Gergiev und der Krieg in der Ukraine: Kulturelles Störfeuer
Von einer Reaktion Valery Gergievs auf das Ultimatum des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter ist bisher nichts bekannt. Der Dirigent möge sich bis Montag vom russischen Angriff auf die Ukraine distanzieren. Andernfalls sei er Chefdirigent der Münchner Philharmoniker gewesen. Auch sonst wird die Luft für Gergiev dünner.
Die Mailänder Scala verlangt ein klärendes Wort vor der nächsten Vorstellung von "Pique Dame". In New York, wo bereits am Wochenende bei einem Gastspiel der Wiener Philharmoniker Gergiev durch Yannick Nézet-Séguin ersetzt wurde, strich die Carnegie Hall das kommende Gastspiel des Mariinski-Orchesters unter dem Dirigenten.
Auch das Festspielhaus Baden-Baden und die Hamburger Elbphilharmonie verlangen von Gergiev vor weiteren Auftritten eine Distanzierung von der russischen Invasion in der Ukraine. "Valery Gergiev ist einer der größten Dirigenten unserer Zeit", sagte Christoph Lieben-Seutter, der Intendant der Elbphilharmonie dem NDR. "Gleichzeitig ist er ein dermaßen direkter und offizieller Unterstützer von Putin, dass ich schon sehr, sehr hoffe, von ihm ein Wort der Distanzierung von den Ereignissen in der Ukraine zu hören. Ohne eine solche Distanzierung werden wir die nächsten Konzerte so nicht durchführen können, was mir sehr leidtäte." Das beträfe auch ein Gastspiel mit den Münchner Philharmonikern in Hamburg. Dabei sollte Schostakowitschs Symphonie Nr. 7 aufgeführt werden, deren erster Satz den deutschen Überfall auf die Sowjetunion darstellt.
Dass der Putin-Freund Gergiev ein Werk dirigiert, in dem es ein dezidiertes "Invasionsthema" gibt, würde eine Geschmacksgrenze überschreiten. Insofern ist eine Klärung des Verhältnisses zwischen der Landeshauptstadt und Gergiev dringend erforderlich - auch aus einer Verantwortung für die Musikerinnen und Musiker der Münchner Philharmoniker.
Agentur kündigt Zusammenarbeit mit Gergiev
Marcus Felsner, dessen Agentur Gergiev außerhalb von Russland vertritt, hat die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten inzwischen aufgekündigt. Dies sei der traurigste Tag in seinem Berufsleben, schreibt Felsner auf Facebook. Aber er könne nicht mehr in einen Spiegel schauen, wenn er in "irgendeiner Weise direkt oder indirekt von einem Regime profitieren könnte, das gegen uns alle Krieg führt."
Auch sonst wühlt der Angriff Russlands auf die Ukraine die Kulturwelt auf. Der in Moskau geborene Pianist Evgeny Kissin will Putin vor eine Art Nürnberger Tribunal stellen. Anna Netrebko schrieb auf Instagram, sie sei gegen diesen Krieg. "Ich bin eine Russin und liebe mein Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leid brechen mir das Herz. Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben können."
Netrebko und ihr Ehemann, der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov, wandten sich zugleich dagegen, "Künstler oder irgendeine öffentliche Person zu zwingen, ihre politischen Ansichten öffentlich zu machen und ihr Vaterland zu beschimpfen". Dies sollte eine freie Entscheidung sein.
Die Sängerin hat sich in der Vergangenheit politisch kaum exponiert. 2014 ließ sich allerdings mit einem Separatistenführer vor der Flagge der beiden "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk fotografieren. Dies trug ihr die Kritik des Außenministeriums ihrer Wahlheimat Österreich ein. Danach trat sie zwar für die Wiederwahl Putins ein, vermied aber politische Äußerungen und offizielle Termine.
Die Bayerische Staatsoper mit "Plädoyer für den Frieden"
Die Bayerische Staatsoper widmet jetzt die beiden kommenden Konzerte des Bayerischen Staatsorchesters unter Vladmir Jurowski als "Plädoyer für den Frieden" um. Auf dem Programm steht unter anderem die "Sinfonia da Requiem" des engagierten Pazifisten Benjamin Britten. Auch das von Vladimir Zelensky geleitete Staatsballett schließt sich der Aktion an. "Als Kulturinstitution ist für uns der Respekt füreinander, Integrität zueinander und Dialog untereinander absolut essenziell", heißt es in einer Mitteilung.

Am Freitag traf sich Bayerns neuer Kunstminister Markus Blume mit dem Intendanten Andreas Beck vor dem in den ukrainischen Farben beleuchteten Residenztheater. "Kunst muss immer auf der Seite von Frieden und Freiheit stehen", so Blume. "Die Kulturinstitutionen in Bayern setzen ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine".
Kulturschaffende solidarisieren sich mit der Ukraine
Auch international ist die Solidarisierung mit der Ukraine groß. Oscar-Preisträger Sean Penn erklärte in einem Statement, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk seien "zu historischen Symbolen für Mut und Prinzipien" geworden. "Wenn wir es zulassen, dass die Ukraine alleine kämpft, ist unsere Seele als Amerika verloren." Penn arbeitet gerade in Kiew an einer Dokumentation über den Ukraine-Krieg.
Persönlich betroffen reagierte die zu Sowjetzeiten in Kiew geborene US-Schauspielerin Milla Jovovich. "Mein Blut und meine Wurzeln kommen sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine", schrieb die 46-Jährige in einem emotionalen Beitrag auf Instagram. "Ich bin innerlich zerrissen, wenn ich sehe, wie sich das Grauen entfaltet, wie das Land zerstört wird, Familien vertrieben werden und ihr ganzes Leben in verkohlten Bruchstücken um sie herum liegt."
Mit einem Plädoyer für mehr ukrainische Kunst und Kultur wandte sich derweil Kulturstaatsministerin Claudia Roth an Museen, Theater und andere Institutionen in Deutschland. "Die Stärke von Kunst und Kultur sind die Schönheit und die Verletzlichkeit", sagte die Grünen-Politikerin. Sie wende sich deswegen mit einer Bitte an alle Theater, Konzertveranstalter, Museen, Kultureinrichtungen. "Zeigt mehr ukrainische Kunst und Kultur." Gleichzeitig bat Roth, aber auch russische Kunst und Kultur zu zeigen.