Tina Lanik über "Vor dem Ruhestand" von Thomas Bernhard

Tina Lanik inszeniert Thomas Bernhards „Vor dem Ruhestand“ im Residenztheater.  Ein AZ-Interview über eine "hoffnungslose Lage".
Mathias Hejny |
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Gundi Ellert (Vera), Götz Schulte (Rudolf Höller)
Andreas Pohlmann 4 Gundi Ellert (Vera), Götz Schulte (Rudolf Höller)
Szene aus "Vor dem Ruhestand".
Andreas Pohlmann 4 Szene aus "Vor dem Ruhestand".
Szene aus "Vor dem Ruhestand".
Andreas Pohlmann 4 Szene aus "Vor dem Ruhestand".
Szene aus "Vor dem Ruhestand".
Andreas Pohlmann 4 Szene aus "Vor dem Ruhestand".

München - Sie ist häufiger Gast am Residenztheater. Tina Laniks letzte Premiere am Max-Joseph-Platz war Arthur Millers „Hexenjagd“ und liegt gerade erst wenige Wochen zurück. In „Vor dem Ruhestand“ schildert der Österreicher Thomas Bernhard die nationalsozialistischen Rituale des früheren SS-Offiziers und vor der baldigen Pensionierung stehenden Gerichtspräsidenten Höller und seiner beiden Schwestern.

Im Interview: Die 42-jährige Regisseurin Tina Lanik inszenierte zuletzt im Residenztheater Arthur Millers Drama „Hexenjagd“.

AZ: Frau Lanik, bei ihrer Arbeit am Residenztheater der jüngsten Zeit fällt auf, dass es häufig um Familien geht. „Eine Familie“ von Tracy Lett oder „Drei Schwestern“ von Anton Tschechow stehen noch auf dem Spielplan. In „Vor dem Ruhestand“ geht es auch um eine Familie. Steckt eine programmatische Idee dahinter?

TINA LANIK: In dieser Verdichtung ist es eher ein Zufall. Bei „Vor dem Ruhestand“ geht es natürlich in erster Linie nicht um die Familie, sondern um eine politische Dimension, die sich in einem solchen Familienkosmos entfaltet.

Sind Sie selbst Familienmensch?

Definitiv ja. Ich habe einen Ehemann, zwei kleine Kinder und die Zeit, die wir mit einander haben, ist mir extrem wichtig. Wenn die Kinder einmal in die Pubertät kommen, wollen sie vielleicht nicht mehr so viel Zeit mit den Eltern verbringen. Aber im Moment genieße ich das sehr. Da wir beide arbeiten, müssen wir uns gut koordinieren.

Thomas Bernhard steht heute nicht mehr so oft auf den Spielplänen. Wie kam es jetzt dazu?

Ich dachte mir im vergangenen Jahr, man müsste das Stück unbedingt wieder aus der Schublade holen. Ich hatte noch die Uraufführungsinszenierung – wenn auch nicht in Stuttgart, sondern später in Wien – gesehen. Damals studierte ich in Wien politische Wissenschaften. Die Lage ist ja heute noch hoffnungsloser als zu Bernhards Zeiten. Damals gab es die Hoffnung, diese Leute noch zu belangen – und dass diese Generation ausstirbt.

Sicherlich finden die Original-Nazis ihre biologische Endlösung, aber…

… aber das Gedankengut ist noch da. Diese Leute auf einer Pegida-Demonstration sind so voller Hass, weil sie sich irgendwie abgehängt fühlen. Immer wird ein Schuldiger gesucht. Das beschreibt Bernhard so genial: Dieses Zersetzende, das Zerfleischende, das seinen Hass auch nach außen trägt. Und die Österreicher haben dazu noch ein erschreckend anderes Verhältnis als die Deutschen, weil sie sich die Schuldfrage nie gestellt haben. Diese Stilisierung als Opfer hat natürlich dazu geführt, dass es keine Aufarbeitung und keine Entnazifizierung gab.

Aber die Österreicher waren doch „angeschlossen“.

Ja, aber sie tun noch immer so, als wären sie aus dem Hinterhalt überfallen worden. Als „halbe Österreicherin“ kann ich sagen, dass diese ganze braune Suppe dort noch heißer kocht als hier. Man muss nur mal lesen, was der FPÖ-Bundespräsidentsschaftskandidat Norbert Hofer sagt. Aber Bernhards Stück spielt ja nicht in Österreich, sondern in Deutschland.

Das historische Vorbild für den Rudolf Höller war der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger, der 1978 wegen seiner Vergangenheit als Nazi-Marinerichter zurücktreten musste.

Das war damals der unmittelbare Anlass, aber auch damals war schon klar, dass sich das Stück nicht in diesem Fall erschöpft. Wir haben einige Zeitbezüge gestrichen, was aber dem Stück nichts von seiner Substanz nimmt. Was heute übrig bleibt, ist das fehlende Geschichtsbewusstsein.

Die Gattungsbezeichnung lautet „Komödie von deutscher Seele“. Wie komödiantisch ist das Stück?

Dieses fehlende Bewusstsein ist schon manchmal komisch und auch, wenn sich die Figuren wie Pippi Langstrumpf die Welt selber bauen, wie sie ihnen gefällt. Der Humor ist natürlich bitterer geworden, wenn man heute auf unsere Welt hinaus blickt. Eine Geburtstagsfeier für Himmler, ein Kostümfest, das nicht mehr so richtig klappt, hat natürlich grotesk-komische Züge. Ich hoffe, wir bringen die Kraft auf, über Nazis von gestern und heute zu lachen.


Residenztheater, Premiere Samstag 19.30 Uhr, im Mai weitere Vorstellungen 6., 21., 31., 20 Uhr, Telefon 21851940

 

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