Vom Huhn und den Eiern: "Der Stiefel und sein Socken" im Marstall
Ein Stiefel ohne Socken macht ebenso wenig Sinn wie ein Socken ohne Stiefel. Dachte sich wohl einst Herbert Achternbusch, als er nach einem Titel für sein Stück suchte über zwei, die sich zwar hassen, aber auch brauchen. Voilà: "Der Stiefel und sein Socken" heißt das Stück, das 1993 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde und das nun Jan Höft im Marstall inszeniert hat.
Damals spielten Rolf Boysen und Rudolf Wessely die beiden Hassliebenden im Stück. Die bei der Uraufführung dabei waren, erinnern sich mit Freuden. Wer die Fotos sieht, auf denen Boysen Wessely in einer Schubkarre über eine Bühne schiebt, die aussieht wie ein Gemälde, würde gerne auch nochmal reinschauen in dieses Gesamtkunstwerk. Wie so oft führte Achternbusch selbst Regie, auch die Bühne hat er entworfen. Die Kostüme - und das ist die Konstante - stammten damals wie heute von Ann Poppel.
"Der Stiefel und sein Socken" ist ein Stück über eine alternde Liebe, das Altern an sich und die Traumata, die das Leben (und der Krieg) hinterlassen haben. Wortwörtlich ein Stück über Gott und die Welt, die Brezn und Ägypten, über das Nahe und das Ferne. Das alles folgt aufeinander, ohne miteinander verknüpft zu sein, ein Kaleidoskop bayerischen Landlebens. Wie "das blöde Huhn", das keine Eier mehr legt, soll man sich herauspicken, was einen anspricht. Die beiden Figuren schlüpfen in verschiedene Rollen und bleiben doch immer dieselben: zwei, die einander lieben und quälen, die sich hassen und doch auf ewig verbunden sind. "Immer warst du da, Fanny", sagt Herbert einmal. "Immer wäre es mir lieber gewesen, du wärst nicht da gewesen." Der Text macht es einem nicht eben leicht, sich hineinzufinden in diesen Gedanken- und Assoziationskosmos.
Es ist eng verknüpft mit seinem Schöpfer, dieser Kultfigur Achternbusch, die im Januar diesen Jahres gestorben ist. Seine Stücke tragen Titel wie "Daphne von Andechs", "Plattling" oder "Mein Herbert". Aus ihrer lokalen und biografischen Verortung hat Achternbusch nie einen Hehl gemacht, sehr oft hat er sie selbst inszeniert zum Achternbusch'schen Gesamtkunstwerk. Ein einfacher Charakter war er nicht, dieses "Originalgenie", wie der Kammerspiel-Dramaturg Michael Wachsmann ihn in einer Erinnerung 2000 nannte: Wenn einer seiner Texte nicht den Weg auf die Kammerspiel-Bühne fand, nahm er das persönlich. "Das hat er uns nicht verziehen", so Wachsmann. "Jetzt waren wir mit einem Mal die Kunst-Deppen, die abgewatscht gehören." Dass er auch die Schauspieler "mitverprügelt" hat, führte schließlich zum "Ende der Liebesgeschichte zwischen dem Stückeschreiber Achternbusch und uns".
Es steht also schon die Frage im Raum, warum ein junger Regisseur ausgerechnet dieses Stück für seine erste Inszenierung wählt. Vielleicht will Höft erkunden, was von diesem Text bleibt, wenn ein anderer auf ihn blickt, versucht, ihn in ein anderes Jahrtausend zu hieven. Seine Inszenierung beginnt im Dunkeln. Sibylle Canonica tastet sich als Fanny in schwarzem Gewand durch die Holz-Gaze-Konstruktion, die sich direkt vor der ersten Reihe über die Breite des Raums zieht. Mit einer Kerze leuchtet sie sich den Weg zu Herbert, gespielt von Max Mayer, der links in einer Ecke kauert. Als sie ihn in eine aufrechte Position hochgezerrt hat, wird es irgendwann blitzen, immer wieder das grelle Licht für wenige Sekunden, bevor der letzte Blitz dann den Raum dauerhaft erhellt, blendend zunächst. "Der Römer", der im Text eigentlich auch von Fanny gespielt wird, wird hier zur eigenständigen Figur, sitzt erst im Hintergrund und übernimmt schließlich einen langen Monolog über Elefanten und Affenärsche, der zum Schlusswort wird
Höft hat sehr viel gekürzt von Achternbuschs ausufernden Exkursen über die Kunst, die Liebe, den Krieg und die Eier. Letztere haben es dem jungen Regisseur aber angetan: das Huhn und die Eier, die es legt oder eben nicht, nehmen hier ungemein viel Raum ein. Beinahe besessen wird über das Eierlegen, über Schoko- und Meloneneier gesprochen, und vielleicht ist nicht jeder ein Schelm, der hier auch an anderes denkt. Die Pappeln, die Fanny zwanghaft zählt und zu denen sie nie gehen will, sind schließlich auch ein Mahnmal für ihr Vergewaltigungstrauma.
Wenn Max Mayer zum Huhn wird und konstatiert "Ich bin als Huhn völlig ungeeignet", schaut man ihm dabei genauso gerne zu wie wenn er zur Nachbarin aus Hamburg wird oder feststellt: "Das Problem ist die Existenz". Und doch: Die Dynamik zwischen den Figuren, zwischen Max Mayer, Sibylle Canonica und Arnulf Schumacher genügt nicht, um darüber hinwegzutrösten, dass diese Inszenierung sehr artifiziell und distanziert bleibt. Der Abend wirkt wie aus der Zeit gefallen, eher wie ein Zurückschauen als ein Neustart. Achternbusch ohne Achternbusch, vielleicht funktioniert das nicht. So ganz zeitlos ist er dann doch nicht, vielleicht braucht dieses "Originalgenie" das Original?
Wieder am 23, und 30. November sowie am 7., 16. und 30. Dezember im Marstall. Karten unter residenztheater.de und % 2185 1940
- Themen: