"Vor dem Ruhestand" von Thomas Bernhard, inszeniert von Tina Lanik - die AZ-Kritik

Nur die Absicht ist edel: Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand", inszeniert von Tina Lanik im Residenztheater
von  Robert Braunmüller
Gundi Ellert (Vera) und Götz Schulte (Rudolf Höller) in "Vor dem Ruhestand".
Gundi Ellert (Vera) und Götz Schulte (Rudolf Höller) in "Vor dem Ruhestand". © Andreas Pohlmann

Nur die Absicht ist edel: Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand", inszeniert von Tina Lanik im Residenztheater

Vor 30 Jahren sorgte Thomas Bernhard regelmäßig für Staatskrisen und Theaterskandale. Dann wurde es ruhiger um den 1989 verstorbenen Übertreibungs-Österreicher. Es ist schwer, den Schimpf-Rhythmus seiner Sprache unverzappelt auf die Bühne zu bringen. Und lähmend wirkt bis heute die übermächtige Erinnerung an Claus Peymanns Ur-Inszenierungen in Stuttgart, Bochum, Salzburg und Wien.

Im Residenztheater hat Tina Lanik nun „Vor dem Ruhestand“ ausgegraben, Bernhards einziges offen politisches Stück: Ein hoch angesehener bundesrepublikanischer Richter mit einer Vergangenheit als stellvertretender KZ-Kommandant feiert in SS-Uniform den Geburtstag seines alten Idols Heinrich Himmler.

Peymann rächte sich 1979 mit dieser Uraufführung für die Nichtverlängerung seiner Intendanz am Stuttgarter Schauspiel durch den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Dessen trübe Vergangenheit als gnadenloser Nazi-Marinerichter hatte kurz zuvor der Schriftsteller Rolf Hochhuth aufgedeckt.

Die Untoten klopfen sich den Staub von den Kleidern

Lange ist’s her. In Laniks Inszenierung liegen der Richter und seine beiden Schwestern beim Einlass starr vor dem Eisernen Vorhang. Aus dem Off ertönt eine Rede, die Götz Kubitschek im Januar 2015 auf einer Legida-Kundgebung in Leipzig gehalten hat. Der Ideologe der Neuen Rechten spricht über nationale Werte und Tugenden. Die Untoten erwachen, klopfen sich den Staub von den Kleidern, und Bernhards Spiel beginnt.

Die Absicht ist edel, lauter und rein: Lanik variiert das alte Brecht-Zitat „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ und damit die etwas denkfaule antifaschistische These, dass die neuen Nazis im Grund die alten seien.

Die Regisseurin hat historischen Ballast abgeworfen, um den Abstand zur Entstehungszeit zu verringern. Zur Feier des Tages gibt es nicht Mozart, sondern Rechtsrock mit dem Alt-Nazi an der Luftgitarre. Alle Anspielungen auf Filbinger und den damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens sind gestrichen. Der angehende Ruheständler ist kein hoher Richter, sondern nur noch ein konservativer Landtagsabgeordneter, dem es gelingt, den Bau einer Fabrik für Insektenvernichtungsmittel zu verhindern.

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Bernhard bitterböse Ironie kommt in diesem Punkt nur schwach heraus, weil fast alle Erwähnungen der Vernichtungslager und der Selektion an der Rampe von Auschwitz getilgt sind. Auch die meisten antisemitischen Tiraden fielen der Kürzung des Dreiakters auf 90 pausenlose Minuten zum Opfer. Geblieben ist allerdings, was heute erheblich brisanter ist als 1979: die unheimliche Mischung aus Naturschutz, Heimatliebe und Amerikafeindlichkeit in den Reden Rudolfs und Veras, die heute Gegner der Globalisierung von Rechts und Links vereint.

Letztlich aber, so scheint es, interessiert sich die Aufführung am meisten doch für die Familien-Hölle des Stücks: Vera tyrannisiert ihre querschnittgelähmte Schwester Clara. Den schon bei Bernhard etwas aufgesetzten Inzest der Geschwister verstärkt die Regisseurin: Rudolf vergewaltigt die gelähmte Clara.

Ratlosigkeit

Was bei Bernhard hinter den Sprachmasken gehobener Bildungsbürgerlichkeit verborgen bleibt, lässt diese Inszenierung ausspielen, wenn Unterwäsche zerrissen und billiger Sekt aus der Flasche getrunken wird. Leider bleibt einem da das Kichern nur selten im Halse stecken.

Bernhard Stücke waren immer auch Schauspieler-Theater. Da hat diese Aufführung nicht nur Stärken. Götz Schulte zeigt, dass sich hinter dem vorgeblich harten SS-Mann ein feiger Waschlappen verbirgt. Charlotte Schwab lacht als Clara kehlig über ihre Geschwister. Ihre Stimme hat den bösen Unterton, den Bernhards Texte brauchen.

Gundi Ellert hingegen spricht viel zu nuschelig in einem kaum modulierten, weinerlichen Dauerton. Wenn Vera gegen Ende zum gefährlichen Monster werden müsste, wirkt sie hier nur lächerlich: Da machen es sich die Schauspielerin und ihre Regisseurin viel zu einfach.

Am Ende gehen die Untoten bei Lanik in einen Nazi-Himmel ein. Bernhards Stück endet eigentlich mit grotesker Verzweiflung: Höller hat einen Herzinfarkt, Vera versucht ihrem leblosen Bruder die Uniform auszuziehen, versteckt das Himmler-Bild und ruft verzweifelt den Arzt an, den sie für einen Juden hält.

Muss man das verbessern? Reicht es, wörtlich und im übertragenen Sinn „Nazis raus“ an die Bühnenwand zu sprayen? Es scheint, als spiegle dieser Abend vor allem die linksliberale Ratlosigkeit im Umgang mit den Neuen Rechten.

Wieder am 6., 21 und 31. Mai, 5., 16. und 20. Juni im Residenztheater

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