bleibt die Frage des gemeinsamen Abendmahls und die Frage, wie wir das Amt des Pfarrers sehen. Nach katholischer Lehre wird er in einer Art Sukzession vom Papst über die Bischöfe hinunter eingesetzt. Wir Evangelischen lassen eine Gemeinde selbst zusammen mit Synodalen einen Menschen nach seinem Theologiestudium zum Pfarrer berufen. Aber wenn wir uns immer wieder daran erinnern, dass Jesus Christus selbst uns zum Abendmahl und in den Pfarrdienst ruft, dann kann man diese Gegensätze vielleicht auch überwinden.
RM: Einheit bedeutet ja nicht, dass alle einer Meinung sind. Aber wir werden in Zukunft versuchen, wann immer möglich, gemeinsam zu sprechen.
Der derzeitige Papst scheint der Ökumene gegenüber recht aufgeschlossen zu sein.
HBS: Ich selbst habe von Franziskus erfahren, was er schon der evangelischen Gemeinde in Rom gesagt hat: „Sprecht mit Gott und schreitet voran!“ Und er hatte einen Abendmahlskelch als Geschenk dabei. Das sind Zeichen der Hoffnung.
Der Papst kommt 2017 nicht nach Deutschland, ist aber beim Hauptgottesdienst im schwedischen Lund dabei. Kommt er 2018?
RM: Das müssen Sie den Sprecher des Heiligen Vaters fragen. Ökumenisch sind der Papst und der Lutherische Weltbund auf einer Ebene, um miteinander reden zu können. Aber für uns kann es keine volle Einheit geben, ohne dass wir klären: Wie haltet ihr es mit dem Bischofsamt?
Also keine Wiedervereinigung?
HBS: Das Wort passt nicht. Der Papst selbst hat ja ein Wort aus der protestantischen Ökumene aufgegriffen: „Versöhnte Verschiedenheit“. Wir brauchen keine einheitliche Organisation, sondern Jesus Christus in unserer Mitte. Das bringt uns zusammen! Luther selbst wollte auch keine Kirche gründen, geschweige denn eine, die seinen Namen trägt: „Wie käme denn ich armer, stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Jesus Christus mit meinem heillosen Namen benennen sollte“, meinte Luther. Das heißt: Nennt euch nicht lutherisch, nennt euch Christen! Benennt euch nach dem, um den es eigentlich geht!
Was haben denn Reformation und Luther der katholischen Kirche geben können?
RM: Erst einmal ist Martin Luther eine bombastische Gestalt und ein Mann, der gesucht, gerungen, studiert und gebetet hat: ein beeindruckender Gottsucher. Das würde ich mir auch von unseren Pfarrern und Theologieprofessoren wünschen, dass sie wie Luther nicht aufgeben, sondern bis zum Letzten forschen und beten, was es mit Gott und mit den Texten der Heiligen Schrift auf sich hat. Diese Leidenschaft! Eines meiner Lieblingsgebete ist: „Jesus, Dir leb ich, Jesus Dir sterb ich.“ Ich habe erst später gemerkt, dass es von Luther ist. Und dann gibt es natürlich die evangelischen Choräle, die zum Teil sogar von Luther selbst sind.
Also ist Luther wichtig für Sie?
RM: Die Gestalt fasziniert mich, auch wenn es viel zu kritisieren gibt, wie die Maßlosigkeit seiner Kritik und die Schärfe gegen die katholische Kirche, die für ihn der Antichrist war. Aber Luther hat starke theologische Impulse gegeben.
Wo haben Sie das Lutherische zum ersten Mal erlebt?
RM: Ich war Kaplan in einer evangelischen Gegend. Und ich war skeptisch, aber neugierig, was da am Sonntag hinter dieser Kirchentüre los war. Ich war zuvor nie in einem evangelischen Gottesdienst. Und da habe ich festgestellt, wie würdevoll auch hier ein Gottesdienst gestaltet und zelebriert wird. Das hatte ich mir so nicht vorgestellt.
Luther hat ja den Zölibat verworfen. Ist die Pfarrersehe ein Erfolgsmodell?
HBS: Wir Evangelischen haben mit der Ehe im Pfarrhaus gute Erfahrungen gemacht. Ich bin auch persönlich dankbar dafür, dass ich meine Frau habe.
RM: Luthers Haltung zur Ehelosigkeit bei Priestern ist unsererseits nicht akzeptabel. Er hat verworfen, dass Ehelosigkeit sinnvoll sein kann. Ehelosigkeit als verrückt zu bezeichnen, das teile ich nicht. Und persönlich: Mir geht es auch ganz gut.
Luther hat auch sehr Problematisches gesagt, wie in seinen antisemitischen Schriften.
HBS: Aber Luther selbst drängt uns, auch seine dunklen Seiten wahrzunehmen. Wenn er heute auf seine antijudaistischen Hetzschriften schauen würde, wüsste er, dass er sich geirrt hat und würde das selbst ansprechen. Das war seine Art.
Kann man Luther auch gegen rechte Tendenzen einsetzen?
HBS: Ja. Wir erleben gerade rechtsradikale Tendenzen, die Identität herstellen wollen, indem man sich als Land und Person starkredet und andere abwertet. Luthers Weg ist ein anderer. Seine letzten Worte waren: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Wir sollen mit Demut auf uns und die Dinge schauen. Wir sollen sehen, dass alles, was wir sind und haben, Geschenke Gottes sind. Nicht, weil wir so tolle Typen oder ein super Land sind oder unsere Religion so super ist!
Die meisten Leute wollen aber nicht demütig sein.
HBS: Aber wenn wir begreifen, dass wir unser Glück Gott verdanken, dann können wir uns selbst im Lichte der Liebe Gottes sehen und von daher unsere Identität beziehen. Die Liebe Gottes zu uns macht uns stark, Signale in die Welt zu setzen. Wir sollen zeigen, wie wunderbar es ist, unsere dunklen Seiten nicht wegreden zu müssen, weil wir von Gott angenommen sind und so in tiefem Frieden und innerer Freiheit leben können. Das ist das Geschenk des Glaubens. So etwas ist doch super für den modernen Menschen.
„Erinnerungen heilen – Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017.“ Gemeinsame Texte Nr. 24. Herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bestellung unter: versand@ekd.de oder dbk@azn.de